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Eisiges Klima zwischen Rom und Bozen

Südtirol boykottiert Feiern zum 150. Gründungstag Italiens

Von Manfred Maurer, Wien *

Die Feiern zum 150. Jahrestag der Gründung des Königreiches Italien am 17. März sorgen für Irritationen: Die Provinz Südtirol verweigert sich. Sie will die 1919 erzwungene Angliederung an Italien nicht feiern.

Am 17. März steigt in Turin das große Jubelfest: Italien feiert den Jahrestag der nationalen Einheit, die an diesem Tag vor genau 150 Jahren mit der Ausrufung des Königreichs erreicht worden war. Das ganze Jahr über sind im ganzen Land Einheitsfeiern geplant.

Die Regierung in Rom hat alle Regionen eingeladen, an der zentralen Feier in Turin teilzunehmen und Exponate für eine Ausstellung zu dem historischen Gedenktag zur Verfügung zu stellen. Eine Provinz will aber partout nicht jubilieren: »Alto Adige« – bekannt als Südtirol. »Das kann niemand von uns verlangen«, lehnte Landeshauptmann Luis Durnwalder jegliche Teilnahme an irgendwelchen Jubiläumsveranstaltungen ab. Von Südtirol könne nicht erwartet werden, die Abtrennung von Österreich zu feiern. Schließlich sei Südtirol 1861 noch gar nicht dabei gewesen. Und wenn man schon die nationale Einheit feiere, so Durnwalder, dann gehöre auch dazu, was danach passiert sei. In Bozen denken die deutschsprachigen Italiener dabei an die erzwungene Angliederung Südtirols an Italien und an das den Südtirolern vorenthaltene Selbstbestimmungsrecht.

Wieder einmal bricht eine alte Wunde auf, die eigentlich schon weitgehend verheilt schien. Südtirol hatte bis 1919 zu Österreich-Ungarn gehört, ehe es mit dem Friedensvertrag von St. Germain von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges Italien zugeschlagen wurde. Nach jahrzehntelangem Ringen, in dem es anfangs um eine Rückkehr zu Österreich, dann um eine weitgehende Autonomie gegangen war, haben sich die Südtiroler mit der Realität arrangiert. Ernstzunehmende Sezessionstendenzen gibt es schon lange nicht mehr. Das von der Schutzmacht Österreich überwachte Autonomiestatut gibt den Südtirolern politische und finanzielle Gestaltungsspielräume, von denen österreichische Bundesländer nur träumen können. Der Ruf nach dem Selbstbestimmungsrecht ertönt daher nur noch aus dem rechten Lager diesseits und jenseits des Brenners.

Ärgernisse wie die 150-Jahr-Feier lassen jedoch nationalistische Reflexe wieder hochkommen. In Rom gibt es für den Bozener Jubelboykott wenig Verständnis. Premier Silvio Berlusconi hat zwar gerade andere Sorgen, aber von Staatschef Giorgio Napolitano abwärts fühlten sich gleich mehrere hochrangige Vertreter des Staates berufen, den Südtiroler Sturköpfen die Leviten zu lesen. Napolitano brachte in einem Schreiben an Durnwalder »Überraschung und Bedauern« zum Ausdruck. Auch die deutschsprachige Gemeinschaft gehöre zu Italien, betonte der Präsident und stellte eine Behauptung auf, die in Bozen die Wogen erst recht wieder hoch gehen ließ: Die deutschen Südtiroler fühlten sich zum Großteil italienisch.

Der Südtiroler Schützenbund schoss scharf zurück: »Der Pass ist notgedrungen wohl das Einzige, was viele Südtiroler mit den Bewohnern Altitaliens wirklich gemeinsam haben«, heißt es in einer Erklärung der Schützen, in der Südtirol als »italienische Kriegsbeute« bezeichnet wird. Mit seinem Brief bestätige Napolitano, »dass sich Südtirol eher heute als morgen von Italien verabschieden sollte«.

Da ist er wieder, der Ruf nach dem Selbstbestimmungsrecht und nach der Wiedervereinigung mit Nordtirol. Die EU braucht sich aber wohl keine Sorgen zu machen, demnächst einen neuen Nationalitätenkonflikt am Hals zu haben. Südtiroler und Italiener haben nämlich doch eines gemeinsam: So schnell sich die Gemüter erhitzen, so schnell beruhigen sie sich erfahrungsgemäß auch wieder.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Februar 2011


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