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Friedensfest statt Randale - Italien straft Regierung und Polizei gleich zweimal Lügen

In duecentomila dicono no all'ampliamento della base Usa / Zweihunderttausend sagen Nein zur Erweiterung der US-Militärbasis

Der Stützpunkt der 173. Luftwaffenbrigade in Vicenza (Italien) soll vergrößert werden, um zusätzlich zu den derzeit etwa 2.750 Soldaten weitere 1.800 Soldaten aufnehmen zu können. Diese tun derzeit an zwei deutschen Standorten Dienst. Prodis Amtsvorgänger Silvio Berlusconi hatte den USA den Ausbau zugesagt. Die neue Regierung hält sich an dieses Wort und bekommt es mit dem Protest der Massen zu tun. So am 17. Februar 2007, als mindestens 100.000 Menschen gegen den Militärstützpunkt auf die Straße gingen. Neben dem friedenspolitischen Signal nach Rom wird die Demonstration gewisse nicht ohne Folgen für das Mitte-Links-Regierungsbündnis bleiben. Ein Teil des Kabinetts unterstützt den Protest.
"Bislang wurden keine Zwischenfälle gemeldet", berichtete am Nachmittag des Protestes dpa - fast so als warte man darauf, dass doch noch etwas passiert. Es passierte nichts - jedenfalls nichts, was die Medien in ihrer Berichterstattung vom eigentlichen Prottesttehma hätte ablenken können.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Berichte aus der Tagespresse. Die italienischen Zeitungen waren ebenfalls bass erstaunt über die Massendemonstration. "Il Manifesto" begann seinen Aufmacher: "Un enorme fiume umano invade la città veneta. In duecentomila dicono no all'ampliamento della base Usa e rilanciano il movimento contro la guerra."



Hunderttausend gegen US-Basis

Italiens Regierung hält an Zusage fest

Von Anna Maldini, Vicenza *

Zehntausende Demonstranten haben am Samstag in Vicenza friedlich gegen die Erweiterung eines Militärstützpunktes der USA protestiert.

»Die Angst wurde besiegt«, titelte eine große italienische Tageszeitung. Die Rede ist von der Demonstration gegen die Erweiterung einer Militärbasis der USA in der norditalienischen Stadt Vicenza, die linke Parteien, Gewerkschaften und die Friedensbewegung organisiert hatten. Weit über 100 000 Menschen protestierten am Samstag friedlich gegen den Bau.

In den letzten Tagen gab es in den italienischen Medien praktisch nur ein Thema: Was wird in Vicenza geschehen? Bleibt die Kundgebung friedlich oder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei? Innenminister Giuliano Amato warnte vor einer »explosiven Mischung aus gewaltbereiten Linksextremisten und Chaoten«. Angeheizt wurde die Diskussion, nachdem in der vergangenen Woche in Norditalien mutmaßliche Terroristen verhaftet worden waren. Sie sollen, so die Mailänder Staatsanwaltschaft, Attentate und Bombenanschläge nach dem Muster der »Roten Brigaden« geplant haben. Unter den Verhafteten, fast alles Männer und Frauen zwischen 40 und 50 Jahren, auch einige Mitglieder der größten italienischen Gewerkschaft, der CGIL.

Doch auch die größten Skeptiker mussten schließlich zugeben: Die Atmosphäre in Vicenza war am ehesten mit einem Volksfest zu vergleichen. Frauen und Kinder führten einen der beiden Protestzüge an, »bewaffnet« nur mit Luftballons und Konfetti. Es wurde getanzt und gelacht, nicht zuletzt während der Schlusskundgebung, auf der auch der Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo auftrat.

2000 Polizisten bewachten die Kundgebung, aber der wirkliche Ordnungsdienst lag in den Händen der CGIL, die in Nullkommanichts jeden isolierte, der die Veranstaltung hätten stören können oder wollen. Den größten Applaus erhielt eine Delegation Amerikaner, die sich mit dem Slogan »Not in our name«, »Nicht in unserem Namen«, in die Demonstration einreihte.

Wenn heute alle erleichtert sind, dass es in Vicenza friedlich abgelaufen ist, ist die politische Debatte über »Ederle 2« sicherlich noch nicht zu Ende. Der Stützpunkt der 173. Luftwaffenbrigade in Vicenza soll vergrößert werden, um zusätzlich zu den derzeit etwa 2750 weitere 1800 Soldaten aufnehmen zu können. Ministerpräsident Romano Prodis Amtsvorgänger Silvio Berlusconi hatte den USA den Ausbau zugesagt. Prodi erklärte, dass die Demonstration nichts an dem Ja der Regierung zur Erweiterung des Stützpunktes ändere. Ganz anderer Ansicht sind die zur Mitte-Links-Koalition gehörenden Grünen und Kommunisten, die seit eh und je gegen die Entscheidung vom Januar waren. Oliviero Diliberto, Sekretär der Italienischen Kommunisten: »Die Regierung wird nicht an der Frage des Stützpunktes scheitern. Aber sie darf auch nicht so tun, als sei nichts geschehen: Die Menschen, die in Vicenza auf die Straße gegangen sind, sind alles unsere Wähler!«

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2007


Friedliche Übermacht

Von Damiano Valgolio **

Am Ende sind alle Erwartungen der Veranstalter übertroffen worden: 200000 Menschen protestierten am Samstag in Norditalien gegen den geplanten Ausbau des US-Militärstützpunktes in Vicenza. Die Polizei sprach von bis zu 80000 Demonstranten. Versammelt hatte sich eine friedliche Armee, dieselbe bunte Mischung, die seit Jahren in Italien und in der ganzen Welt auf der Straße zu sehen ist: Pax Christi und Gewerkschaften, Pfadfinder und Autonome, bewaffnet mit Regenbogenflaggen, selbstgemalten Schilder und roten Fahnen. Dazu ein bißchen Wendland-Stimmung auf italienisch: »Wenn sie hier bauen wollen, müssen sie uns vorher bombardieren«, erklärte der Literaturnobelpreisträger Dario Fo, der sich an dem Protestmarsch am Samstag beteiligte. Auf den Transparenten ein abgewandelter Klassiker der internationalen Friedensbewegung: »Make Love not Air-Bases«.

In der 100000-Einwohner-Stadt Vicenza starteten bereits 1999 die Bomber der NATO ihre Angriffe gegen Jugoslawien. Nun will die US-Armee ihre Air Base »Ederle« zum größten Militärstützpunkt in Europa ausbauen. Ein riesiges Sprungbrett auf den Balkan und in den Mittleren Osten, nur 150 Kilometer von der kroatischen Grenze entfernt. Die Fläche der Basis soll nahezu verdoppelt werden und mehr als 4500 amerikanischen Soldaten von der 173. Luftlandebrigade Platz bieten.

Doch auf »die schnelle Kampf- und Eingreiftruppe in Europa« (Pentagon-Homepage) wartet die feindlich Übermacht der italienischen Bevölkerung, das zeigte der Megaprotest gegen den Stützpunktausbau am Samstag. Auch die größte italienische Gewerkschaft CGIL nahm an der Demonstration teil, ebenso die Vorsitzenden der Parteien des linken Flügels der Regierungskoalition von Ministerpräsident Romano Prodi. Rifondazione Comunista, die Grünen und die Partei der Italienischen Kommunisten mobilisierten mit Sonderzügen ihre Anhänger nach Vicenza.

Bei Prodi selbst dürften die Massenproteste indes für schlaflose Nachte sorgen. Seine Mitte-Links-Koalition hatte vor rund einem Monat bereits grünes Licht für den Ausbau des Stützpunktes gegeben, gegen die Stimmen der grünen und kommunistischen Minister. »Wir werden unsere internationalen Verpflichtungen einhalten«, erklärte Prodi am Sonntag. Die Vergrößerung der Air Base war bereits von der Vorgängerregierung von Silvio Berlusconi mit den USA vereinbart worden.

Die Linke dagegen gibt sich nach dem Mobilisierungserfolg vom Wochenende kämpferisch. »Die Demonstration war eine Lektion in Sachen Demokratie«, erklärte etwa Sozialminister Paolo Ferrero von Rifondazione Comunista, »das Volk hat gesprochen, jetzt muß die Regierung hören.« Seine Partei fordert nun ein Referendum in der betroffenen Region, wo Umfragen zufolge rund zwei Drittel der Bevölkerung den Ausbau ablehnen. Außerdem fordern die linken Parteien den Rückzug der italienischen Truppen aus Afghanistan. Prodi hatte erst in der vergangenen Woche erklärt, daß die rund 1900 italienischen Soldaten langfristig am Hindukusch bleiben sollen. Für Mittwoch ist eine Aussprache im Parlament vorgesehen. Mitte März soll im Parlament und im Senat, wo die Regierungskoalition nur über eine Mehrheit von zwei Stimmen verfügt, über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats entschieden werden. Fünf linke Senatoren, darunter die Mutter des 2001 in Genua erschossenen Demonstranten Carlo Giuliani, verweigern bislang ihre Zustimmung.

** Aus: junge Welt, 19. Februar 2007


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