Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

High-Tech-Militär

Japan beendet die "pazifistische" Politik der Nachkriegszeit. Aufrüstung richtet sich gegen China und Nordkorea

Von Josef Oberländer *

Japans Militär steht vor einer umfassenden Neuausrichtung. Hatte das Land Ostasien bislang in erster Linie wirtschaftlich dominiert, sollen künftig die Streitkräfte bei der Durchsetzung seiner Interessen mitwirken. Mit den neuen Richtlinien für die Landesverteidigung, die noch diesen Monat in Form der »National Defense Program Outline« (NDPO) vom Kabinett verabschiedet werden sollen, endet die eher pazifistische Politik der Nachkriegszeit. Das bis zum heutigen Tag verschämt »Selbstverteidigungsstreitkräfte« genannte High-Tech-Militär soll mobiler werden, die schnelle Verlegung von Truppenteilen steht im Vordergrund der Neuorientierung. Außerdem will Tokio statt in Panzer und Artillerie in Kampfjets der nächsten Generation, U-Boote und eine wirkungsvolle Raketenabwehr investieren. Das jüngste Angebot des japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan, bei einer weiteren Eskalation auf der Koreanischen Halbinsel Truppen zu schicken, fand in Seoul allerdings nur wenig Beifall. Trotzdem werden nun militärische Allianzen mit Südkorea, Australien und Indien wahrscheinlicher.

Die potentiellen gemeinsamen Feinde sind klar: China und Nordkorea. Panzerschlachten mit russischen Invasoren in den Ebenen der nördlichen Hauptinsel Hokkaido stehen für Japans Militärs schon lange nicht mehr auf dem Programm. Die Armee soll in den kommenden zehn Jahren auf 154000 Soldaten schrumpfen. Rund 200 Panzer und ebenso viele Artilleriegeschütze werden für die Kriege der Zukunft nicht mehr gebraucht. Statt im Norden soll der neue Schwerpunkt auf den sogenannten Nansei-Inseln zwischen der südlichen Hauptinsel Kyuschu und Okinawa liegen. Dazu gehört das rohstoffreiche Seegebiet um die Senkaku-Inseln, auf das auch China und Taiwan Anspruch erheben. Unmittelbar mit dem Territorialstreit zu tun hat auch, daß die Zahl der U-Boote von 16 auf 22 erhöht werden soll.

Künftig sollen alle sechs Luftabwehrraketengruppen des Landes über »Patriot«-PAC-3-Systeme verfügen, die es bisher nur in den Stützpunkten Iruma (Hauptstadtregion), Kasuga (Kyuschu) und Gifu (Nagoya, Osaka) gibt. Zudem sollen zwei weitere Zerstörer der Marine mit SM-3-Raketen ausgestattet werden, um feindliche Raketen abschießen zu können. Vier der sechs Zerstörer Japans verfügen bereits über entsprechende Waffensysteme.

Nicht erst seit der jüngsten Zunahme der Spannungen wird in Japan ein Raketenangriff aus Pjöngjang befürchtet, aber die Maßnahmen richten sich auch gegen China. Das zeigt sich zum Beispiel daran, daß auch Okinawa unter den Raketenschutzschirm genommen werden soll. Nordkorea dürfte an einem Angriff auf die Inseln im Süden herzlich wenig Interesse haben. Peking verfügt dagegen über reichlich Kurz- und Mittelstreckenraketen, die es derzeit vor allem auf das nicht weit entfernte Taiwan richtet, und wird im Streit um die Senkaku-Inseln sicher nicht klein beigeben. Seitdem die japanische Küstenwache dort im September ein chinesisches Fischerboot aufbrachte, hat sich das bilaterale Verhältnis allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz rasant verschlechtert.

Vermutlich werden nun auch die ersten »Next Generation«-Kampfjets angeschafft. Daß sich dabei der »Eurofighter« gegen die F-35 von Lockheed Martin durchsetzen kann, glaubt niemand. Auch die Aufträge für weitere Raketenabwehrsysteme werden die Taschen der US-Rüstungsindustriellen füllen. Als Sahnehäubchen für das Pentagon wird Japan auch künftig jedes Jahr 2,2 Milliarden Dollar »Schutzgeld« überweisen. So viel muß das Land dem US-Militär für seine Präsenz bezahlen. Gespart wird anderswo.

* Aus: junge Welt, 17. Dezember 2010


Zurück zur Japan-Seite

Zurück zur Homepage