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Drei Sieger sind zwei zu viel

Regierungsbildung in Italien wegen unklarer Mehrheitsverhältnisse völlig offen

Von Anna Maldini, Rom *

Nur eines ist sicher: eine rasche Regierungsbildung ist angesichts der Ergebnisse der Wahl von Senat und Abgeordnetenhaus nicht zu erwarten.

Je nach Blickwinkel auf die Ergebnisse der italienischen Parlamentswahl gibt es gleich mehrere Gewinner. Beppe Grillos »Bewegung der Fünf Sterne« (M5S) ist aus dem Stand stärkste Einzelpartei im Abgeordnetenhaus geworden. Das Mitte-Links-Bündnis unter Führung von Pier Luigi Bersani (PD) hat in beiden Kammern am meisten Stimmen auf seinen Block vereinigen können. Und Silvio Berlusconi sieht sich ebenfalls als Wahlsieger, galt er doch bis vor wenigen Wochen als politisch tot. Immerhin einen klaren Verlierer gibt es aber: Mario Monti, der noch vor 14 Monaten als »Retter des Vaterlandes« gefeiert wurde, aber kaum Rückhalt im Wahlvolk hat.

Mehrere Szenarien sind nun möglich. Nur eines nicht, auf das noch am Montagabend zu hoffen war: Monti und die Demokraten haben gemeinsam keine Mehrheit im Senat. Das bringt Berlusconi ins Spiel, der sich bereits öffentlich für eine »Große Koalition« mit den Demokraten ausgesprochen hat. Die Schnittmenge zwischen den beiden großen Parteien erscheint aber zu gering für eine gemeinsame Regierung. Ein schier unüberwindbarer Graben trennt sie vor allem dort, wo es um Legalität und Bürgerrechte geht.

Die zweite Möglichkeit, die vor allem vielen europäischen Verantwortlichen gefallen würde, wäre eine Neuauflage der letzten Regierung, vielleicht wieder mit Mario Monti an der Spitze sowie Demokraten und Berlusconi als mehr oder weniger stillen Teilhabern. Wenn man die vergangenen Monate betrachtet und die harten Polemiken vor allem zwischen Berlusconi und Monti, scheint jedoch auch das nicht sehr wahrscheinlich.

Möglich wäre auch eine Art »Minderheitsregierung« des Mitte-Links-Bündnisses aus PD und Nichi Vendolas »Linke, Ökologie und Freiheit« (SEL). Sie müsste sich im Senat aber zu jedem Thema eine neue Mehrheit suchen. In vielen Bereichen gibt es Übereinstimmungen mit der Grillo-Partei. Auf Sizilien, wo M5S die Regionalregierung der Demokraten von außen unterstützt, wird das bereits praktiziert.

Ermöglicht würden dadurch - ohne Grillo selbst, der wegen einer Vorstrafe nicht Abgeordneter werden konnte - wohl die dringend notwendige Reform des Wahlrechts, eine Verringerung der Anzahl der Parlamentarier oder auch ein Gesetz gegen den Interessenkonflikt, damit Berlusconi, der einen großen Teil der Medien kontrolliert, keine politischen Ämter mehr übernehmen kann. Große Probleme gäbe es allerdings in Bezug auf die Wirtschafts- und Steuerpolitik (zu der Grillo sich nie wirklich geäußert hat) und vor allem bei den außenpolitischen und europabezogenen Fragen. Grillo will nicht nur eine radikale Reform Italiens, sondern auch der EU, und schließt nicht aus, dass Italien den Euroraum verlässt.

Schließlich gäbe es noch die »griechische« Hypothese von sofortigen Neuwahlen. Dem sind aber Grenzen gesetzt: Italiens Verfassung verbietet es dem Staatspräsidenten, die Kammern in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit aufzulösen - und Giorgio Napolitanos Mandat läuft im Mai aus. In den kommenden Tagen wird sich herausstellen, wie sich die große Gruppe der Grillo-Abgeordneten bewegen wird, von denen keiner politische Erfahrung mitbringt. Ein erstes Signal wird die Wahl der Vorsitzenden von Abgeordnetenhaus und Senat bringen. Man wird sehen, ob sich die »Grillini« jeder Diskussion mit dem »Establishment« entziehen oder in Verhandlungen eintreten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 27. Februar 2013


Gefährlicher Rechtsruck

Patt nach Parlamentswahl in Italien. Bersanis Mitte-links-Bündnis erreicht Mehrheit im Abgeordnetenhaus, kommt aber im Senat nur auf Platz zwei hinter Berlusconi

Von Gerhard Feldbauer **


Die Parlamentswahlen in Italien haben das befürchtete Patt zwischen Mitte links und Rechts gebracht. Das Bündnis Bersanis von der Demokratischen Partei (DP) mit der Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) erreichte nach den bisherigen amtlichen Ergebnissen im Parlament mit 31,63 Prozent den ersten Platz, kam jedoch im Senat, der zweiten Kammer, mit 113 Mandaten nur auf den 2. Platz. Hier erreichte Expremier Silvio Berlusconi mit der rassistischen Lega Nord mit 116 Sitzen Platz eins, im Parlament mit 29,18 Prozent Platz zwei. Die Liste des bisherigen Übergangspremiers Mario Monti kam im Parlament abgeschlagen auf 10,5 Prozent. Hier ging die Kalkula­tion, mit den früheren Bündnispartnern Berlusconis, der von dem vorherigen Führer der AN-Faschisten, Gianfranco Fini, mit »geläuterten« Parteigängern gebildeten Partei Zukunft und Freiheit (FEL) und der Union Demokratischer Christen (UDC) der Liste Montis den Rücken zu stärken, nicht auf. Die UDC sackte von 6,7 Prozent 2008 auf 1,8 ab und Finis FEL kam sogar nur auf 0,5 Prozent. Mit 25,5 Prozent erreichte die chaotische 5-Sterne-Bewegung des Starkomikers Beppe Grillo einen spektakulären dritten Platz, im Senat 54 Sitze.

Bersani erhält nach dem unter Berlusconi eingeführten undemokratischen Wahlgesetz im Parlament als Sieger 340 Sitze (54 Prozent) und kann Ministerpräsident werden. Im Senat, der allen Gesetzen und Verordnungen (Dekreten) der Regierung zustimmen muß, ist der DP-Chef jedoch auf die Stimmen Berlusconis oder Grillos angewiesen. Ein Zusammengehen mit dem faschistoiden Mediendiktator dürfte ausgeschlossen sein. Auch Grillo wurde von Bersani vor der Wahl abgelehnt. Inzwischen gibt es, wie die Repubblica, Sprachrohr der DP, am Dienstag verlauten ließ, erste Signale, dieses Wagnis einzugehen. Eine Bereitschaft des Starkomikers, der im Siegestaumel »das Ende aller Politiker« in den nächsten Monaten ankündigte, scheint fraglich, wird aber nicht ausgeschlossen. Große Enttäuschung herrscht unter den beiden KP (PRC und PdCI), die hofften, in der Koalition Rivoluzione Civile (Bürgerliche Revolution) den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen. Das Bündnis blieb unter zwei Prozent und scheiterte damit an der Vier-Prozent-Sperrklausel.

In Berlin und Brüssel gibt man sich schockiert über das Comeback Berlusconis, der neben haltlosen Wahlversprechen mit Steuersenkungen und der Schaffung von drei Millionen Arbeitsplätzen demagogisch den von ihm in drei Regierungen selbst praktizierten Sozialabbau Montis kritisierte und Stellung gegen Berlin und Brüssel bezog. Dabei wird vergessen, daß dort Berlusconi einst mit seinen aus der früheren Mussolini-Partei hervorgegangenen faschistischen Verbündeten (der MSI) salonfähig gemacht wurde. Exkanzler Helmut Kohl feierte das damals als einen »historischen Augenblick« und schwadronierte vom »gemeinsamen Aufbau der Demokratie« mit Berlusconis Faschisten und Rassisten. Daß von der Merkel-Regierung in letzter Minute sogar ein Mitte-links-Sieg mit Wohlwollen bedacht wurde, nützte Berlusconis »antideutschen« Attacken.

In Italien bewirkte die von Berlin beförderte Verharmlosung der von Berlusconi ausgehenden faschistischen Gefahr noch eine Vergrößerung derselben. Abgesehen von einem Aufruf von Intellektuellen wie Nobelpreisträger Dario Fo, Umberto Eco oder Nanni Moretti spielte das Thema jedoch auch diesmal in der Wahlkampagne keine Rolle. Obwohl Berlusconi sich mit seinem Bekenntnis zu »guten Taten »des »Duce« die meisten Stimmen der früheren AN-Faschisten (12 Prozent) sicherte und das Bündnis mit der Rassistischen Lega Nord erneuerte, wurde er auch in Bersanis PD und der römischen Repubblicca unverändert als Centro destra (Rechtes Zentrum) verharmlost. Hinzu kam, daß von Mitte links und auch dem amtierenden Übergangspremier Monti nichts unternommen wurde, das reaktionäre Wahlgesetz Berlusconis durch ein normales, wenigstens bürgerlichen Ansprüchen genügendes zu ersetzen. In der DP spekulierte man, davon zu profitieren, was nun im Senat daneben ging. Erneut konnte der Mediendiktator beim Stimmenfang auch sein Fernsehmonopol von drei Privatsendern einsetzen, das zu begrenzen und zu kontrollieren ebenfalls nichts unternommen wurde.

In Rom sind hektische Konsultationen im Gange, ob Bersani eine Regierungsbildung wagen oder der Weg sofortiger Neuwahlen eingeschlagen wird. Die Erörterungen sind vor allem von der Furcht geprägt, ob ein erneuter Wahlgang der faschistoid-rassistischen Rechten weiteren Auftrieb verschaffen könnte.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. Februar 2013


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