Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir haben schon bezahlt"

Italiens Staatsangestellte streiken gegen Kürzungspolitik der Regierung

Von Micaela Taroni, Rom *

Tausende italienische Beamte und Angestellte haben am Freitag im ganzen Land die Arbeit niedergelegt, um gegen die Einschnitte zu protestieren, die die Regierung von Ministerpräsident Mario Monti in der öffentlichen Verwaltung plant. Zehntausende Menschen beteiligten sich allein in Rom an einer großen Kundgebung der Gewerkschaftsverbände CGIL und UIL. Mit Losungen wie »Wir haben schon bezahlt« zogen sie unter einem Meer von roten und blauen Fahnen ihrer Organisationen und unzähligen Luftballons durch die Straßen der italienischen Hauptstadt von der Piazza della Repubblica zur Piazza Santi Apostoli. Dem Protest schlossen sich auch die Studenten der Universität an, die gegen Zugangsbeschränkungen und höhere Studiengebühren demonstrierten. Die Gewerkschaften Griechenlands und Spaniens hatten ebenfalls Solidaritätsdelegationen entsandt.

»Schluß mit den Opfern. Die Beamten haben bereits einen hohen Preis für die Krise gezahlt. Jetzt verlangen wir Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit«, rief CGIL-Chefin Susanna Camusso, die den Demonstrationszug anführte, den Teilnehmern zu. Die Gewerkschaften befürchten Arbeitsplatzverluste, da die Regierung angekündigt hat, prüfen zu wollen, in welchen Bereichen der Verwaltung Personal »überschüssig« ist. Man werde versuchen, neue Stellen für die betroffenen Angestellten zu finden, versicherte Monti. Sollte dies nicht möglich sein, werde es zu Kündigungen kommen, verlautete jedoch bereits aus Regierungskreisen. Monti will bis 2014 rund 26 Milliarden Euro der öffentlichen Verwaltung wegnehmen. Dazu sollen 10000 Beamtenstellen abgebaut und 20 Prozent aller Führungsposten gestrichen werden. Für fünf Beamte, die in den Ruhestand gehen, soll nur noch eine Person neu angestellt werden. »Nicht bei den Beamten, sondern bei den Ausgaben für die Politiker sollte die Regierung den Rotstift ansetzen«, forderte hingegen der Chef des Gewerkschaftsverbands UIL, Luigi Angeletti.

Premier Monti hat unterdessen entgegen früherer Äußerungen ein Weitermachen nach der Parlamentswahl im kommenden Frühjahr nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Wenn er im Falle ungeklärter Mehrheitsverhältnisse darum gebeten werde, »wäre ich da«, sagte er am Donnerstag in einer Ansprache vor dem »Council of Foreign Relations« in New York. Er werde allerdings bei den kommenden Wahlen nicht kandidieren, schließlich sitze er bereits als Senator auf Lebenszeit im Parlament. Sollten jedoch nach der Abstimmung »gewisse Umstände« auftreten, sei er bereit, »dem Land zu helfen«.

Italiens Rechte fürchtet diese Möglichkeit. Monti solle »eine Partei gründen und seine Kandidatur für die Parlamentswahlen einreichen. Sollten die Wähler entscheiden, daß er der Richtige ist, ist alles in Ordnung«, wetterte Ignazio La Russa von Silvio Berlusconis Rechtspartei Volk der Freiheit (PDL).

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. September 2012


Zurück zur Italien-Seite

Zurück zur Homepage