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Japans Premier fand es an der Zeit, nach Hause zu gehen

Yukio Hatoyama stürzte über gebrochene Wahlversprechen

Von Daniel Kestenholz *

Am Dienstag (1. Juni) hatte Japans Premier Yukio Hatoyama noch trotzig verkündet: »Diese Regierung wurde gebildet, um Politik deutlich zu verändern, und ich will entsprechend weitermachen.« Tags darauf gab er mit Tränen in den Augen seinen Rücktritt bekannt: »Es ist Zeit für mich, nach Hause zu gehen.«

Gut acht Monate sind vergangen, seit Yukio Hatoyama nach dem überwältigenden Wahlsieg seiner Demokratischen Partei im August 2009 das Amt des Regierungschefs antrat. Auf gut 70 Prozent Zustimmung konnte sich seine Koalition aus DPJ, Sozialdemokratischer Partei (SDP) und Neuer Volkspartei damals stützen. Nicht nur ein Ende der Korruption und der Willkür ernannter Beamter hatte Hatoyama den Wählern versprochen, nicht nur eine bürgernahe und transparente Politik, sondern ein neues, stolzes Japan, das auf gleicher Augenhöhe mit den USA verhandeln und sich vom Großen Bruder nicht mehr alles sagen lassen werde. Vor Freude tanzten die zurückhaltenden Japaner auf den Straßen, nachdem sie der mehr als 50-jährigen, fast ununterbrochenen Herrschaft der konservativen Liberaldemokraten (LDP) ein Ende bereitet hatten.

Seither ist die Zustimmung für Hatoyama allerdings unter die 20-Prozent-Marke abgestürzt. Ein Großteil dieses Vertrauensverlustes ist der Tatsache geschuldet, dass der Premier eines seiner wichtigsten Wahlversprechen nicht einhielt. Hatte er doch zugesagt, sich für die Verlegung der US-amerikanischen Luftwaffenbasis Futenma von der südlichen Insel Okinawa in ein anderes Land, zumindest aber auf eine andere japanische Insel einzusetzen. Auf Okinawa ist fast die Hälfte der 47 000 USA-Soldaten in Japan stationiert, wogegen die Inselbewohner immer wieder protestieren.

Washington machte dem neuen Premier jedoch rasch klar, dass man im Pentagon nicht im Traum an einen Abzug denkt, sondern nur zu einer bereits zuvor ausgehandelten Verschiebung der Truppen in den weniger dicht besiedelten Norden der Insel bereit ist. Eine direkte Konfrontation hatte Hatoyama bei sämtlichen Treffen mit dem US-amerikanischen Führungspersonal – Präsident Barack Obama, Verteidigungsminister Robert Gates oder Außenministerin Hillary Clinton – ohnehin vermieden, was ihm in der Heimat auch Vorwürfe der Führungsschwäche einbrachte.

Jüngste Spannungen in der Region – ausgelöst durch die Nordkorea zugeschriebene Zerstörung des südkoreanischen Kriegsschiffs »Cheonan« – schienen dem zögerlichen Hatoyama zunächst noch gelegen zu kommen: Die strategischen Beziehungen zur alten Schutzmacht USA seien wichtiger als die Einhaltung eines Wahlversprechens. Doch die Empörung im Volk und der Dreiparteienkoalition wuchs.

Die einzige Sozialdemokratin in Hatoyamas Kabinett, Verbraucherschutzministerin Mizuho Fuku-shima, weigerte sich, den Regierungsbeschluss über den Truppenumzug auf Okinawa zu unterzeichnen. Daraufhin warf Hatoyama sie aus der Regierung – und die Sozialdemokraten traten am Wochenende aus der Dreierkoalition aus. Zwar verfügt die Regierung nach wie vor über eine komfortable Mehrheit im entscheidenden Unterhaus, doch am 11. Juli stehen Wahlen für das Oberhaus im politischen Kalender. Legt die oppositionelle Liberaldemokratische Partei dabei entscheidend zu, wird das Regieren für die Demokraten bedeutend schwieriger. Einer Umfrage der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo vom Wochenende zufolge hatte die LDP bereits wieder mehr Anhänger als die DPJ.

Zum Schutz der Regierungspartei wird in Japan traditionell gerne der Premier als Bauernopfer dargebracht. Mit Tränen in den Augen kündigte Yukio Hatoyama denn auch am Mittwoch vor den versammelten Abgeordneten seiner Partei seinen Rücktritt an. Der 63-jährige Spross einer Politikerfamilie entschuldigte sich für persönliche Fehler, die bewirkt hätten, dass die Regierungsparteien »mit ihrer ordentlichen Arbeit nicht immer die Herzen der Bürger erreicht« haben. Außer seinem gebrochenen Okinawa-Versprechen nannte er auch die eigene Verwicklung in Spendenskandale. Er glaube weiter an das von ihm versprochene Japan, doch »es ist Zeit für mich, nach Hause zu gehen«.

Keine neun Monate im Amt, teilt Hatoyama das Schicksal seiner gescheiterten Vorgänger Shinzo Abe, Yasuo Fukuda und Taro Aso, die nach je einem Jahr als Premier vor Japans gewaltigen strukturellen Problemen und seiner mächtigen Bürokratie kapitulierten. Wahrscheinlich schon am Freitag (4. Juni) will die DPJ einen neuen Parteivorsitzenden wählen, der noch am gleichen Tag den Stuhl des Regierungschefs einnehmen dürfte. Japan erhielte damit den fünften Premier seit 2006, als Junichiro Koizumi seine fünfjährige Regierungszeit beendete. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Finanzminister Naoto Kan, Außenminister Katsuya Okada und Transportminister Seiji Maehara.

Nicht zur Wahl steht Ichiro Ozawa, der DPJ-Generalsekretär, der als Strippenzieher im Hintergrund galt. Er trat nämlich am Mittwoch ebenfalls zurück, um – wie Hatoyama sagte – die Partei »neu zu beleben«. Auch um Ozawa ranken sich Spendenskandale.

Wie immer der künftige Regierungschef heißt – die Oberhauswahlen am 11. Juli sind mit dem Neuen noch nicht gewonnen. Und angesichts einer Staatsverschuldung von 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird sich jede Regierung auf strikte Ausgabenkürzungen konzentrieren müssen. Noch-Finanzminister Naoto Kan dachte bereits laut über eine Steuererhöhung nach.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2010


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