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Soldaten gegen Demonstranten

Italiens Regierung weitet nach Protesten gegen Steuerbehörde Repression aus

Von Michaela Taroni, Rom *

Die Steuereinzugsgesellschaft Equitala ist derzeit die unbeliebteste Institution Italiens in einer Phase, in der die Beziehungen zwischen dem Staat und den Bürgern so schlecht sind wie noch nie. Fast täglich kommt es zu Protesten vor Filialen der Agentur. Die Bevölkerung beklagt sich über die hohe Abgabenquote und die geringe Qualität der öffentlichen Verwaltung.

Am vergangenen Freitag (11. Mai) hatten in Neapel ungefähr 600 Menschen vor dem lokalen Sitz der Agentur demonstriert. Sie forderten von der Regierung Maßnahmen für mehr Beschäftigung. Einige Demonstranten warfen Eier, Flaschen und Steine gegen den Eingang des Equitalia-Büros. Einer Gruppe gelang es, mit Hilfe von Müllcontainern die Polizeisperre vor dem Sitz der Steuerbehörde zu durchbrechen. Einen Tag später wurde in Livorno das Equitalia-Büro von Unbekannten mit zwei Molotowcocktails beworfen.

Im sizilianischen Termini Imerese belagern auf Kurzarbeit gesetzte Arbeitnehmer des inzwischen aufgelösten Fiat-Produktionswerks seit Freitag den Sitz von Equitalia. Sie warnten, daß sie das Gebäude nicht verlassen würden, bevor sie nicht Garantien für eine Beschäftigung erhielten.

Einige Tage zuvor hatte ein Kleinunternehmer den Amtssitz der Steuerbehörde in einer Ortschaft nahe der lombardischen Stadt Bergamo überfallen und 15 Menschen als Geiseln genommen. Als Motiv für seine Tat gab er finanzielle Schwierigkeiten an.

An Steuerzahler verschickt Equitalia jedes Jahr Mahnbriefe mit einer Zahlungsfrist von 60 Tagen. Reagiert man nicht, wird das Auto beschlagnahmt. Wer als Hauseigentümer seine Steuerschulden nicht bezahlt, läuft Gefahr, eine Hypothek von Equitalia aufgebrummt zu bekommen.

Die Regierung kündigt nun hartes Durchgreifen gegen die Proteste an. »Der Fiskus ist zum neuen Feind geworden, das ist inakzeptabel. Wer Equitalia angreift, greift den italienischen Staat an«, warnte Innenministerin Anna Maria Cancellieri. Bis zu tausend Soldaten will die Regierung einsetzen, um Filialen der Agentur und andere Einrichtungen zu schützen.

Auch für mutmaßlich gefährdete Persönlichkeiten wurden die Sicherheitsvorkehrungen bereits verschärft. Personenschutz wurde unter anderem dem Geschäftsführer des italienischen Rüstungskonzerns Finmeccanica, Giuseppe Orsi, gewährt. Die anarchistische Organisation FAI hatte vergangene Woche Anschläge gegen das Unternehmen angekündigt. Auch für Manager der Finmeccanica-Atomtochter, Ansaldo Nucleare, wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. FAI hatte sich zum Attentat auf den Geschäftsführer von Ansaldo Nucleare, Roberto Adinolfi, bekannt. Dieser war vor einer Woche in Genua auf offener Straße angeschossen worden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. Mai 2012


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