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Italiens Regierung vor dem Aus

Berlusconi löst aus egoistischem Interesse politische und wirtschaftliche Turbulenzen aus

Von Anna Maldini, Rom *

Nach nur fünf Monaten Amtszeit steht die italienischen Regierung vor dem Aus. Mit einem Handstreich, der auch einen Teil der eigenen Partei unvorbereitet traf, hat Silvio Berlusconi seine Minister aus der Großen Koalition zurückgezogen, in der sie zusammen mit den Demokraten saßen. Italien droht jetzt erneut das politische Chaos.

Die Gründe, die Berlusconi für den Rückzug seiner Minister angeführt hat, sind mehr als fadenscheinig. Er wolle auf diese Weise verhindern, hieß es in einer Erklärung, dass die Mehrwertsteuer am kommenden Dienstag um einen Punkt erhöht wird. Da die Erhöhung aber bereits im vergangenen Jahr von der damaligen Regierung Mario Montis beschlossen wurde und es eines neuen Gesetzes bedurft hätte, um diese Entscheidung rückgängig zu machen, wird die Maßnahme jetzt, wo es faktisch keine Regierung mehr gibt, natürlich erst recht greifen.

Tatsächlich hat Berlusconi die Exekutive zu Fall gebracht, weil sich die Demokratische Partei weigert, sich nach seiner rechtskräftigen Verurteilung dafür einzusetzen, dass der Steuerbetrüger doch noch irgendwie im Parlament bleiben kann und dadurch weiterhin Immunität besitzt. Berlusconi fürchtet – und das wohl nicht ganz zu Unrecht –, dass er sonst wegen diverser Verfahren, die gegen ihn laufen, verhaftet werden könnte.

Mit aller Wahrscheinlichkeit wird der noch amtierende Ministerpräsident Enrico Letta in dieser Woche vors Parlament treten und die Vertrauensfrage stellen. In diesem Fall sind drei unterschiedliche Szenarien möglich. Entweder überlegt es sich Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) angesichts schlechter Umfragewerte noch einmal anders und stimmt doch für die Regierung, sofern bestimmte Forderungen (möglicherweise eine Generalamnestie, die auch Berlusconi einbezieht) erfüllt werden. Oder aber im Parlament findet sich eine andere Mehrheit. Da aber der dritte große Block nach Demokraten und PdL, die Bewegung Fünf Sterne, bereits erklärt hat, man werde Letta in keinem Fall das Vertrauen aussprechen, wäre das nur mit einem »bunten Haufen« von Parlamentariern möglich, die sich dem Diktat ihrer jeweiligen Parteizentralen nicht beugen und die Formierung einer Regierung ermöglichen, die zumindest das unsägliche Wahlgesetz ändert und den Haushalt für das kommende Jahr verabschiedet.

Die dritte Möglichkeit wäre, dass Enrico Letta das Vertrauen nicht bekommt, daraufhin seinen Rücktritt einreicht und damit den Weg für eine andere Regierung oder aber für Neuwahlen öffnet. Neuwahlen will Staatspräsident Giorgio Napolitano auf keinen Fall; auch weil sich mit dem derzeitigen Wahlgesetz möglicherweise erneut eine Pattsituation ergeben könnte: Aber eine »andere Regierung« ist auch nicht in Sicht. Der einzige halbwegs gangbare Weg wäre die Bildung einer Minderheitsregierung der Demokraten, die sich im Zentrum und in der Linken immer wieder eine Mehrheit sucht – aber besonders stabil wäre das nicht, zumal auch die Demokraten selbst extrem zerstritten sind und sich in der Partei keine einheitliche politische Linie ausmachen lässt.

Als ausgeschlossen kann wohl gelten, dass Staatspräsident Napolitano einem Vertreter der Bewegung Fünf Sterne das Mandat zur Regierungsbildung erteilt. Der Betroffene könnte die Verhandlungen mit den Demokraten wieder aufnehmen, die nach den Wahlen vom vergangenen Februar bereits gescheitert waren.

Wie man es auch dreht und wendet – Italien stehen neue politische Turbulenzen ins Haus, die sich sicherlich schlecht auf die Staatsverschuldung und damit auf die gesamte Wirtschaft auswirken werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 30. September 2013


Berlusconi provoziert Regierungskrise

Italien: Minister der PdL erklären Rücktritt. Präsident Napolitano will Neuwahlen verhindern **

Nach nur fünf Monaten steht die Regierung des italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta vor dem Aus. Das »Volk der Freiheit« (PdL), die Partei von Medienmogul Silvio Berlusconi (77), hat den Rücktritt ihrer fünf Minister aus der großen Koalition angekündigt. Staatspräsident Giorgio Napolitano will Neuwahlen jedoch noch vermeiden. Er werde das Parlament nur auflösen, wenn es keine andere Alternative mehr gebe, sagte Napolitano am Sonntag. Gemeinsam mit Regierungschef Letta wollte er am Abend weiter ausloten, ob die Legislaturperiode trotz der Krise fortgesetzt werden kann. Voraussichtlich am Dienstag oder Mittwoch will sich Letta im Parlament einer Vertrauensabstimmung stellen.

In der Koalition aus der PdL und Lettas sozialdemokratisch orientierter PD (Demokratische Partei) gibt es schon seit Wochen erhebliche Spannungen. Hintergrund ist der Streit um die politische Zukunft Berlusconis. Diesem droht wegen seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs der Ausschluß aus dem Senat. Der Immunitätsausschuß des Oberhauses muß am Freitag in zweiter Abstimmung entscheiden, ob der langjährige Regierungschef seinen Sitz in der Parlamentskammer behalten kann. In einer ersten Abstimmung hatte der Ausschuß dies mehrheitlich abgelehnt. Die PdL nannte jedoch ein anderes Motiv für den Rückzug der fünf Minister: die von ihnen abgelehnte Erhöhung der Mehrwertsteuer in Italien auf 22 Prozent. »Wir können keine Regierung unterstützen, die den Steuerdruck auf die Bürger erhöht«, sagte Berlusconi am Sonntag zu dem Rückzug. Er forderte Neuwahlen so rasch wie möglich.

Nach einem Rücktritt der Regierung könnte Staatschef Giorgio Napolitano erneut Letta oder einen anderen Politiker beauftragen, eine Mehrheit für eine Übergangsregierung zu suchen. Er kritisierte Berlusconis Partei scharf. Diese sollte nicht mitten in der Wirtschaftskrise die Funktionsfähigkeit des Parlaments aufs Spiel setzen.

** Aus: junge Welt, Montag, 30. September 2013


Kopfloses Italien

Von Anna Maldini, Rom ***

Dass ich einmal der Großen Koalition – in Italien »breite Übereinstimmung« genannt – unter Enrico Letta nachtrauern würde, hätte ich wirklich nicht gedacht. In den fünf Monaten ihrer Amtszeit hat sie kaum etwas Gutes auf die Beine gestellt und jeglichen politischen Ansatz auf dem Altar der sogenannten Stabilität geopfert. Doch so wie sie jetzt gestürzt wurde, droht Italien das absolute Chaos und der vollständige wirtschaftliche Niedergang. Ein Teil des Landes – die 25 Prozent der Wähler, die sich in Silvio Berlusconi erkennen – hat ein weiteres Mal bewiesen, dass ihm das Allgemeinwohl völlig egal ist, dass man nur darauf bedacht ist, einem einzigen Mann aus dem Schlammassel zu helfen.

20 Jahre lang war es Silvio Berlusconi gelungen, seinen Kopf durch maßgeschneiderte Gesetzen immer wieder aus der Schlinge zu ziehen. Jetzt, wo das offensichtlich nicht mehr möglich ist, hat er wohl eben diesen Kopf verloren und schlägt einfach nur noch um sich. Motto: Nach mir die Sintflut!

Vielleicht kann man auf menschlicher Ebene noch verstehen, dass sich der einstige Ministerpräsident wie ein Tiger im Käfig gebärdet. Dass ihm dabei aber hochrangige Politiker, Abgeordnete und ein Teil des italienischen Volkes folgen, ist im wahrsten Sinne des Wortes verrückt und für einen rational denkenden Menschen unverständlich. Italien stürzt in den Abgrund und nicht wenige Italiener klatschen Beifall, während sie unter dem Schutt ihres eigenen Landes begraben werden.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 30. September 2013 (Kommentar)


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