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Zwischen Nationalismus und Pragmatismus

Japans Ministerpräsident Shinzo Abe siegte bei der Parlamentswahl *

Japans Regierungschef festigt seine Machtbasis mit dem Sieg bei der Oberhauswahl. Jetzt kann er seine nationalistischen und wirtschaftlichen Ziele gestärkt angehen. Dabei muss er unterschiedliche Erwartungen erfüllen – ein schwieriger Balanceakt.

Japans rechtsnationaler Ministerpräsident Shinzo Abe hat nach dem überragenden Sieg seiner Regierungskoalition bei der Oberhauswahl weitreichende Wirtschaftsreformen angekündigt. »Japan sieht sich schwierigen Herausforderungen gegenüber«, sagte Abe am Montag. Es gehe um mutige Reformen wie den umstrittenen Beitritt zu einem asiatisch-pazifischen Freihandelsabkommen sowie eine Anhebung der Verbrauchssteuer.

Nach dem endgültigen Ergebnis gewann seine Koalition aus Liberaldemokratischer Partei (LDP) und Komeito am Vortag eine stabile Mehrheit von 76 der 121 zur Wahl stehenden Sitze. Damit kommt sie in der 242 Mandate zählenden Parlamentskammer, deren Hälfte alle drei Jahre neu gewählt wird, auf insgesamt 135 Sitze.

Abe kann nun ungehindert seine politischen und wirtschaftlichen Ziele angehen, da die Koalition die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments besitzt. Es sei geboten, »dass wir Entscheidungen für die Zukunft Japans treffen«, sagte Abe. »Eine starke Wirtschaft ist wesentlich für nationale Stärke«, so der Regierungschef vor Journalisten. »Ohne dies können wir keine diplomatische Kraft und verbesserte soziale Sicherheit haben.«

Die Börse reagierte auf Abes erwarteten Wahlsieg mit moderaten Gewinnen. Die Investoren warten ab, ob der Premier tatsächlich dringend notwendige Strukturreformen gegen den Widerstand von Lobbygruppen durchsetzen wird.

Der Chef des Wirtschaftsdachverbands Keidanren, Hiromasa Yonekura, begrüßte das Ende der Blockade im Parlament. Die Opposition konnte mit ihrer bisherigen Mehrheit im Oberhaus in den vergangenen sechs Jahren die Regierungsarbeit behindern. Entscheidend für Abes Wahlerfolg sei dessen »Abenomics« genannte Wirtschaftspolitik, sagte Yonekura. Diese besteht bislang aus schuldenfinanzierten Staatsausgaben und einer extrem lockeren Geldpolitik und hat bei Wählern die Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung geweckt. Abe versprach, sich dafür einzusetzen, dass seine Politik nun auch in der Realwirtschaft ankommt und für Beschäftigung und höhere Löhne sorgt.

Angesprochen auf die in jüngster Zeit wachsenden Spannungen mit China sagte Abe: »Wir sollten offen miteinander sprechen, auf der Ebene der Außenminister und der der Regierungschefs. Die Tür für Gespräche steht offen.« Die Beziehungen sind wegen eines Streits um Felseninseln im Ostchinesischen Meer belastet. Kritiker befürchten, dass Abe seinen Wahlsieg als Mandat verstehen könnte, seine nationalistische Agenda samt Änderung der pazifistischen Verfassung voranzutreiben, mit der möglichen Folge weiterer Konflikte mit China.

Abes LDP gewann am Sonntag 65 Sitze und ihr kleinerer Junior-Partner Komeito 11 Mandate. Die größte Oppositionspartei, die Demokratische Partei (DPJ), die bislang die Mehrheit im Oberhaus hatte, rutschte auf 17 Sitze ab – das schlechteste Ergebnis seit Gründung der Partei 1998. Die oppositionelle Kommunistische Partei (JCP) gewann mit acht Sitzen so viele wie seit Jahren nicht mehr. Die nächste nationale Wahl steht in Japan erst wieder in drei Jahren an.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


Japans »eine Partei«

Von Detlef D. Pries **

Japan sei zurückgekehrt zur »Ein-Parteien-Demokratie«, heißt es nach dem Erfolg der Liberaldemokratischen Partei (LDP) unter Regierungschef Shinzo Abe bei den Oberhauswahlen. Tatsächlich beherrscht die LDP im Verein mit ihrem Juniorpartner Komeito wieder beide Häuser des japanischen Parlaments und kann Gesetze ganz nach ihren Vorstellungen verabschieden. Die »alte Ordnung«, wie sie Nachkriegsjapan jahrzehntelang prägte, ist wieder hergestellt. Weil, wie Shinzo Abe meint, »das Volk eine stabile und entscheidungsfähige Regierung will«. Dass nur die Hälfte der Berechtigten ihrem Willen überhaupt Ausdruck verlieh, verschweigt der Premier, wie es strahlende Wahlsieger allerorts in der Regel zu erwähnen vergessen.

Nicht nur unter Wahlverweigerern und denen, die nicht für das Regierungslager stimmten, sondern auch im Ausland werden indes Besorgnisse laut. Abe will Japans stillgelegte Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen lassen – was die gute Hälfte der Bevölkerung ablehnt. Er würde gar zu gerne die pazifistische Nachkriegsverfassung ändern und Nippon militärisch aufrüsten – was die Nachbarstaaten alarmiert und zu eigenen Rüstungsbemühungen anspornen dürfte. Denn Japans Kolonialkriege, die Abe nicht als Aggression bezeichnen will, sind in China, Korea und Südostasien nicht vergessen. Wenigstens muss der nationalistische Premier mit Gegenwind selbst aus dem eigenen Lager rechnen, denn »eine (homogene) Partei« waren die Liberaldemokraten noch nie.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013 (Kommentar)


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