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Urnen- wird zum Krebsgang

Rückschlag für Partei von Premier Renzi bei den italienischen Regionalwahlen

Von Anna Maldini, Rom *

Am Sonntag wurde in sieben italienischen Regionen ein neuer Präsident und ein neues Parlament bestimmt. Die Wahlen brachten Ergebnisse, die allen Parteien komplexe Denkaufgaben stellen.

Die wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis aus den Regionalwahlen vom Sonntag ist, dass sich jetzt auch in Italien die Politikverdrossenheit überall breit macht. Die Wahlbeteiligung lag bei durchschnittlich 50 Prozent und gegenüber den letzten Regionalwahlen ist sie sogar um fast 20 Prozent gesunken. Dies ist allerdings ein Problem, mit dem sich bisher mehr die Politikwissenschaftler und Soziologen und weniger die Politiker selbst beschäftigt haben.

Politisch gibt es vor allem zwei Verlierer: Matteo Renzi und Silvio Berlusconi. Rein zahlenmäßig haben die Demokraten (PD) in fünf Regionen gewonnen und in zwei verloren. Sie nehmen der Rechten Kampanien mit Neapel ab und verlieren dafür Ligurien mit Genua.

Für Renzi endet so ein glänzender Siegeslauf, der mit seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten im April vergangenen Jahres begann und in der Europawahl im Mai 2014 gipfelte, bei der die Demokraten über 40 Prozent der Stimmen erhielten. Heute sind sie - insgesamt betrachtet - nur noch wenige Prozentpunkte vor der Fünf-Sterne-Bewegung, die zwar nirgendwo den Regionalpräsidenten stellt, aber überall mindestens 20 Prozent der Stimmen erhielt. Die Demokraten stützen sich bei ihren Siegen auf Koalitionen mit kleineren Gruppen und - zumindest in einigen Fällen - mit linken Parteien wie auf die SEL (Linke, Ökologie und Freiheit).

In Ligurien allerdings hat die Kandidatin der PD, Raffaella Paita, die Wahl verloren, weil sich der linke Parteiflügel abgespalten und einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat. Für Matteo Renzi läuten jetzt wohl die Alarmglocken, zumal er den linken Flügel der Partei bisher immer etwas von oben herab behandelt hat, nach dem Motto »Wenn ihr gehen wollt, dann geht doch«. Das muss und wird der Ministerpräsident jetzt noch einmal überdenken.

Tatsächlich haben die Gruppen, die links von der PD angesiedelt sind, nicht besonders gut abgeschnitten, wobei sie in den einzelnen Regionen in unterschiedlichen Koalitionen vertreten waren, was eine übergreifende Wertung schwierig macht. Die Tatsache, dass man in Ligurien mit den »Aussteigern der PD« zusammen knapp zehn Prozent der Stimmen erhalten hat, wird die Diskussion über eine einheitliche linke Partei oder Bewegung noch einmal entfachen.

Der zweite Verlierer ist zweifellos Silvio Berlusconi. Seiner Partei Forza Italia droht die Bedeutungslosigkeit. In den meisten Regionen, in denen jetzt gewählt wurde, erreichte sie noch nicht einmal die Zehn-Prozent-Grenze. Mit Abstand die stärkste Partei im rechten Lager ist jetzt die ausländerfeindliche Lega Nord mit ihrem jungen Vorsitzenden Matteo Salvini an der Spitze, der auf europäischer Ebene mit Marie Le Pen koaliert.

Und damit wären wir auch schon bei den Siegern - das sind eben die Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung. Die Lega ist überall in Italien und auch in den sogenannten roten Regionen im Zentrum präsent und liegt im Durchschnitt bei 15 Prozent. Sie hat ihre norditalienische Charakterisierung aufgegeben. Ihr »Feind« ist heute nicht mehr der Zentralstaat, sondern vielmehr Europa. Salvini spaltet die Gesellschaft, aber seine Slogans »Italien den Italienern« und »Migranten aussperren« haben im rechten Lager großen Rückhalt und es sorgt offensichtlich auch nicht für Erschrecken, dass unter seinen Verbündeten auch offen neofaschistische Gruppen sind.

Die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) von Beppe Grillo ist zweitstärkste Partei in Italien und inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen - es wäre daher ein Fehler, sie als reine und kurzlebige Protestpartei zu bezeichnen. Allerdings hat der ehemalige Kabarettist Grillo am Montag noch einmal bekräftigt, dass seine Partei keine Koalitionen bilden und höchstens punktuell mit anderen zusammenarbeiten werde. Für ihn bleibt gültig, was er seit Gründung der Bewegung im Oktober 2009 erklärt hat: »Wir werden dann regieren, wenn wir die Mehrheit der Bevölkerung vertreten.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 02. Juni 2015


Dämpfer für Renzi

Sozialdemokraten auf vorderen Plätzen bei Regionalwahlen in Italien

Von Gerhard Feldbauer **


Bei den Wahlen der Regierungschefs und der Parlamente in sieben italienischen Regionen belegte die sozialdemokratische Demokratische Partei (PD) von Ministerpräsident Matteo Renzi am Sonntag in fünf den ersten Platz. In der Toskana, Umbrien und den Marken behauptete sie ihre bisherige Mehrheit und baute sie weiter aus. In Ligurien verlor sie ihre bisherige Präsidentschaft an die rechtsextreme Forza Italia (FI) von Expremier Silvio Berlusconi. Renzi bekam dort die Opposition gegen seinen arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Kurs zu spüren. Gegen den Wunschkandidaten des italienischen Regierungschef trat ein Vertreter des linken Parteiflügels an. Dieser wurde unterstützt durch die Kommunisten von PRC und PCdI, die Linkspartei SEL und die Gewerkschaften. Zwar errang der Günstling von Renzi 27,9 Prozent und dessen linker Kontrahent neun Prozent, doch gewann die FI mit 34,5 Prozent.

In Venetien gewann die rassistische Lega Nord mit Unterstützung der FI den Urnengang. Im südlichen Kampanien schaffte es der PD-Kandidat, der bisherige Bürgermeister von Salerno, Vincenzo de Luca, den Lega-Bewerber zu schlagen.

In Kampanien war die Lega erstmals im Süden angetreten, um ihre neue Strategie zu testen: Verzicht auf die Abspaltung des Nordens vom Zentralstaat und statt dessen Ausrichtung als gesamtitalienische Partei. Dazu wetterte Lega-Chef Matteo Salvini gegen die Europäische Union, gegen den Euro und gegen »unkontrollierte Einwanderung«.

Im Durchschnitt der sieben Regionen liegt die PD mit 23,7 Prozent an der Spitze, gefolgt von der Protestbewegung »M 5 S« des früheren Starkomikers Beppe Grillo, die auf 18 Prozent kam. Die Lega verbesserte sich auf 12,5 Prozent, während die FI noch 10,7 Prozent erreichte. 4,2 Prozent wählten die Fratelli Italien (FdI), einen Nachfolger der faschistischen Alleanza Nazionale.

Die Kommunisten und die Linkspartei SEL unterstützten vielerorts die PD-Kandidaten. Gewählt wurden in über 1.000 Gemeinden auch die Bürgermeister. Die Sperrklausel betrug allgemein drei Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit 54 Prozent zehn Prozentpunkte unter der der letzten Regionalwahlen.

In den sieben von 20 Regionen war mit rund 23 Millionen Wählern knapp die Hälfte der Wahlberechtigten Italiener zu den Urnen gerufen. Deren Votum wurde als als nationaler Test für Renzi gewertet. Die regierungsnahe Zeitung La Repubblica nannte das Ergebnis trotz des Erfolgs »einen Stopp« für den Premier. Auf Ligurien bezogen, führte das Blatt als Ursachen die dortige Niederlage »die Spaltung der Partei« und Fehler in der Regierungspolitik an.

Renzi lehnt eine solche Wertung ab und sieht seine Position gestärkt. Im Wahlkampf hatte er geschickt laviert. So hatte er eine Einladung zur Jahresversammlung des Industriellenverbandes »Confindustria« ausgeschlagen und sich statt dessen zu den 70.000 Beschäftigten des Fiat-Chrysler-Werks nach Melfi bei Neapel begeben. Dort wurden kürzlich mehrere tausend Arbeiter neu eingestellt.

Beim Treffen mit John Elkann, Präsident des größten italienischen privaten Industrie- und Automobilkonzerns, stellte Renzi das als nachzuahmendes Beispiel heraus. Der Fiat-Chef wird zu den Förderern der PD-Regierung gezählt.

Im Wahlkampf versprach Renzi zudem etwa fünf Millionen Rentnern eine Anhebung ihrer Bezüge um jährlich 400 Euro. Die seit Jahren geforderte Reform des Schulwesens will er per Regierungsdekret beschleunigen und für die Festanstellung von 150.000 Lehrern drei Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 02. Juni 2015


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