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"Außenminister Japans betreibt Augenwischerei"

Expertenkommission räumt geheime Absprachen mit den USA über "Import" von Atomwaffen ein. Konsequenzen gibt es aber nicht. Ein Gespräch mit Kazuo Shii *

Kazuo Shii ist Vorsitzender der Kommunistischen Partei Japans und Abgeordneter des Unterhauses



Das japanische Außenministerium hat vor wenigen Tagen einen Expertenbericht zu den Geheimabkommen mit den USA über Atomwaffen veröffentlicht. Sind Sie damit zufrieden?

Der Bericht anerkennt zwar die Existenz eines »Gesprächsprotokolls« aus dem Jahre 1963 – er kennzeichnet es jedoch nicht als Geheimvertrag, der sicherstellen sollte, daß mit Atombomben bewaffnete US-Schiffe problemlos japanische Häfen anlaufen können. Die Experten des Außenministeriums interpretieren den Text so, daß es »keine klare Absprache zwischen Japan und den USA« gegeben hat.

Das aber sehe ich ganz anders: Das »Gesprächsprotokoll« ist nichts anderes als ein Geheimvertrag über das Ins-Land-Bringen von Atomwaffen. Es ist ein offizielles Dokument, über dessen Interpretation »volles gegenseitiges Einvernehmen« bestand.

Die Experten behaupten zwar heute, Japan habe den Text anders ausgelegt als die USA – dagegen spricht aber, daß die Nutzung japanischer Häfen durch Kriegsschiffe mit Atomwaffen an Bord erlaubt wurde. Es gab also eine »stillschweigende Übereinkunft«, wie der jetzt vorgelegte Bericht auch einräumt.

Welche tatsächlichen Konsequenzen hat diese Aufarbeitung der Geschichte?

Wenn unsere Regierung die Existenz eines regelrechten Vertrages abstreitet, wird sie auch künftig nichts gegen dessen Vereinbarungen unternehmen: Einen nicht existenten Vertrag kann man schließlich auch nicht kündigen. Der neue Außenminister Katsuya Okada hat bereits erklärt, daß er nichts in dieser Richtung unternehmen wird.

Also werden die Japaner weiter im unklaren darüber gelassen, ob US-Kriegsschiffe, die in japanischen Häfen festmachen, Atomwaffen ins Land bringen?

Ja. Das, was Okada dazu sagt, ist nichts als Augenwischerei: Am 9. März behauptete er vor Journalisten, seit 1991 würden keine US-Kriegsschiffe mehr atomar bestückt. Das ist falsch, denn die Atom-U-Boote der US-Marine werden immer noch mit Tomahawk-Marschflugkörpern mit Atomsprengkopf ausgerüstet. Außerdem haben die USA erklärt, daß sie im Spannungsfall auch Überwasserschiffe wieder mit Atombomben bewaffnen wollen.

Seit der Wahl im September 2009 regiert in Japan die Demokratische Partei. Erst der Regierungswechsel habe eine kritische Sicht auf die früheren Beziehungen zu den USA ermöglicht, behauptet Kabinettssekretär Hirofumi Hirano. Sehen Sie das auch so?

Richtig ist, daß die Existenz dieses »Gesprächsprotokolls« heute immerhin eingeräumt wird. Das war nicht immer so – seitdem vor etwa zehn Jahren der damalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Japans, Tetsuzo Fuwa, das Thema angesprochen hat, haben die jeweiligen Regierungen schlichtweg behauptet, sie wüßten nichts von einem derartigen Papier. Diese Lügen sind jetzt also vom Tisch.

Daß es ein solches Protokoll gibt, wird also zugegeben – es sollte aber auch als Geheimvertrag eingestuft und abgeschafft werden. Das ist der sicherste Weg, um die Einhaltung der »Drei Anti-Atom-Prinzipien« zu gewährleisten, die da lauten: Japan wird nie Atomwaffen produzieren, besitzen oder auf seinem Territorium dulden.

Welche Absicht verfolgt die jetzige Regierung damit, die Bedeutung des Protokolls herunterzuspielen?

Sie ist nicht zu deutlichen Worten gegenüber den USA bereit. Solange sie behauptet, es gebe keine geheimen Absprachen über das Hereinlassen US-amerikanischer Atomwaffen nach Japan, wird sie auch nichts dagegen unternehmen. Es bleibt also alles beim alten: Sie wird es stillschweigend hinnehmen, genau wie die vorherigen Regierungen der liberaldemokratischen Partei. Das war offenbar die Prämisse, mit der die Experten ihren Bericht verfaßten. Das Ergebnis stand fest, bevor der Text geschrieben war.

Immerhin ist es begrüßenswert, daß die Regierung Gutachter damit beauftragt hat, Licht in diese damaligen Verhandlungen mit den USA zu bringen. Der Bericht liegt jetzt vor – es wäre also an der Zeit, daß sich die Regierung auch zu dessen Ergebnissen bekennt.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 24. März 2010


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