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Kampf um die Republik

Vor 65 Jahren stürzten Italiens Antifaschisten die Monarchie

Von Gerhard Feldbauer *

Als Ende April 1945 in Italien der Sieg über den deutschen und italienischen Faschismus errungen war, hatte die antifaschistische Befreiungsbewegung, die in der Endphase im bewaffneten Aufstand mehr als eine halbe Million Partisanen zählte, dazu einen historischen Beitrag geleistet. Bereits Anfang 1944 mußte die Wehrmacht 15 Divisionen gegen diese einsetzen. Die Partisanenarmee hatte ab Mitte April 1945 zwischen Piemont und Venetien auf einer Breite von 400 Kilometern die Stellungen der Wehrmacht angegriffen, das X. Panzerkorps zur Kapitulation gezwungen und insgesamt etwa 200000 deutsche Soldaten gefangengenommen. Während des bewaffneten Aufstandes befreite sie über 200 Städte, darunter alle Großstädte Norditaliens. Mailand wurde nach schweren Kämpfen am 27. April eingenommen, fünf Tage vor dem Eintreffen der Alliierten am 2. Mai.

Nach der Okkupation Nord- und Mittelitaliens durch die Hitlerwehrmacht im Jahr 1943 hatten Kommunisten (IKP) und Sozialisten (ISP) zusammen mit den bürgerlichen Oppositionsparteien ein Nationales Befreiungskomitee (CLN) gebildet. Im April 1944 traten dessen Vertreter in das im Juli des Vorjahres nach dem Sturz Mussolinis unter Marschall Pietro Badoglio gebildete Kabinett ein (»Wende von Salerno«), das damit den Charakter einer antifaschistischen Einheitsregierung annahm. Der einzige gemeinsame Nenner der Zusammenarbeit in dem Kriegskabinett, wie es in Anknüpfung an Churchill hieß, war der Kampf gegen das Besatzungsregime Hitlerdeutschlands und seiner Vasallen. Obwohl die IKP klarstellte, daß die Nachkriegsordnung »die Liquidierung all dessen beinhalten« müsse, »was an reaktionären und faschistischen Kräften verbleibt«, wurden die sozialen Fragen nicht grundsätzlich thematisiert. Das ging, wie Georgi Dimitroff in seinen Tagebüchern festhielt, darauf zurück, daß IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti sich an die in einer Kominternweisung von Stalin gegebene Linie hielt, mit Blick auf die Schaffung einer Antihitlerkoalition »die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen«.

Vom Referendum ...

Zu der von der linken Basis erhobenen Forderung nach Beseitigung der Monarchie wurde ein Kompromiß geschlossen: Das CLN setzte die Abdankung des Königs durch, der jedoch Kronprinz Umberto zum Statthalter ernennen durfte, dem allerdings wesentliche Rechte des Staatschefs nicht zugestanden wurden, so die Berufung des Ministerpräsidenten, die das CLN vornahm. Die Entscheidung über die Staatsform sollte nach Kriegsende durch eine verfassungsgebende Versammlung erfolgen.

Schon kurz nach Kriegsende kam es zu dem, was Lenin die Umgruppierung der Klassenkräfte genannt hatte. Aus Verbündeten im Befreiungskrieg gegen Hitlerdeutschland wurden Gegner auf verschiedenen Seiten des Kampfes um ein antifaschistisches Nachkriegs-Ita­lien. Gegen die Forderungen der Linken (Kommunisten, Sozialisten und der mit ihnen verbündeten radikaldemokratischen Aktionspartei) nach revolutionär-demokratischen und antiimperialistischen Veränderungen formierte sich ein konterrevolutionärer Block. Toleriert und auch offen unterstützt von der US-amerikanischen Besatzungsmacht, bestand er aus großbürgerlichen Rechtskräften, Monarchisten, Latifundistas und den Faschisten, die sich bereits im August 1945 in verdeckten Formen als Uomo Qualunque (Jedermann) neu organisierten. In den Mittelpunkt der antifaschistisch-demokratischen Forderungen der Linken rückte die nach dem Sturz der Monarchie, die dem Faschismus 1922 an die Macht verholfen und bis 1943 neben Kapital und Kurie seine wichtigste Stütze gebildet hatte. Im Dezember 1945 gelang es den Rechtskräften in der Regierung mit knapper Mehrheit, an Stelle des Aktionisten Ferrucio Parri den Christdemokraten Alcide De Gasperi zum Regierungschef zu berufen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war der Bruch der Vereinbarung vom Juni 1944, über die Frage der Staatsform durch die verfassungsgebende Versammlung zu entscheiden. Die Regierung beschloß, darüber für den 2. Juni 1946 ein Referendum und gleichzeitig die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung anzuberaumen.

In dieser Situation fanden im März 1946 die ersten Wahlen nach Kriegsende statt. Es waren die Kommunalwahlen in 5722 von insgesamt 7294 Städten und Gemeinden, die so einen nationalen Querschnitt darstellten. Die Hoffnung der großbürgerlichen und rechten Kreise, bei diesem Wahlgang den Einfluß der Linken entscheidend zurückzudrängen, erfüllte sich nicht. Zwar erreichte die christdemokratische Partei (Demokrazia Cristiana, DC) etwa 50 Prozent der Stimmen, Kommunisten und Sozialisten dennoch beachtliche 40 Prozent. Die DC verfügte nach den Wahlen in 2534 Kommunen und IKP und ISP in 2289 über eine parlamentarische Mehrheit. In etwas weniger als einem Drittel (28 von 93) der Provinzhauptstädte stellten IKP oder ISP den Bürgermeister, darunter in Genua, Turin, Bologna und Florenz. Aus Furcht vor einem neuen linken Wahlsieg begannen die Monarchisten, unterstützt von Faschisten und dem faschistenfreundlichen Papst Pius XII., eine wütende Hetze gegen das Referendum. Mit der Ausrufung des Prinzregenten zum König Umberto II. am 9. Mai wurde auch das Abkommen über die Statthalterschaft gebrochen.

... zur Flucht des Königs

Im Referendum erzielte die Resistenza mit 12717923 Stimmen für die Republik, das waren 54,3 Prozent, einen Sieg. Immerhin sprachen sich 45,7 Prozent, das waren 10719284 Wähler, für die Monarchie aus, darunter, wie Wahlanalysen belegten, nicht wenige Anhänger der DC. Schon auf deren Parteitag im April 1946 hatten sich nur 60 Prozent der Delegierten für die Republik ausgesprochen. Der Kongreß hatte jedem Mitglied der Partei und ihren Anhängern freigestellt, nach »ihrem Gewissen« zu entscheiden. Bei der Abstimmung zur verfassungsgebenden Versammlung erreichten die DC 35,2, die ISP 20,7 und die IKP 18,9 Prozent. Die Aktionspartei, die im antifaschistischen Widerstand eine aktive Rolle gespielt hatte, erreichte nur 1,5 Prozent. Die von De Gasperi mit Billigung der Besatzungsmacht zur Wahl zugelassene faschistische Uomo-Qualunque-Bewegung kam auf 5,3 Prozent.

Umberto weigerte sich, die Niederlage anzuerkennen. Monarchisten und Faschisten entfesselten im ganzen Land, vor allem aber im Süden, wo unter den zum Teil noch halbfeudalen Verhältnissen und des kaum von Faschisten gesäuberten Staatsapparates eine Mehrheit für das Königshaus gestimmt hatte, blutige Auseinandersetzungen, um wegen angeblicher »Unregelmäßigkeiten« eine Annullierung der Referendumsergebnisse durchzusetzen. Als die Linke Massendemonstrationen für die Republik organisierte, floh Umberto ins faschistische Spanien, von wo aus er weiter gegen die Republik hetzte. Nachdem die Königsfamilie und ihre Anhänger bei ihrer feindseligen Haltung gegenüber der Republik blieben, wurden sie aus Italien ausgewiesen und in der Verfassung für die männlichen Savoyer ein Rückkehrverbot festgeschrieben.

Die Verfassungskampagne

Nach dem Sturz der Monarchie wurde die am 25. Juni 1946 eröffnete verfassungsgebende Versammlung zu einem entscheidenden Terrain des Kampfes um antifaschistisch-demokratische Veränderungen. Das im Referendum erreichte Kräfteverhältnis zwang zu Kompromissen und gegenseitigen Zugeständnissen. So wurde Umberto Terracini von der IKP mit den Stimmen der DC zum Präsidenten der Konstituante gewählt, während die IKP für den Liberalen Enrico De Nicola als provisorisches Staatsoberhaupt votierte.

Die Verfassung schrieb die republikanische Staatsform fest, deklarierte zum ersten Mal in der italienischen Geschichte die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament, verkündete bürgerliche Grundrechte und verankerte die zentrale Rolle des Parlaments und seine Wahl (die Abgeordnetenkammer) nach dem Verhältniswahlrecht. Als zweite Kammer legte sie einen Senat, den es bereits unter der Monarchie gab, fest.

Es gelang den Linken, in der Resistenza vertretene antifaschistisch-demokratische und politisch-soziale Grundsätze in der Costituzione zu verankern. Das kam u. a. in der Verkündung des 25. April, dem Beginn des allgemeinen bewaffneten Volksaufstandes, als Staatsfeiertag zum Ausdruck, was die Geburt der Republik als ein Ergebnis des Widerstands charakterisierte.

Als ein verhängnisvoller Kompromiß erwies sich die Zustimmung der IKP zur Aufnahme der zwischen Mussolini und dem Vatikan 1929 geschlossenen Lateranverträge in die Verfassung, was die Rechtskräfte in der DC und den Einfluß der Kurie auf den Staat stärkte.

Die erreichten Erfolge weckten Illusionen, auf diesem Weg vorwärtsschreiten zu können, was längerfristig nicht eintrat. Die italienische Verfassung gehörte dennoch insgesamt zu den fortschrittlichsten Grundgesetzen westeuropäischer Staaten dieser Zeit. Sie wurde am 22. Dezember 1947 mit 453 Für- und 62 Gegenstimmen verabschiedet und am 1. Januar 1948 in Kraft gesetzt.

* Aus: junge Welt, 28. Mai 2011


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