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Japan auf Kamikazekurs

Mit Jubel in den Währungskrieg: Regierung und Notenbank heizen Inflation mit Notenpresse gezielt an um Konjunktur zu stimulieren. Die Rechnung wird hoch

Von Rainer Rupp *

Tokio hat neue Fans gewonnen. »In Japan passiert Historisches. Die Stimulationsmaßnahmen der (…) Notenbank, gepaart mit dem Konjunkturprogramm lassen Nippons Aktienmärkte aufblühen«, jubelte das Internetportal für Anleger finanznachrichten.de am Mittwoch und warb bei seinen Kunden für Investitionen im Land der aufgehenden Sonne. Aber »historisch« war auch der Untergang von Pompeji.

Japan steckt tief in der Krise. Die abenteuerlichen Rettungsversuche des wieder an die Regierungsmacht gekommenen Ministerpräsidenten Shinzo Abe von der Liberaldemokratischen Partei (LDP) sind derart riskant, daß viele Finanzanalysten in der von Abe vorgegebene Marschrichtung den direkten Weg in den Kollaps der drittgrößten Wirtschaftmacht der Erde sehen. Insbesondere will der Premier mit der jüngst beschlossenen Expansion der Geldmenge durch die japanische Zentralbank, u.a. zur Deckung der Haushaltsdefizite die Inflation wiedererwecken – auf Teufel komm raus.

Tokios offiziell angekündigtes Ziel ist ein jährlicher Kaufkraftverlust (Teuerungsrate) von zwei Prozent. Auch wenn die reale Wirtschaftsleistung des Landes unverändert bliebe, würde dadurch das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) wachsen und die derzeitige Staatsschuldenqote (gemessen als Anteil am BIP) sinken. In 30 Jahren auf die Hälfte vom heutigen Wert. Die Rechnung zahlt die Masse der Bevölkerung, Kleinsparer, die im Unterschied zu den Finanzkonzernen nicht aufs internationale Finanzparkett ausweichen können, um sich gegen die Geldentwertung zu schützen.

Doch Japan hat Probleme, die Konjunktur anzukurbeln – geschweige denn Inflation zu »produzieren«. Hinzu kommt, daß die Aussichten für den Welthandel eher trübe sind. Trotz wiederholter Konjunkturspritzen in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar ist es nie gelungen, die Wirtschaft aus ihrer Lethargie zu befreien. In die war sie Anfang der 1990er Jahre gefallen, als eine gigantische Spekulationsblase auf dem Immobilienmarkt platzte und die Regierung bankrotte Banken »rettete« sowie einen Teil von deren immensen Schulden übernahm. (Parallelen zu EU und USA in den letzten fünf Jahren sind unverkennbar). Seit zwei Jahrzehnten dümpelt das Land ökonomisch zwischen Depression und Stagnation, wobei die jährlichen BIP-Wachstumsraten zwischen plus zwei und minus vier Prozent oszillierten.

Japan ist mit 240 Prozent des BIP zum Jahresende 2012 das am höchsten verschuldete Land der Welt. Mehr als 50 Prozent von jedem Yen, den die Regierung ausgibt, müssen geliehen werden. Und jedes Jahr werden die Schulden größer, eine Lösung ist nicht in Sicht. Selbst Kahlschlagprogramme am Etat würden nichts nützen, denn auch bei einer Kürzung der Haushaltsmittel um die Hälfte würde ein Defizit bleiben.

Wenn das Land dennoch nicht pleite ist, liegt das allein an dem Umstand, daß etwa 95 Prozent der Schulden (japanische Schatzbriefe, JGBs) sich in den Händen der Notenbank, von Regierungsinstitutionen, heimischen Banken, Pensionsfonds und Privatanlegern befinden. Nur fünf Prozent werden von ausländischen Anlegern gehalten. Dank des JGB-Ankauf durch die japanische Notenbank konnten die Zinsen, die die Regierung auf ihre Schulden zahlen muß, auf unter einem Prozent gehalten werden. Da in zwölf der letzten 18 Jahre die Inflation negativ war, d. h. die Verbraucherpreise jährlich um Werte zwischen minus 0,1 und minus 1,7 Prozent gefallen sind, lag die reale Verzinsung der JGBs dennoch bei etwa 1,5 bis zwei Prozent.

Obwohl es unter besseren gesamtwirtschaftlichen Bedingungen selbst mit Milliardenprogrammen nicht gelungen ist Konjunktur und Inflation anzuheizen, kommt die Abe-Regierung nun nicht etwa auf die Idee, daß ihr Instrumentarium womöglich unwirksam ist. Vielmehr will sie damit nun klotzen, statt wie bisher zu kleckern: Die Notenbank hat sich bis 2014 zur Verdoppelung der Geldmenge auf 270 Billionen Yen (etwa 2,1 Billionen Euro) verpflichtet. Damit übertrifft die Bank of Japan sogar die halsbrecherischen Geldschöpfungspirouetten der US-Notenbank Fed deutlich.

»Die Losung ist ganz einfach: Wir schwenken auf eine Geldpolitik um, die in dieser Aggressivität noch niemals zuvor angewendet wurde«, kommentierte Carsten Englert von boersennews.de die inzwischen als »Abe-nomics« verrufene Geldpolitik. Und das ausgerechnet »in einem Zeitalter, wo alle Notenbanken die Bodenhaftung anscheinend verloren haben und sich gegenseitig mit neuen Ideen zur Steigerung der Aggressivität der Geldpolitik überbieten«. Wie in Tokio geplant, schossen die Aktienkurse in die Höhe, und der Yen stürzte gegenüber dem Dollar, dem chinesischen Yuan, dem südkoreanischen Won und dem Euro rapide ab – zum Vorteil der japanischen Exportindustrie. Insbesondere Peking hat bereits Maßnahmen gegen diese erste japanische Salve im neuen »Abwertungskrieg« angekündigt. Auch aus den USA kommt Kritik, wenn auch verhaltener, weil Washington ja selbst im Glasshaus sitzt.

Die Reaktion auf den Märkten für japanische Schatzbriefe, deren Zinskosten angesichts der geplanten Infla­tion rapide steigen, zeigen jedoch, auf welchen geldpolitischen Kamikazekurs sich Tokio eingelassen hat. Wenn in den nächsten zehn Jahren die Zinsen auf die Staatsschuld auch nur um zwei Prozent steigen, dann würden das für die Regierung bereits Mehrausgaben von fast fünf Prozent der Wirtschaftsleistung Landes ausmachen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. April 2013


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