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Netanjahu macht weiter

Große Zugewinne für den Likud, aber das rechte Lager stagniert. Linksbündnis drittstärkste Kraft

Von Knut Mellenthin *

Israel hat am Dienstag ein neues Parlament gewählt. Der Sieger heißt Benjamin Netanjahu. Der seit März 2009 amtierende Premierminister wird voraussichtlich keine Schwierigkeiten haben, eine tragfähige Koalition für die nächste Regierung zusammenzubekommen.

Regulär wäre erst im Februar 2017 eine Wahl fällig gewesen. Netanjahu erzwang im Dezember 2014 eine vorgezogene Neuwahl, indem er die Parteien Hatnuah und Jesch Atid – beide nach israelischen Begriffen dem Zentrum zuzuordnen – aus der Regierung warf. Viele israelische Kommentatoren bezeichneten die Neuwahl, die in der Tat keine wesentlich veränderte Konstellation in der Knesset brachte, als überflüssig. Das ist, soweit es die Bevölkerung des Landes und dessen Probleme angeht, wahrscheinlich richtig. Aber der Vorgang war keineswegs nutzlos für den, der ihn herbeigeführt hatte: Für Netanjahu ist das Ergebnis ein persönlicher Triumph. Die von ihm geführte Rechtspartei Likud, die bisher 18 Abgeordnete hatte, verfügt künftig über 30 der 120 Sitze.

Erkämpft wurde dieser Erfolg erst im allerletzten Stadium des Wahlkampfs. Er ging fast ausschließlich auf Kosten der beiden anderen Rechtsparteien, Jisrael Beitenu und Habajit Hajehudi, die zusammen elf Mandate verloren. Das rechte Lager stellt künftig 44 statt bisher 43 Abgeordnete. Rechnet man die Verluste der beiden konservativ-orthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum hinzu, ergibt sich insgesamt ein Rückgang von 61 auf 57 Mandate.

Netanjahu hatte in der Schlussphase des Wahlkampfs vor allem bei den mit dem Likud konkurrierenden Rechtsparteien gewildert. Sein zentrales Argument: Es komme im Endeffekt nicht darauf an, ob diese ein paar Abgeordnete verlören. Entscheidend für die Verhinderung einer Mitte-Rechts-Regierung sei lediglich, den Likud eindeutig zur stärksten Partei zu machen. Zusammen mit extremer Rhetorik des Regierungschefs gegen den arabischen Bevölkerungsteil und dem Versprechen, dass er niemals einen Palästinenserstaat zulassen werde, überzeugte das offenbar die rechten Wähler.

Israel hat gewählt

Nachdem mittlerweile alle Stimmen ausgezählt worden sind, ergibt sich für die 20. Knesset folgende Verteilung von Sitzen: Likud 30, Zionistisches Lager 24, Vereinigte Arabische Liste 14, gefolgt von Yesh Atid mit 11, Kulanu mit 10, Bayit Yehudi mit 8, Shas mit 7, Yisrael Beytenu und Vereinigtes Torah-Judentum mit jeweils 6 und Meretz mit 4 Sitzen – wobei Meretz die letzte der Parteien ist, die die Prozenthürde von 3,25% übersprungen hat.

Noch am Dienstagabend deuteten die Hochrechnungen nach dem Schließen der Wahllokale auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden größten Parteien Likud und Zionistisches Lager hin.

Die Wahlbeteiligung war mit 72,3% hoch, mehr als 4,25 Millionen der 5 881 696 Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.

Staatspräsident Reuven Rivlin wird am Sonntag (22.03.) in Gesprächen in seinem Amtssitz die Vorsitzenden der Parteien um ihre Empfehlung für den zukünftigen Ministerpräsidenten bitten. Er wird dann die Aufgabe der Bildung einer neuen Regierung dem Knesset-Abgeordneten übertragen, dem die besten Chancen auf Bildung einer stabilen Koalition eingeräumt werden.

Quelle: Außenministerium des Staates Israel, 19.03.15



Bis zuletzt hatten die Umfrageergebnisse es so aussehen lassen, als würde das neugegründete Oppositionsbündnis »Zionistisches Lager« drei bis vier Mandate mehr gewinnen als der Likud und damit stärkste Kraft werden. Tatsächlich wird es künftig 24 Abgeordnete stellen. Das liegt knapp unter den Prognosen, stellt aber einen Zugewinn von drei Mandaten gegenüber der bisherigen Situation dar. Die beiden zusammengeschlossenen Parteien, die Sozialdemokraten und die Hatnuah der früheren Außenministerin Zipi Livni, waren in der alten Knesset mit 15 und mit sechs Abgeordneten vertreten.

Stark verloren hat die betont laizistische Partei Jesch Atid, die zur Wahl vor zwei Jahren erstmals angetreten war und damals überraschend gut abschnitt. Statt bisher 18 stellt sie künftig nur noch elf Abgeordnete. Die ebenfalls neugegründete »Kulanu« gewann auf Anhieb zehn Mandate. Die von einem ehemaligen Likud-Politiker geführte Formation legte im Wahlkampf ihren Schwerpunkt auf soziale Probleme, insbesondere die seit Netanjahus Amtsantritt vor sechs Jahren dramatisch gestiegenen Hauspreise und Mieten.

Mehrere arabische Parteien und die gemischt arabisch-jüdische Linkspartei Chadasch (Demokratische Front für Frieden und Gleichberechtigung) hatten sich als Reaktion auf die vor einem Jahr eingeführte 3,25-Prozent-Hürde zur »Vereinigten Liste« zusammengeschlossen. Sie stellt künftig 14 Abgeordnete und ist damit drittstärkste Kraft in der Knesset. Bisher verfügten diese Parteien zusammen über elf Mandate. Ob die sehr heterogen zusammengesetzte Liste – sie schließt auch Nationalisten und Islamisten ein – die Wahl lange überdauert und sich konsolidieren kann, ist ungewiss.

Präsident Re’uven Rivlin wird in den kommenden Tagen die Führer aller Parteien empfangen, die in der künftigen Knesset vertreten sein werden, und sie befragen, wer ihrer Ansicht nach den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen soll. Auf dieser Grundlager wird er dann seine Entscheidung bekannt geben.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. März 2015


Persönlicher Triumph

Der Westen lässt Netanjahu siegen

Von Knut Mellenhin **


Die Neuwahl des israelischen Parlaments am Dienstag wurde zu einem persönlichen Triumph von Premierminister Benjamin Netanjahu. Die von ihm geführte Rechtspartei Likud konnte die Zahl ihrer Sitze in der Knesset um 66 Prozent steigern. Die Hoffnungen vieler Israelis auf grundlegende Veränderungen in der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik mussten wieder einmal vertagt werden.

Die Schuld daran ist unter anderem dem Oppositionsbündnis Zionistisches Lager und den westlichen Regierungen zuzuschreiben. Zu den zentralen Themen der israelischen Außenpolitik, Palästinenser und Iran, hat die etablierte Opposition keine Strategie, die sich grundsätzlich von den Vorstellungen und Handlungen Netanjahus unterscheidet. Die sozialdemokratische Arbeitspartei und die mit ihr verbündete Hatnuah der früheren Außenministerin Zipi Livni behaupteten im Wahlkampf lediglich, die gleichen Ziele mit sehr viel mehr diplomatischem Geschick durchsetzen zu können. Vor allem durch seinen Konflikt- und Krawallkurs gegenüber der US-Regierung füge der Premierminister dem Land schweren Schaden zu und sei nicht nur zu einer Belastung, sondern geradezu zu einem Sicherheitsrisiko für Israel geworden, lautete der Hauptvorwurf. In diesen Chor stimmten nicht nur ein Teil der israelischen Medien, sondern auch frühere Spitzenfunktionäre der Geheimdienste und des Militärs ein.

Die meisten westlichen Regierungen ließen die israelische Opposition im Regen stehen. Die schon seit Jahren immer wieder geäußerten Prognosen, dass Israel für Netanjahus Rücksichtslosigkeiten und Alleingänge irgendwann »einen hohen Preis zahlen« müsse, erwiesen sich in der Praxis als falsch. Das ermöglicht es Netanjahu, seine Kritiker als realitätsfremde Schwarzseher oder politisch motivierte Angstmacher dastehen zu lassen.

Am Tag vor der Wahl versprach der Premier seinen Wählern in einem Interview mit der Onlineausgabe der Tageszeitung Maariv, dass es unter seiner Regierung keinen Palästinenserstaat geben werde. Damit sprach er eine Tatsache offen aus, die westliche Politiker nicht wahrhaben wollen. Das Parteiprogramm des Likud schließt einen palästinensischen Staat generell aus. In keiner von Netanjahu geführten Regierung wäre ein solcher mehrheitsfähig gewesen. Trotzdem drängt der Westen die Palästinenser immer wieder zu aussichtslosen und demütigenden »Verhandlungen« – und gibt ihnen die Schuld, wenn die Gespräche scheitern.

Die angemessene Antwort auf Netanjahus öffentliche Klarstellung wären die sofortige Anerkennung der palästinensischen Regierung und die Verhängung von wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Israel wegen jahrzehntelanger Missachtung von UN-Resolutionen. Statt dessen wird man Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in einigen Wochen, wenn Netanjahu seine Regierung zusammenhat, nötigen, »an den Verhandlungstisch zurückzukehren«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. März 2015 (Kommentar)


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