Revolte in Japans Regierungspartei
Aber nicht das Wiederanfahren der ersten Atomkraftwerke bringt Premier Noda in Bedrängnis
Von Daniel Kestenholz, Bangkok *
Gut möglich, dass sich Japans Premier
Yoshihiko Noda demnächst in die Galerie
seiner fünf Vorgänger seit 2006
einreiht, die kein Jahr lang im Amt
überdauerten: 50 Abgeordnete haben
seine Demokratische Partei (DPJ) jetzt
verlassen. Der Grund war allerdings
nicht Nodas Energiepolitik.
Vor der Residenz des japanischen
Premierministers Yoshihiko Noda
protestierten am Wochenende
Tausende Japaner gegen die
Rückkehr zur Nuklearenergie. »No
Nukes, no Noda«, hieß es auf einem
ihrer Transparente. Am
Sonntag nämlich wurde als erster
von 50 Atommeilern, die nach der
Katastrophe von Fukushima im
März 2011 zwecks Überprüfung
stillgelegt worden waren, Reaktor
3 des südwestjapanischen AKW Oi
wieder angefahren. Bereitschaftspolizei
sicherte das Kraftwerk gegen
Demonstranten, die auch dort
aufmarschiert waren. Reaktor 4
soll am 14. Juli ans Netz gehen,
weitere Anlagen dürften folgen.
Andernfalls, warnte Premier Noda,
seien Stromversorgung, Wirtschaftsleistung
und Lebensstandard
Japans nicht zu garantieren.
Gefahr sieht Premier Noda
derzeit von anderer Seite: Da ist
zunächst Ichiro Ozawa, bisher ein
Schwergewicht in Nodas Demokratischer
Partei (DPJ), das seine
jüngste Drohung wahr gemacht
und die DPJ mit Dutzenden weiterer
Abgeordneter verlassen hat, 38
aus dem Unter- und 12 aus dem
Oberhaus.
Der Massenaustritt ist eine Reaktion
auf Nodas umstrittene Steuerreform:
Der Premier will die
Mehrwertsteuer bis 2015 von 5 auf
10 Prozent verdoppeln und erhielt
für dieses Vorhaben die Unterstützung
der beiden größten Oppositionsparteien.
Bei einem Parteiaustritt
von 54 Parlamentariern hätte
Noda die Mehrheit im Unterhaus
verloren, Neuwahlen wären unvermeidlich
geworden.
Die könnten aber auch so bald
anstehen, zumal die oppositionelle
Liberaldemokratische Partei (LDP)
mit ihrer Zustimmung zu Nodas
Haushalt klarstellte, dass ihre Kooperation
Mittel zum Zweck ist. Die
Liberaldemokraten, die Japan bis
vor drei Jahren nahezu ununterbrochen
regierten, haben nur ein
Ziel: Neuwahlen.
Also sorgt sich Noda weniger
darum, ob Ozawa – wie angedroht
– eine neue Partei gründet, auch
wenn dessen Auftreten gegen höhere
Steuern im Volk gewisse Unterstützung
genießt. Ozawa wird
auch »Zerstörer« oder »Schatten-
Shogun« genannt. Als er 1993 mit
weiteren Parteirebellen bei den
Liberaldemokraten austrat, wodurch
die LDP für kurze Zeit aus
der Regierung verdrängt wurde,
jubelte das Volk noch. 20 Jahre
später herrschen andere Verhältnisse:
»Heute gibt es keinen Jubel
«, sagte Hirohisa Fujii, ein DPJVeteran,
der die LDP seinerzeit mit
Ozawa verlassen hatte. »Die Leute
sind verärgert und fragen: ›Was
macht ihr da?‹« Noda jedenfalls ist
einen Querulanten los, der 2009
nach einem Finanzskandal als
DPJ-Führer zurücktreten musste.
Der 70-Jährige hatte die Partei
mehr sabotiert denn vorwärts gebracht.
Die DPJ könnte ohne ihn
sogar stärker sein – wenn da nicht
die Opposition wäre, die eine
Chance wittert, wieder auf den Regierungsthron
zu klettern. Noch im
August, wenn auch das Oberhaus
die Steuerreform abgesegnet hat,
wollen die Liberaldemokraten einen
Misstrauensantrag stellen.
Premier Noda seinerseits will
mit der Steuerreform demonstrieren,
dass er bewusst seine politische
Karriere riskiert: Wichtig sei
ihm das, was richtig ist, und nicht
was die Partei denkt. Es gebe keinen
anderen Weg, Japans Haushalt
in Ordnung zu bringen und die
wachsenden Sozialausgaben für
eine rasch alternde Bevölkerung zu
finanzieren. Dennoch könnten höhere
Preise dem Inlandsverbrauch
und der fragilen Wirtschaftsleistung
empfindlich zusetzen, speziell
in einer Zeit, da sich Japan von der
Dreifachkatastrophe Erdbeben,
Tsunami und Nuklearkrise erholen
muss. Das war auch Ozawas
Hauptvorwurf. Er nannte die
Steuerreform verfrüht. Der Staat
solle sich besser auf die Straffung
der Bürokratie und andere Sparmaßnahmen
konzentrieren. Ozawa
weiß, was die Leute hören wollen.
Doch ist das eine populäre
Botschaft von einem unpopulären
Mann.
Um Fukushima ist es derweil
ruhig geworden. Selbst Fische und
Meeresfrüchte aus den Gewässern
vor dem Atomkraftwerk sind zurück
im Verkauf. Aus der Welt sind
die Probleme aber ganz und gar
nicht. Am Sonnabend stieg das
Kühlsystem von Reaktor 4 aus, erst
am Sonntag funktionierte ein Notsystem.
Eine Unterbrechung von
70 Stunden hätte zu einem Temperaturanstieg
mit gefährlichen
Radioaktivitätswerten geführt,
meldete der AKW-Betreiberkonzern
Tepco.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. Juli 2012
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