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Venedig will "weg von Rom"

Klare Mehrheit für Unabhängigkeit von Italien. Lega Nord im Aufwind

Von Gerhard Feldbauer *

Von den Teilnehmern an einer Befragung über die Schaffung einer »unabhängigen und souveränen Republik Venezien« in der Region um Venedig haben 89,1 Prozent mit »ja« gestimmt. Mit gut 2,3 Millionen abgegebenen Stimmen lag die Teilnahme an dieser rechtlich nicht bindenden Abstimmung bei 63 Prozent aller Wahlberechtigten, wie die Initiatoren auf ihrer Homepage mitteilten. Auf die parallelen Fragen, ob dieses unabhängige Venedig der EU, der Euro-Zone und der NATO angehören solle, stimmten bei deutlich geringerer Beteiligung unterschiedlich starke Mehrheiten ebenfalls mit »ja«. Die sechstägige Umfrage war von der sezessionistischen Lega Nord initiiert und von der Landesregierung um Ministerpräsident Luca Zaia, der selbst der Lega angehört, zugelassen worden. Nun will die Regionalexekutive ein formelles Referendum auf den Weg bringen.

Hintergrund der Kampagne ist die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Hauptlasten von der Regierung in Rom auf die arbeitenden Menschen, ein Teil aber auch auf die Regionen und Kommunen abgewälzt werden. Historisch bedingt, konzentriert sich bis heute das italienische Industrie- und Finanzkapital im Norden, während der Süden als Reservoir von Agrarprodukten und billigen Arbeitskräften in bitterer Armut das Dasein eines Entwicklungslandes fristet und abhängig von den Almosen ist, die ihm Rom aus dem Norden zukommen läßt. Mit einflußreichen Kapitalkreisen im Hintergrund, wollen sich die reichen Nordregionen per Abspaltung dem Spardiktat der EU entziehen. So will der Veneto, eine der reichsten Regionen Europas, seine Steuereinnahmen von derzeit jährlich 70 Milliarden Euro nicht mehr in die Staatskasse abführen. Die Mehrheit der Bevölkerung dort will ihren Lebensstandard sichern und unterstützt das. So ist die Lega Nord in Veneto wie auch in der Lombardei stärkste Partei und stellt die Regierung und in mehreren Städten, zum Beispiel in Verona, den Bürgermeister. Die linke Tageszeitung L’Unità befürchtete deshalb am Sonntag, das Ergebnis in Venedig könne »einen Dominoeffekt« bei Umfragen in anderen Regionen haben.

Schon früher hatte die Lega Nord die sezessionistische Karte gespielt und gedroht, die Steuern zu boykottieren. Ihr früherer Chef Umberto Bossi drohte als Vizepremier der letzten Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi (2008 bis 2011) mit der Einführung einer eigenen Währung als erstem Schritt zu einem Separatstaat »Padanien«.

Die Partei entstand 1991 unter den Slogans »Weg von Rom« und »Hin zu Deutschland« aus den Ligen der Lombardei und des Veneto, Piemonts, Liguriens, der Romagna und der Toskana. Triebkräfte waren der Zusammenbruch des Ostblocks, die von Deutschland favorisierte Zerstückelung Jugoslawiens, die Spaltung der Tschechoslowakei und die nach der Einverleibung der DDR wieder erwachende deutsche Großmachtrolle. Die Lega propagierte eine historische Zugehörigkeit der Norditaliener zu Langobarden, Kelten und Franken. Durch dieses Konzept hindurch schimmerte die faschistische Blut-und-Boden-Ideologie, an deren Stelle die etwas weniger diskreditierten ethnischen und kulturellen Differenzen traten.

Die Lega verbreitet offenen Rassismus, auch gegen Süditaliener. So wurde der Fußballclub SSC Neapel bei einer Begegnung in Mailand mit Spruchbändern empfangen: »Was Hitler mit den Juden gemacht hat, wäre auch das Richtige für Napoli«. Bossi drohte, gegen die »römischen Schurken« seine Legisten »an die Gewehre rufen« zu wollen und äußerte, es sei leider »leichter, Ratten zu vernichten, als Zigeuner auszurotten«.

Ihre Forderungen nach regionaler Autonomie bis hin zu föderalen Strukturen entsprachen von Anfang an den Interessen der großen Unternehmer, sich am supranationalen »Alpengroßraum« der EU zu beteiligen. Zu den Förderern dieser Politik gehörten Konzerne wie Fiat. Der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher erklärte, der nördliche Teil Italiens werde entdecken, »daß er mehr gemeinsame Interessen mit Süddeutschland als mit Süditalien hat«. Der Corriere della Sera kommentierte, es gehe um die »Neuaufteilung des europäischen Raumes und die Eroberung neuer Einflußsphären«.

* Aus: junge welt, Montag, 24. März 2014


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