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Vergessen durch Erinnern

Auch 70 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroschima und Nagasaki dominiert die Trauer über die japanischen Opfer. Dagegen wird des koreanischen Leids kaum gedacht und die Verbrechen von Nippons Kolonialherrschaft werden verschwiegen

Von Rainer Werning *

Kolonie – Teilung – blockiertes Erinnern. Wie kein anderes Land hatte im 20. Jahrhundert Korea das historische »Pech«, gleich dreimal als Opfer imperialer Politik ausgebeutet und gedemütigt worden zu sein. 1910 verleibte sich Japan das Nachbarland als Kolonie ein. Nachdem Tokios Militarismus und dessen hegemoniales Projekt, den Pazifik sowie Ost- und Südostasien dauerhaft unter seine Kontrolle zu bringen, im August 1945 scheiterte, wurde Nippon nicht etwa wie sein engster Kriegsverbündeter im Westen, Deutschland, geteilt. Statt dessen war es ausgerechnet Japans ehemalige Kolonie Korea, die nach dem Sieg der Alliierten aufgrund ihrer geostrategisch bedeutsamen Lage in den Sog des Kalten Krieges geriet, sodann geteilt und wenig später in einen mörderischen Bruderkrieg (1950–1953) verstrickt wurde. Infolge der Internationalisierung dieses ersten »heißen Konflikts« im Kalten Krieg hätte das fast einen dritten Weltkrieg heraufbeschworen. Der damalige Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte im Fernen Osten, US-General Douglas MacArthur, hatte erwogen, durch den neuerlichen Einsatz von Atombomben den Krieg zu verkürzen und außerdem auch mehrere grenznahe chinesische Städte auf diese Weise zu »pulverisieren«.

Schließlich hatten die ersten beiden Atombombenabwürfe über den japanischen Städten Hiroschima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 einen, wie es der damalige US-Präsident Harry S. Truman formulierte, »Regen der Zerstörung« verursacht, der aufgrund von Spätfolgen der atomaren Verseuchung über 400.000 Menschen das Leben kostete. Seitdem wird alljährlich an diesen beiden Augusttagen der Hibakusha (wörtlich: gebombte/r Mensch/en) gedacht. Regelmäßig steht dabei die Opferrolle Japans im Vordergrund der weltweiten Erinnerung. Im öffentlichen Bewusstsein und in den Medien bleibt indes noch immer weitgehend vergessen, dass etwa 20 Prozent der Atombombenopfer Hiroschimas und Nagasakis Koreaner waren.

Ausplünderung Koreas

Nach zwei siegreichen Kriegen gegen China (1894/95) und Russland (1904/05) war Japan in der Region zur unangefochtenen Großmacht aufgestiegen. Sie schickte sich an, ihren Einfluss auch politisch und wirtschaftlich auszuweiten. Bereits 1905 zum japanischen Protektorat erklärt, musste Korea seine diplomatischen Rechte an den übermächtigen Nachbarn abtreten und der Stationierung eines japanischen Generalgouverneurs in Seoul zustimmen. Der schwache König Kojong hatte zugunsten seines Sohnes abzudanken. Der Annexionsvertrag wurde am 22. August 1910 unterzeichnet, aber erst eine Woche später bekanntgegeben. Nippons Militärs regierten fortan Korea, während das Big Business des Hegemon die Halbinsel schröpfte. Das Gros der Erlöse aus Handel, Bergbau und Landwirtschaft wurde ins »Mutterland« transferiert.

Als erste wirtschaftliche Maßnahme führte die neue Kolonialmacht von 1910 bis 1918 ein die gesamte Halbinsel umfassendes Landvermessungsprogramm durch, um zunächst einen vollständigen Einblick in die Eigentumsverhältnisse zu gewinnen. Die überwiegend ländliche Bevölkerung Koreas – 80 Prozent waren Bauern – musste innerhalb einer festgesetzten Frist die Lage und Größe von Landparzellen den Kolonialbeamten melden, damit diese sich ein genaues Bild über die Beschaffenheit des Grund und Bodens machen konnten. Die meisten Bauern verstanden diese Aufforderung der Kolonialbehörden nicht, da sie weder lesen noch schreiben konnten. Verpassten sie den fristgemäßen Meldetermin, was die Regel war, verloren sie ihren Status als Pächter oder das Land, von dem ihre Familien seit Generationen gelebt hatten. Hauptprofiteur einer derartigen Landregistrierung und mit Abstand größter Landbesitzer in Korea wurde die 1908 gegründete Toyo Takushoku Co. Ltd., deren Hauptaktionäre der japanische Kaiser und dessen enge Verwandte waren. Mit einer neu erhobenen Bodensteuer wurde das Generalgouvernement außerdem finanziell in die Lage versetzt, Grundstücke zu niedrigen Preisen an Japaner und kollaborationswillige Koreaner zu veräußern.

Eine Zeitlang durfte auf den Feldern nur Reis angepflanzt werden. In den 1920er Jahren ordnete die Kolonialadministration an, im Rahmen ihres Plans zur Erhöhung der Reisproduktion den Großteil der koreanischen Ernten zur Versorgung der eigenen Bevölkerung nach Japan zu verschiffen. Versorgungsengpässe in Korea, wachsende Armut und Hungersnöte veranlassten daraufhin zahlreiche koreanische Bauern, in Japan oder im Nordosten Chinas, in der Mandschurei, Arbeit zu suchen. Korea sollte als Nahrungsmittellieferant die japanische Landwirtschaft weitgehend ersetzen, die infolge der forcierten kapitalistischen Entwicklung des Inselstaates zunehmend an Bedeutung verlor. Außerdem wurde das verbliebene Arbeitskräftereservoir Koreas systematisch und häufig mit Zwangsmaßnahmen für den Eisenbahnbau, die Arbeit im Bergbau, den Straßen- und Hafenbau zum Einsatz gebracht, um eine aus kolonialer Sicht effiziente Infrastruktur aufzubauen. Gleichzeitig blockierte die Besatzungsmacht die mögliche Entwicklung einer eigenständigen koreanischen Industrie.

Massiver Widerstand

Innerhalb Koreas wie auch in China, wohin zahlreiche Koreaner geflohen waren und später in Schanghai eine provisorische Exilregierung bildeten, formierte sich Widerstand. Angeregt durch das 14-Punkte-Programm des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson Anfang vom Januar 1918, welches angesichts der Verheerungen des Ersten Weltkrieges die nationale Selbstbestimmung der Völker forderte, übergaben am 1. März 1919 koreanische Patrioten der japanischen Regierung eine von 33 namhaften Vertretern des unterdrückten Volkes unterzeichnete Unabhängigkeitserklärung. Sie verlangten die Wiederherstellung der Souveränität. Begleitet wurde diese diplomatisch-politische Offensive von Kundgebungen für die nationale Unabhängigkeit anlässlich des Todes von König Kojong, der auf mysteriöse Weise verstorben war. Fast ein Jahr lang befand sich das Land in Aufruhr. In sämtlichen größeren Städten beteiligten sich Studenten, Arbeiter, Bauern und Kaufleute an Streiks und Massendemonstrationen. Die japanischen Behörden schritten brutal ein, um die Forderung nach Wiederherstellung der Souveränität zu ersticken und die Bevölkerung zu demütigen. Nach offiziellen japanischen Statistiken wurden bei der Niederschlagung der Bewegung 7.500 Menschen getötet, 16.000 verletzt und 46.000 Personen ins Gefängnis geworfen.

Das Jahr 1919 bedeutete eine Zäsur: Tokio musste einsehen, dass sich seine Kolonie durch brutale Gewalt allein nicht dauerhaft beherrschen ließ. So ersetzte man in der Folgezeit die Militärpolizei durch eine zivile – die Zahl der Polizisten wurde allerdings gleichzeitig verdreifacht –, genehmigte sporadisch die Veröffentlichung einheimischer Zeitungen und hob das Versammlungsverbot partiell wieder auf. Entscheidend wurde die Suche nach internen Verbündeten. Grundbesitzer, Intellektuelle und andere gesellschaftlich einflussreiche Kräfte wurden umworben, um die Basis der Kolonialherrschaft zu festigen. Kollaborationswillige Koreaner aus diesen Schichten profitierten so materiell oder von dem Privileg, ihre Söhne ins »Mutterland« zu entsenden und sie dort an Eliteuniversitäten und Militärakademien ausbilden zu lassen.

Allgegenwärtige Diskriminierung

Solche Einbindungsversuche galten indes nicht für die Masse der koreanischen Bevölkerung. Im Gegenteil; die Ausbeutung der Arbeiter und Bauern, von denen viele gezwungen waren, auf »ihrem« Land nunmehr als Tagelöhner oder Pächter zu arbeiten, verschärfte sich. Das Generalgouvernement setzte zwangsweise den Plan zur Erhöhung der Reisproduktion durch. Die zusätzlichen Erträge wurden durch höhere Pachtraten abgeschöpft und nach Japan transferiert. Damals betrug die Pacht mindestens 50 Prozent der Durchschnittsernte, hinzu kamen vielfach zusätzliche Steuern. Waren die Pächter außerstande, ihre Abgaben pünktlich zu entrichten, wurden sie gezwungen, in japanischen Fabriken, Bergwerken und Rüstungsbetrieben zu schuften. Dort betrug ihr Entgelt etwa die Hälfte des ohnehin kargen Lohns der japanischen Arbeiter.

In Japan selbst waren für die Koreaner nicht nur die Arbeitsbedingungen entwürdigend. Auch im gesellschaftlichen Leben spielten sie keine Rolle. Man schaute verächtlich auf sie herab. Mehr noch: Für die Folgeschäden von Katastrophen machte man pauschal die Koreaner verantwortlich, stempelte sie zu Sündenböcken. Am 1. September 1923 hatte ein schweres Erdbeben den Großraum Tokio erschüttert und gewaltige Zerstörungen angerichtet. Am 5. September berichtete beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung auf ihrer Frontseite unter dem »Die Katastrophe von Japan«: »Die Truppen sind gegenwärtig damit beschäftigt, die Leichen auf den Straßen wegzuräumen. Sie werden einfach in die noch brennenden Häuser geworfen, was unter den obwaltenden Umständen das einzige Mittel ist, um Epidemien zu verhindern.« Damals starben durch das große »Kanto-Erdbeben«, wie das Unglück von 1923 genannt wird, über 140.000 Einwohner in der Großregion Tokio und Yokohama. In der Hafenstadt Yokohama wurden 90 Prozent der Gebäude beschädigt oder zerstört, während es in Tokio 60 Prozent waren. Die Regierung rief den Notstand aus, um der Lage Herr zu werden sowie Chaos und Plünderungen zu vermeiden.

In Windeseile waren die »Schuldigen« und »Verursacher« dieser Katastrophe ausgemacht – Koreaner. Diese sollten vorsätzlich Feuer gelegt und Brunnen vergiftet – schlimmer noch: sich zum Aufstand gerüstet haben. Ein erregter Mob rückte den Koreanern mit Äxten, Schwertern und Bambusspeeren zu Leibe und schlachtete sie regelrecht ab. Neben Militäreinheiten machten auch Katastrophenschutzverbände, unterstützt von marodierenden Bürgerwehren, gezielt Hatz auf Koreaner. Mindestens 6.500, möglicherweise gar bis zu 10.000 von ihnen, wurden so landesweit Opfer einer Lynchjustiz. Außerdem wurden einige hundert Chinesen massakriert, die man irrtümlich für Koreaner gehalten hatte.

Zur Zwangsarbeit abkommandiert

Die soziale Lage der Koreaner wurde ab 1937, als Japan seine Aggression gegen China ausweitete, noch unerträglicher. Zahlreiche Menschen wurden im Zuge einer Generalmobilmachung zur Zwangsarbeit im Militär und in der Kriegsindustrie abkommandiert, oder sie ließen sich aus purer Not beziehungsweise durch falsche Versprechungen dazu verleiten, Soldat zu werden. Häufig wurden gerade diese Soldaten als Aufseher an den zahlreichen Fronten in Südostasien und im Pazifik eingesetzt, wo sie zu Tätern wurden und Gefangene der japanischen Invasionstruppen grausam behandelten. Familien der koreanischen Ober- und Bildungsschicht hingegen, die offen mit der Besatzungsmacht paktiert oder deren Wirken stillschweigend geduldet hatten, empfanden es jetzt als Ehre, dass ihre an japanischen Militärakademien ausgebildeten Söhne nach Absolvierung des Studiums als Offiziere in Nippons Truppenverbänden in China und anderswo dienten.

»Im April 1938 rief die japanische Regierung zur allgemeinen Mobilmachung auf und verkündete das ›Gesetz zur Mobilisierung des Volkes für den vaterländischen Arbeitsdienst‹«, so Recherchen des mittlerweile renommierten Forschungs- und Dokumentationszentrums über Japans Verantwortung während des Krieges (JWRC). »In großem Stil wurden daraufhin Koreaner zu Arbeitsdiensten verpflichtet, um die japanische Kriegsmaschinerie aufrechtzuerhalten. Über 4,5 Millionen Koreaner wurden auf diese Weise im Lande selbst mobilisiert und über 1,5 Millionen von ihnen bis zum Kriegsende nach Japan verschleppt. Dort mussten sie in Kohlebergwerken, Eisenerzminen, in Rüstungsfabriken sowie beim Bau von Straßen und beim Ausbau von Häfen Schwerstarbeit verrichten. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1944 zwangsrekrutierte die japanische Regierung auch Arbeitskräfte unabhängig von ihrem Alter. Jungen von 13 oder 14 Jahren, manchmal noch jüngere, waren davon betroffen. 10.000 wurden als Kindersoldaten eingesetzt und 155.000 hatten als zivile Hilfskräfte im Militär zu dienen. Massenhaft wurden überdies Frauen als Frontprostituierte versklavt – unter dem Deckmantel der Jyoshi Teishintai (Einheiten der Frauen für die Selbstaufopferung).«

Allein in Nagasaki gab es über 20.000 koreanische Zwangsarbeiter. Sie waren zum Dienst für den Mitsubishi-Konzern abkommandiert, der dort Kreuzer und Torpedoboote für die kaiserliche Kriegsmarine fertigen und reparieren ließ. Kim Geung Sok war der erste (süd-)koreanische Zwangsarbeiter, der Ende September 1991 in Japan eine Schadenersatzklage gegen »seinen früheren Arbeitgeber«, die Kawasaki-Stahlhütte im Besitz der NKK Corporation, eingereicht hatte. Allerdings ohne Erfolg. Im Oktober 1942 war der damals 16jährige als »Ersatz« für seinen älteren Bruder nach Japan verschleppt worden, weil dieser als einziger Verdiener in der Familie unabkömmlich war.

Was ihm widerfuhr, schilderte Kim seinen Anwälten: »Zunächst mussten wir alle zum Seouler Bahnhof kommen, wo man uns medizinisch untersuchte, ob wir auch in körperlich guter Verfassung waren. Mit dem Zug ging es dann nach Pusan, von dort aus mit dem Schiff weiter nach Schimonoseki (beide Orte sind Hafenstädte in Korea bzw. Japan, R. W.), dann wieder mit der Bahn weiter. Die ganze Zeit wurden wir von Wärtern bewacht, vor denen ich furchtbare Angst hatte. In der Kawasaki-Stahlhütte musste ich als Kranführer arbeiten – zwölf Stunden pro Tag, an Wochenenden auch schon mal bis zu 18 Stunden, inklusive einer Nachtschicht. Zu essen bekamen wir Reis, Weizen und Gerste, die in großen Töpfen mit Schaufeln zusammengerührt wurden. Als Suppe gab es aufgekochtes Salzwasser. Man hatte uns einen Lohn versprochen – immerhin 80 Yen im Monat. Doch davon zog man uns für Kleidung und Zwangsabgaben für die nationale Verteidigung und Mitgliedschaft in einer Hilfsorganisation auf Gegenseitigkeit so viel ab, dass am Ende des Monats höchstens 25, meistens aber gerade mal zehn Yen übrigblieben.«

Als im April 1943 koreanische Arbeiter gegen diese Zustände demonstrierten und streikten, wurde Kim als einer der Rädelsführer verdächtigt und brutal zusammengeschlagen. Dabei brach man ihm mehrere Rippen und kugelte seinen rechten Arm aus. Da er nicht mehr arbeitsfähig war, wurde er im Februar 1944 nach Korea abgeschoben.

Japanisierung des Lebens

»Alles für den Kaiser«, Kominka – unter dieser Maßgabe versuchte die Kolonialverwaltung, die Koreaner im Geiste des Tenno zu erziehen, sie in dessen gute, verlässliche und jederzeit aufopferungswillige Untertanen zu verwandeln, die auch Seite an Seite mit den japanischen Invasionstruppen während der Eroberungsfeldzüge in China, Südostasien und im Pazifik eingesetzt wurden. »Kominka« bedeutete auch, den Stolz, die Kultur und Traditionen des koreanischen Volkes vernichten zu wollen. In Japan war eigens eine Organisation namens »Kyowa-kai« ins Leben gerufen worden, die darüber zu wachen hatte, dass die Koreaner im Lande auch wirklich ihre Identität preisgaben und sich der Zwangsassimilierung fügten.

1938 änderte der Aggressor das koreanische Bildungs- und Erziehungsgesetz, wonach der Koreanisch-Unterricht an den Schulen vom Lehrplan gestrichen wurde und die Schüler fortan gezwungen waren, Japanisch zu lernen. In Folge dieser Anordnung wurde es den Einheimischen auch untersagt, öffentlich ihre Sprache zu sprechen und Zeitungen in Koreanisch zu publizieren. So mussten die beiden großen Tageszeitungen Dong-A Ilbo und Choson Ilbo 1940 ihr Erscheinen einstellen. Ein Jahr zuvor, im November 1939, hatte die japanische Regierung sogar den Befehl erteilt, dass ab sofort alle Koreaner ihre Namen aufzugeben und sich japanische zuzulegen hatten. Einige, die auf der Beibehaltung ihrer alten, traditionellen Namen bestanden, wählten aus Protest gegen diese Politik den Freitod. Bereits 1936 hatte beispielsweise der Gewinner des Marathonlaufs bei den XI. Olympischen Sommerspielen der Nazis in Berlin, der ursprünglich aus dem Norden Koreas stammende Sohn Kee Chung, als »Japaner« das Siegerpodest bestiegen und als »Kitei Son« Eingang in die olympischen Annalen gefunden.

Die koreanischen Hibakusha

Der Beginn des Pazifikkrieges 1941 und die verstärkte Mobilisierung kolonialer Arbeitskräfte vergrößerten auch die koreanischen Gemeinden in Hiroschima und Nagasaki zwischen 1940 und 1945 auf jeweils mehr als das Doppelte. »Auch wenn keine genauen Zahlen existieren«, schrieb der US-amerikanische Asienspezialist Michael A. Weiner, »gehen Schätzungen davon aus, dass im August 1945 52.000 bis 53.000 Koreaner in Hiroschima und in der Präfektur Nagasaki zirka 63.000 Koreaner, davon 30.000 in der Stadt selbst, lebten. (Von den schätzungsweise 70.000 Koreanern, die den Atombomben ausgesetzt waren, starben zirka 40.000 unmittelbar oder innerhalb eines Jahres an den Folgen.) Die großen Unterschiede bei den Schätzungen der Opfer ergeben sich u.a. aus der Tatsache, dass systematische Gesundheitsuntersuchungen von Hibakusha erst 1950 eingeführt wurden.«

Doch erst 1968 begannen Untersuchungen über die koreanischen Hibakusha, also der Opfer beim Atombombenangriff der USA auf Hiroschima und Nagasaki. Dies allerdings mit beschränkter Aussagekraft: Koreaner hatten ja in der Regel ihre Namen zu japanisieren, so dass die Behörden – erst recht nach den Kriegswirren – kaum zwischen japanischen und koreanischen Opfern zu unterscheiden vermochten. »Während die japanischen Atombombenopfer nahezu Berühmtheitsstatus besitzen, ist die Existenz von koreanischen Hibakusha bisher weder national noch international deutlich wahrgenommen worden. Es gibt nur drei Filme, die sich mit den koreanischen Überlebenden beschäftigen: ›To the People of the World‹ (1981), ›To the Friends of the World‹ (1985), ›The Song of Arirang: One More Hiroshima‹ (1987). Keiner dieser Filme erhielt finanzielle Unterstützung, öffentliche Aufmerksamkeit oder wurde international aufgeführt«, heißt es bei Weiner weiter.

Steht der Gedenkstein für die japanischen Atombombenopfer inmitten des Friedensparks von Hiroschima, so befand sich ein Mahnmal zur Erinnerung der koreanischen Opfer bis zur Jahrtausendwende außerhalb des Parks auf der anderen Flussseite. Im Zuge langjähriger Auseinandersetzungen stimmten das japanische Außenministerium und die Stadtverwaltung von Hiroschima nach schleppenden Verhandlungen im Mai 1990 der Errichtung eines alle koreanischen Opfer repräsentierenden Denkmals innerhalb des Friedensparks zu. Doch erst seit Juli 1999 gemahnt auch eine Stele im Friedenspark an die Atombombenopfer dieser ehemaligen Kolonie. Dabei handelt es sich um eine rechteckig aufragende Säule, deren Sockel eine Schildkröte (Symbol für langes Leben) bildet und die die Inschrift trägt: »Die Seelen der Verstorbenen entschweben gen Himmel auf den Rücken von Schildkröten.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. August 2015


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