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Silvio Berlusconis schwierigster Prozess

Amtsmissbrauch und Prostitution – Italiens Premier vor Gericht

Von Anna Maldini, Rom *

In Mailand beginnt heute (6. Apr.) der Prozess, in dem Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi wegen Prostitution mit Minderjährigen und Amtsmissbrauch angeklagt ist. Hunderte von Journalisten und Fernsehteams aus der ganzen Welt wollen das Verfahren verfolgen, das – so hat es die Auslosung ergeben – von drei Richterinnen entschieden werden wird.

Der Anklagepunkt »Amtsmissbrauch« erscheint relativ klar. Im Mai vergangenen Jahres hat Silvio Berlusconi im Polizeipräsidium von Mailand angerufen und sein Amt – das des Ministerpräsidenten – geltend gemacht, um Recht zu beugen. Er erklärte, dass das junge Mädchen, das dort wegen Diebstahls festgehalten wurde, die Nichte (oder Enkelin, die italienische Sprache macht da keinen Unterschied) des damals noch amtierenden ägyptischen Staatschefs Mubarak sei, und verlangte ihre Freilassung, um »diplomatische Verwicklungen« zu vermeiden.

Da man eine Minderjährige aber nicht so einfach mitten in der Nacht vor die Tür schicken kann (angemessen wäre die Einweisung in eine betreute Unterkunft gewesen), schickte Berlusconi die Mailänder Regionalabgeordnete Nicole Minetti, um das Mädchen in Empfang zu nehmen. Nur der Hartnäckigkeit der Jugendrichterin, die in jener Nacht Dienst hatte, ist es zu verdanken, dass all das überhaupt ans Licht kam – weil sie sich weigerte, das Entlassungsformular zu unterzeichnen.

Für die Starverteidiger von Berlusconi wird es schwierig sein, den Kopf des berühmten Angeklagten aus dieser Schlinge zu ziehen, da kaum jemand glauben kann, dass der italienische Ministerpräsident tatsächlich dachte, das junge marokkanischen Escortgirl »Ruby«, das Monate bei ihm ein und aus ging, sei mit dem ägyptischen Machthaber verwandt. Aber selbst wenn dem so gewesen sein sollte, hätte es ihm nicht das Recht gegeben, Staatsbeamte dazu anzuhalten, geltendes Recht zu brechen.

Komplexer wird der Prozess beim Anklagepunkt »Prostitution mit Minderjährigen«. Dass Karima (so heißt das Mädchen tatsächlich) damals noch keine 18 Jahre alt war, ist erwiesen, und auch die Tatsache, dass Berlusconi dies angeblich nicht wusste, spielt dabei keine Rolle. Aber: Hat er sie wirklich für ihre sexuellen Dienstleistungen bezahlt?

Berlusconi streitet ab, dass er Sex mit ihr hatte und dass er sie für irgendetwas bezahlt hat. Ersteres wird man kaum direkt nachweisen können, doch haben die Richterinnen eine Reihe von indirekten Beweisen in der Hand. Ruby/Karima hat von Berlusconi große Geldsummen und Schmuck erhalten, was er damit begründet, er hätte dem jungen Mädchen mit trauriger Kindheit helfen wollen.

Doch Geld, Schmuck und andere »Geschenke« erhielten auch zahlreiche andere junge Frauen, die bei den Festen in Berlusconis Villa in Arcore bei Mailand dabei waren. Und aus den Telefonmitschnitten, die von den Untersuchungsrichtern im vergangenen Jahr angeordnet worden waren, geht hervor, dass hier sehr wohl sexuelle Handlungen im Spiel waren und es sich nicht um »elegante Abendessen« handelte, wie der italienische Ministerpräsident immer wieder behauptet hat. So ist es kaum glaubhaft, dass Berlusconi all die anderen für ihre Dienste bezahlt hat und nur bei der Marokkanerin eine Ausnahme machte, obwohl er ja angeblich gar nicht wusste, dass sie damals noch minderjährig war.

Inzwischen ist bewiesen, dass der 75-Jährige Dutzende von jungen Frauen um sich versammelt hat, aus denen er sich dann die Gefährtin für den jeweiligen Abend aussuchte. Er bezahlte sie wahlweise mit Geld, Schmuck, mietfreien Wohnungen oder kleinen Fernsehrollen, aber auch mit Posten in verschiedenen Institutionen.

Berlusconi und seine Verteidigung werden jetzt versuchen, den Straftatbestand in den Hintergrund zu rücken und sich stattdessen mit »moralischen Dimensionen« zu befassen. Es sei doch Berlusconis Privatangelegenheit – so heißt es auch in Zeitungen, die dem Ministerpräsidenten und seinem Machtsystem nahe stehen –, wie und mit wem er seine Abende und Nächte verbringe. Das habe weder die Öffentlichkeit noch die Justiz zu interessieren.

Jetzt bleibt allerdings abzuwarten, wie weit sich die drei gestandenen Richterinnen überhaupt auf diese Argumentation einlassen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 6. April 2011


Maßgeschneiderte Gesetze

Der Regierungschef hat sein eigenes Recht geschaffen **

Wieder einmal steht Silvio Berlusconi vor Gericht. Und wieder einmal setzt er alle seine Machthebel in Bewegung, um Normen und Gesetze so zu ändern, dass es zu keiner Verurteilung kommen kann. In Italien nennt man diese Gesetze »ad personam«, also legislative Maßnahmen, die nur einer Person zu Gute kommen.

16 Mal war Silvio Berlusconi in den letzten Jahren in einem Strafrechtsprozess angeklagt. Derzeit laufen noch vier Prozesse – die anderen sind sang- und klanglos untergegangen. Aber nur in drei Fällen wurde der heutige Ministerpräsident tatsächlich freigesprochen. Fünf Mal lief die Verjährungsfrist ab, bevor der Prozess zu Ende geführt werden konnte; zwei Mal gab es eine Amnestie und weitere zwei Mal wurden die Verhandlungen abgebrochen, weil in der Zwischenzeit eine auch rückwirkend gültige Gesetzesänderung erfolgt war.

Schon aus diesen Zahlen wird klar, dass der amtierende Ministerpräsident bei all seinen Prozessen vor allem auf zwei Verteidigungsstrategien setzt. Auf der einen Seite versuchen die Anwälte (fast alles Parlamentarier seiner Partei), die Prozesse so weit wie möglich in die Länge zu ziehen, damit es zu einer Verjährung kommt; und offensichtlich ist dies eine harte Arbeit, wenn es stimmt, dass Berlusconi in den vergangenen Jahren etwa 135 Millionen Euro an Anwaltskosten gezahlt hat, wie er selbst erklärte.

Wenn diese Strategie nicht Erfolg versprechend ist, dann ändert man kurz entschlossen die Gesetzeslage, um alle Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Natürlich wäre der einfachste Weg, ein Gesetz zu verabschieden, das Berlusconi allgemein vor Strafverfolgung schützt; aber diese Versuche einer umfassenden Immunität wurden stets vom Verfassungsgericht gestoppt.

Auch bei den vier noch laufenden Prozessen will man wieder den Weg der Gesetzesänderungen einschlagen. Derzeit debattiert das Parlament gleich über zwei Vorschläge, die in diese Richtung gehen. Zum einen will man die Verjährungsfristen für Angeklagte heruntersetzen, wenn diese nicht vorbestraft und über 65 Jahre alt sind. Es ist schon schwer, daran zu glauben, dass dieses Gesetzt nicht persönlich auf Berlusconi zugeschnitten ist.

Der zweite Vorschlag, der den Parlamentariern vorliegt, will die Prozesszeiten insgesamt reduzieren: Man will von vornherein festlegen, wie lange ein Prozess in den Instanzen dauern darf. Sollten die Richter, egal warum auch immer, länger brauchen, dann wird das Verfahren eingestellt.

Was den Prozess wegen Prostitution mit Minderjährigen und Amtsmissbrauch angeht, der heute beginnt, haben die Verteidiger (und mit ihnen die Regierungsparteien) noch einen anderen Versuch gestartet: Sie bestreiten, dass das Mailänder Gericht für diesen Fall zuständig ist und haben das Parlament eingeschaltet, damit dieses die Frage vor das Verfassungsgericht bringt. Eine entsprechende Entscheidung ist am Dienstagnachmittag im Abgeordnetenhaus mit einer Mehrheit von zwölf Stimmen gefällt worden.

Die Opposition läuft gegen all diese Maßnahmen Sturm und hat für die kommenden Tage mehrere Demonstrationen vorbereitet. Tatsache ist aber, dass Berlusconi zumindest noch über eine knappe Parlamentsmehrheit verfügt, mit der er jedes Gesetz – und sei es noch so absurd – erst einmal verabschieden kann. Anna Maldini

** Aus: Neues Deutschland, 6. April 2011


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