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"Zu viel Armut und zu viele arbeitslose Jugendliche"

In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa fordern Demonstranten seit Tagen den Rücktritt von Präsident Saleh. Ein Gespräch mit Mohammed Baza


Mohammed Baza ist Touristenführer und Reiseveranstalter in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa.

Seit Tagen fordern über 1000 Demonstranten im Jemen den Rücktritt des Präsidenten Ali Abdullah Saleh. Wer sind die Menschen, die in der Hauptstadt Sanaa auf die Straße gehen?

Es sind vor allem arbeitslose Jugendliche, Studenten, gebildete Kleinbürger aus der noch kleinen Mittelschicht, Menschenrechtsaktivisten und oppositionelle Abgeordnete. Auch Rechtsanwälte in ihren schwarzen Roben schließen sich mittlerweile den Demonstranten an und rufen: »Das Volk will, daß das Regime abtritt«. Auch in den Städten Aden und Tais kommt es zu Demonstrationen.

Was fordern die Demonstranten?

Politische Reformen, z.B. die Verschiebung der Parlamentswahlen am 27. April. Sie verlangen, daß sich Regierung und Opposition erst auf ein neues Wahlrecht einigen. Sie protestieren aber auch gegen die Korruption und die hohe Arbeitslosigkeit und fordern eine möglichst schnelle Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.

Wie reagiert das Regime bisher auf die Proteste?

Anhänger der Regierung treten den Demonstranten entschieden entgegen. Sie zeigen Plakate mit dem Konterfei von Saleh und skandieren Parolen gegen den Terrorismus. Am Wochenende hat die Polizei Tausende Demonstranten in Sanaa mit Schlagstöcken auseinandergetrieben. Dabei sollen auch Elektroschocker eingesetzt worden sein. Am Montag wurden der BBC-Korrespondent Abdullah Ghorab und sein Kameramann von Regierungsanhängern verletzt. Laut BBC hat er Verletzungen durch Schläge ins Gesicht erlitten sowie Blutergüsse am Rücken. ­Bei seinem Kameramann, der ebenfalls verprügelt wurde, seien das Handy und die Armbanduhr konfisziert worden.

Stoßen Regimegegner und -befürworter aufeinander wie jüngst in Ägypten?

Nein, die Polizei trennt die Gruppen strikt voneinander. Bereits am 3. Februar, als die bisher größten Proteste mit über 30000 Menschen stattfanden, demonstrierten die Opposition im Westen der Stadt und die Regierungstreuen im Osten. Dazwischen lagen zwei Kilometer.

Saleh regiert seit 33 Jahren – drei Jahre länger als der kürzlich gestürzte Diktator Ägyptens, Hosni Mubarak. Wie denkt die Bevölkerung über ihn?

Die einfachen Menschen meinen, daß er einige Sachen gut gemeistert hat, wie z.B. die Wiedervereinigung 1990 zwischen dem Süden und dem Norden des Landes. Saleh gilt ihnen daher als guter Führer – natürlich auch deshalb, weil die Massenmedien vom Regime gesteuert werden und so die Menschen sehr einseitig beeinflussen. Dennoch sind, wie die anhaltenden Proteste zeigen, viele mit Salehs strengem innenpolitischen Kurs, seiner Wirtschaftspolitik und seiner prowestlichen Haltung unzufrieden. Es gibt einfach zu viel Armut und zu viele arbeitslose Jugendliche im Land, vor allem außerhalb von Sanaa.

Der Direktor des US-Antiterrorzentrums, Michael Leiter, behauptete vergangene Woche vor dem US-Kongreß, die Al-Qaida-Zelle im Jemen sei eine Riesengefahr für die USA. Ist Ihr Land wirklich ein Terroristennest?

Überhaupt nicht. Die Sicht von Leiter ist einseitig und übertrieben. Die einzige Gruppe von Al-Qaida gibt es im Gebiet von Schabwa, das liegt im Süden des Landes und hat etwa 470000 Einwohner.

Das deutsche Außenministerium warnt vor Reisen in den Jemen und vor allem in die Region Schabwa. Das Risiko terroristischer Anschläge und Entführungen sowie gewalttätiger Demonstrationen sei zu hoch, heißt es. Ist der Jemen wirklich so gefährlich?

Nein, er ist nicht gefährlich, man kann problemlos durch 70 Prozent der Fläche des Landes reisen. Zur Zeit sind 6000 Touristen unbehelligt im Jemen unterwegs. Ich glaube, daß die Situation insgesamt ruhiger und zum großen Teil sicherer ist, als in der Reisewarnung dargestellt. Außerdem kenne ich die riskanten Gebiete und beziehe sie in meine Tourismusprogramme gar nicht erst mit ein. Das Innenministerium unternimmt darüber hinaus große Anstrengungen, um touristische Orte durch Sicherheitskräfte zu schützen. Deshalb kann ich bestätigen, daß der Jemen ein relativ sicheres Reiseland ist. Die Kriminalitätsrate – vor allem, was Gewaltverbrechen angeht – ist bei weitem geringer als in anderen Reiseländern.

Interview: Martin Lejeune

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2011


Jemen: Angriffe auf Protestmarsch gegen Präsident Saleh **

Sanaa. Im Jemen gehen die Aktionen gegen den autoritär herrschenden Staatschef Ali Abdullah Saleh, die am Freitag begannen, weiter. Dabei griffen am Dienstag Anhänger der Regierungspartei eine Demonstration von Tausenden Menschen auf deren Weg zum Präsidentenpalast an. Es kam zu massiven Auseinandersetzungen mit mehreren Verletzten. Auch die Polizei versuchte, mit Tränengas und Schlagstöcken die Proteste zu unterbinden – vergeblich. Den Demonstranten (Foto) gelang es, ihren Marsch von der Universität in die Innenstadt fortzusetzen. Agenturberichten zufolge beteiligten sich über 3000 Menschen. Wie an den Tagen zuvor skandierten sie Parolen wie »Das Volk will den Sturz des Regimes«.

Die Opposition im Parlament nahm nicht an den Protesten teil. Sie hatte zuletzt am 3. Februar Zehntausende Anhänger mobilisiert, begann dann aber einen Dialog mit der Regierung. Der seit 32 Jahren amtierende Präsident Saleh hatte angesichts der Protestwelle den Verzicht auf eine weitere Kandidatur nach dem Ende seiner Amtszeit 2013 sowie »politische Reformen« angekündigt.
(AFP/dapd/jW)

** Aus: junge Welt, 16. Februar 2011


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