Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hartes Urteil schafft keine Klärung

Im Prozess um CIA-gesteuerte Entführung: Zehn Jahre Haft für Italiens ehemaligen Militärgeheimdienstchef

Von Anna Maldini, Rom *

Nicolò Pollari, ehemals Leiter des italienischen Geheimdienstes SISMI, und sein damaliger Vize Marco Mancini sind in Mailand zu zehn bzw. neun Jahren Haft verurteilt worden: Sie haben dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA geholfen, einen ägyptischen Imam zu verschleppen.

Hassan Mustafa Osama Nasr oder Abu Omar, wie sich der Imam einer Mailänder Moschee nannte, war der Justiz der norditalienischen Metropole wohl bekannt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn, weil er ein Attentat auf eine US-amerikanische Schule vorbereitet haben soll. In diesem Zusammenhang interessierte sich auch die CIA für den Imam und bat ihre italienischen Kollegen um Amtshilfe.

Am 17. Februar 2003 wird Abu Omar auf offener Straße verschleppt und von CIA-Agenten erst nach Deutschland und anschließend nach Ägypten gebracht. Dort soll er gefoltert worden sein.

Die italienische Justiz befasst sich seit Jahren mit der Entführung, obwohl aus allen Ecken die Ermittlungen erschwert werden: 2006 wird Marco Mancini verhaftet, der wiederum seinen Chef Nicolò Pollari beschuldigt. Pollari soll die Verschleppung zusammen mit Jeff Castelli geplant haben, der damals die CIA in Italien leitete. 2007 erhebt die Untersuchungsrichterin Caterina Interlande Anklage gegen Pollari, Mancini, weitere italienische Geheimdienstler und 26 CIA-Agenten.

Jetzt beginnt das Ringen um das Staatsgeheimnis: Der italienische Staat klassifiziert die Akten, die mit der Verschleppung zu tun haben, als »streng geheim« und lässt sie für den Prozess nicht zu. Dieser Beschluss wird von gleich drei Ministerpräsidenten bestätigt (Prodi, Berlusconi und Monti). Aber die Prozesse gehen trotzdem weiter, obwohl die Regierung sogar das Verfassungsgericht einschaltete, das aber bezüglich der Klassifizierung der Akten und ihrer möglichen Einsicht von Seiten der Justiz noch keine endgültige Entscheidung getroffen hat. Pollari und seine Mitarbeiter werden erst freigesprochen und nun am Dienstag im Berufungsprozess für schuldig befunden. Bereits im vorigen Herbst verurteilte das Gericht die US-Amerikaner zu längeren Haftstrafen - ein Urteil, das aber nie vollstreckt werden konnte, weil die Geheimdienstler Italien längst verlassen haben und der italienische Staat auch nie einen Auslieferungsantrag gestellt hat.

Die ehemalige Nummer eins des italienischen Geheimdienstes hat immer wieder ihre Unschuld betont: Diese gehe klar aus bestimmten Akten hervor, die aber weiterhin unter Verschluss gehalten werden. Deshalb, so Pollaris These, habe er sich nie wirklich verteidigen können.

Abu Omar wurde 2007 in Ägypten freigelassen. Er, der sich stets für unschuldig erklärte, sagte aus, die CIA habe ihm zwei Millionen Dollar und die US-Staatsbürgerschaft angeboten, wenn er Stillschweigen über seine Geschichte bewahre. Der Imam wollte aber nach Italien zurückkehren, wo allerdings ein Prozess wegen Terrorismus auf ihn wartet. Jetzt hat ihm das italienische Gericht Schmerzensgeld in Höhe von einer Million Euro und weitere 500 000 Euro für seine Frau zugesprochen. Wo sich Abu Omar derzeit aufhält, ist nicht bekannt.

Auch wenn das Urteil vom Dienstag als Meilenstein gelten kann, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sollte das Verfassungsgericht die Geheimhaltung der Akten aufheben, würde wohl ein neuer Prozess folgen. Dann könnte auch die Politik einbezogen werden. Es ist nur schwer vorstellbar, dass der Beschluss, bei der Verschleppung eines Imams »behilflich« zu sein, von den Geheimdiensten ohne politische Rückendeckung getroffen wurde. »Die Regierung Berlusconi wusste genau, was vorgefallen ist«, erklärte der ehemalige Geheimdienstchef vor dem Richter.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 14. Februar 2013


Zurück zur Italien-Seite

Zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage