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Unbeliebter Favorit

Trotz Kritik an seiner Sozial- und Außenpolitik hat Israels Premier Netanjahu am Dienstag gute Chancen, wiedergewählt zu werden

Von Knut Mellenthin *

In Israel wird am morgigen Dienstag ein neues Parlament gewählt. Eine am Freitag veröffentlichte Umfrage, die im Auftrag der rechten Tageszeitung Jerusalem Post durchgeführt wurde, lässt erkennen, dass fast drei Viertel der Bevölkerung sich grundlegende Veränderungen wünschen. Eine Mehrheit der Befragten meint, dass sich die sozialen Verhältnisse und die Außenpolitik des Landes in eine falsche Richtung entwickeln. Auf die Frage, ob sie Benjamin Netanjahu, der seit sechs Jahren Premierminister ist, weiter an der Spitze der Regierung sehen wollen, antworteten 48 Prozent mit Nein und nur 41 Prozent mit Ja.

Diese Ergebnisse zeigen zum einen, dass die Unzufriedenheit mit der Politik der letzten Jahre bis weit in die Reihen der Anhänger Netanjahus hineinreicht. Gleichzeitig machen sie jedoch deutlich, dass die Behauptung der Opposition, »das Volk« sei des Premierministers überdrüssig, eine propagandistische Übertreibung darstellt. Mehr noch: Eine Umfrage der linksliberalen Tageszeitung Haaretz ergab, dass in einem Vergleich der Hauptkontrahenten 48 Prozent der Teilnehmer Netanjahu für den geeigneteren Regierungschef halten. Nur 34 Prozent entschieden sich für Oppositionsführer Jitzchak Herzog, den Führer der sozialdemokratischen Arbeitspartei. Tatsächlich stehen die Chancen des Amtsinhabers auf eine Verlängerung seines Mandats nicht schlecht, obwohl seine Partei, der rechte Likud, in den Umfragen mehrere Sitze hinter dem Oppositionsbündnis Zionistisches Lager zurückliegt.

Zur Erinnerung: Regulär wäre die Wahl der Knesset erst im Januar 2017 fällig gewesen. Die vorgezogene Neuwahl wurde von Netanjahu im Dezember erzwungen, indem er Justizministerin Zipora »Tzipi« Livni und Finanzminister Yair Lapid feuerte. Damit beendete er zugleich die Koalition mit deren Parteien, der Hatnua und der laizistischen Jesch Atid. Seither wird die Regierung nur noch von den drei Rechtsparteien Likud, Israel Beitenu von Außenminister Avigdor Lieberman und Habajit Hajehudi von Wirtschaftsminister Naftali Bennett getragen. Zusammen verfügen sie lediglich über 43 der 120 Knessetsitze. Das israelische Parteienwesen ist von häufigen Neugründungen, meist nur kurzlebigen Allianzen und einer hohen Zahl von Gruppierungen, die im Parlament vertreten sind, geprägt. Gegenwärtig sind es 13 Parteien.

Gegenüber der letzten Wahl vom Januar 2013 gibt es nun einige wesentliche Veränderungen: Die Arbeitspartei und Livnis Hatnua haben sich zum Bündnis Zionistisches Lager zusammengeschlossen. Umfragen sehen die Oppositionsallianz bei 24 bis 26 Sitzen. Likud und Israel Beitenu haben ihre Fusion rückgängig gemacht und kandidieren wieder getrennt. Während sie bisher gemeinsam 31 Abgeordnete stellten, geben die Umfragen ihnen jetzt nur noch zusammengerechnet 26 bis 27 Sitze. Verliererin ist vor allem die Partei Liebermans, deren Ansehen durch Korruptionsvorwürfe schwer gelitten hat.

Vier arabische Parteien haben sich zur Vereinigten Liste zusammengeschlossen, nachdem die Hürde zur Gewinnung von Mandaten im März 2014 auf 3,25 Prozent angehoben wurde. Damit befinden sich nun extrem verschiedene Kräfte von Kommunisten bis Radikalislamisten unter einem Dach. Umfragen sehen die Liste bei 13 Sitzen – nicht wesentlich mehr, als die arabischen Parteien bisher zusammen auch schon hatten. Mit der Kulanu des früheren Likud-Politikers Mosche Kachlon, die soziale Ziele angibt, und der rechtsextremen Jachad gehen zwei neue Parteien erstmals an den Start.

Nach den letzten Umfragen kämen rechte und konservativ-religiöse Parteien zusammen auf 55 Sitze. Das Zionistische Lager, die kleine Linkspartei Meretz und Jesch Atid würden zusammen etwa 45 Abgeordnete in die Knesset schicken. Herzog könnte allenfalls nächster Regierungschef werden, wenn er nicht nur von der Kulanu unterstützt würde – was durchaus vorstellbar wäre –, sondern auch von der arabische Liste. Das erscheint allerdings nicht realistisch.

* Aus: junge Welt, Montag, 16. März 2015


Wahlkampf: Netanjahu rückt Einheit Jerusalems ins Zentrum

Israels Regierungschef unterstellt seinem Rivalen Teilungspläne / Knappes Wahlergebnis erwartet **

Jerusalem. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am letzten Tag vor den Parlamentswahlen, die über seinen Verbleib im Amt entscheiden, die Einheit Jerusalems in den Mittelpunkt gerückt. Er sei im Gegensatz zu seinem schärfsten Rivalen, Oppositionschef Jizchak Herzog, der Garant dafür, dass Jerusalem nicht erneut geteilt werde, sagte Netanjahu am Montag in mehreren Interviews. Herzog wies dies als Unterstellung zurück.

Angesichts ungünstiger Umfragewerte verschärfte der konservative Regierungschef in zahlreichen Gesprächen mit israelischen Medien seine Angriffe auf Herzog. Dieser sei bereit, Jerusalem im Zuge eines Friedensabkommens zu teilen und den Palästinensern den Ostteil der Stadt zurückzugeben, sagte Netanjahu. Israel hatte Ost-Jerusalem 1967 erobert und 1980 annektiert, was von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt wird.

Herzog und die liberale Politikerin Zipi Livni, die gemeinsam die Wahlliste »Zionistische Union« anführen, seien »bereit, Jerusalem zu teilen und sie verurteilen den von mir veranlassten Ausbau der jüdischen Viertel in der Stadt«, sagte Netanjahu in einem Interview, das vom israelischen Nachrichtenportal »Walla« veröffentlicht wurde. »Sie sind fähig, alles aufzugeben, unter jedem Diktat zu katzbuckeln, inklusive des Atomabkommens mit dem Iran«, fügte er hinzu. »Am wichtigsten ist, dass Jerusalem geeint bleibt«, sagte er im TV-Sender »Kanal Zwei«.

Herzog wies die Vorwürfe des Regierungschefs zurück. »Ich bin besser als jeder andere Kandidat in der Lage, Jerusalem und seine Bewohner zu schützen - und zwar mit Taten und nicht nur mit Worten«, sagte der Vorsitzende der Arbeitspartei am Sonntag bei einem Besuch an der Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt. In Israel finden am Dienstag vorgezogene Parlamentswahlen statt, die insbesondere darüber entscheiden, ob der seit 2009 regierende Netanjahu eine dritte Amtszeit in Folge erhält.

Wie das Büro des Ministerpräsidenten ankündigte, wird Netanjahu im Tagesverlauf die Siedlung Har Homa im Südosten Jerusalems besuchen. Dieses Neubauviertel mit heute fast 30.000 Einwohnern ist besonders umstritten, weil es erst nach dem Oslo-Abkommen wie ein Riegel zwischen Jerusalem und ihrer historischen Schwesterstadt Bethlehem errichtet wurde.

** Aus: neues deutschland, Montag, 16. März 2015


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