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Sparkommissar Kan setzt sich durch

Japans Ministerpräsident bleibt Parteichef der Demokratischen Partei

Von Josef Oberländer *

Die Mitglieder der regierenden Demokratischen Partei Japans (DPJ) haben am Dienstag dem amtierenden Ministerpräsidenten Naoto Kan (63) den Rücken gestärkt. Seinem Herausforderer Ichiro Ozawa (68) gelang es nicht, den ehemaligen Bürgerrechtler von der Parteispitze – und damit in letzter Konsequenz auch aus dem Amt – zu verdrängen.

Es war eine Wahl zwischen Pest oder Cholera. Für beide Kandidaten war kein Thema, wie die Belastung der Bevölkerung durch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise abgemildert werden könnte. Große programmatische Unterschiede waren nicht erkennbar. Ozawa hatte verlauten lassen, daß er Kan nach einem Sieg einen Platz in seinem Kabinett anbieten würde. Nachdem es zuerst nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen ausgesehen hatte, gewann Kan schließlich die nach einem komplizierten Punktverfahren abgehaltene Wahl mit einer soliden Mehrheit von 721 zu 491.

Ozawa hatte zuletzt immer wieder an Wahlversprechen wie das Kindergeld erinnert, auf die der Sieg der Demokraten im vergangenen Herbst zurückging. Kan war angesichts der Kassenlage längst zurückgerudert. Er will die Staatsverschuldung drosseln. Das Land ist mit 883 Billionen Yen (8 Bill. Euro) verschuldet – allerdings liegt der Großteil der Staatsanleihen nicht bei ausländischen Investoren, sondern bei den eigenen Bürgern. Für den Schuldenabbau soll 2011 die Mehrwertsteuer erhöht werden. Sie liegt aktuell bei fünf Prozent. Ist die Mehrwertsteuer niedrig, kommt dies – nicht nur in Japan – vor allem ärmeren Bevölkerungsschichten zugute, die ihr Einkommen größtenteils für Güter des täglichen Bedarfs ausgeben. Wird sie erhöht, schöpft der Staat auf diese Weise Geld von Haushalten ab, die sonst keine Steuern zahlen, etwa von Rentnern und Arbeitslosen.

Außerdem will Kan die Zahl der Sitze im Parlament reduzieren. Das dient in erster Linie dem eigenen Machterhalt. Bei der vergangenen Wahl wären die Demokraten auf Grundlage der vorgeschlagenen Reduzierung um 80 Sitze mit lediglich 42 Prozent der Stimmen auf eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus gekommen, wie die KPJ berechnete.

Im Streit um die Verlegung des US-Militärstützpunkts Futenma auf Okinawa hat sich Kan unter großem Druck aus Washington auf den Alternativstandort Henoko in der Nähe der Stadt Nago festgelegt, obwohl sich die Anwohner mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen hatten. Sein Vorgänger Yukio Hatoyama war zurückgetreten, weil er sein Versprechen, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, nicht einhalten konnte.

Anders als Kan setzte Ozawa verbal auf Wachstum durch immer neue Konjunkturprogramme. Sparen wollte er aber auch. Dabei nahm er vor allem die Zuschüsse der Tokioter Zentralregierung an die Lokalverwaltungen aufs Korn – immerhin 21 Billionen Yen, über deren Verwendung im Regierungsviertel Kasumigaseki entschieden wird. Was er dabei unterschlug: Vier Fünftel davon dienen zur Aufrechterhaltung unverzichtbarer Funktionen wie der schulischen Versorgung oder der medizinischen Betreuung älterer Menschen. Die Folge von Kürzungen wären neben dem Wegfall sozialer Leistungen wohl auch Kürzungen der Lehrergehälter gewesen.

Was den Parteispendenskandal angeht, wegen dem sich Ozawa in den letzten Monaten politisch zurückgenommen hatte, sagte er lediglich, die Strafverfolger hätten keine Anklage erhoben. Demnach sei ihm nichts vorzuwerfen. Ozawa wird nach dieser für ihn bitteren Niederlage nicht lockerlassen. Sobald sich Kan eine Blöße gibt, wird Ozawa bereit sein, ihm die Macht zu entreißen.

* Aus: junge Welt, 15. September 2010


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