Applaus, Applaus, Applaus
Der US-Kongress verschafft Israels Premier Netanjahu ein Erfolgserlebnis, das er in der Knesset niemals haben könnte
Von Knut Mellenthin *
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte seinen gewünschten großen Auftritt im US-Kongress. Seine Rede am Dienstag dauerte rund 45 Minuten und wurde immer wieder von »Standing ovations« der Abgeordneten und Senatoren beider Parteien unterbrochen. Insgesamt haben sie vermutlich mehr gestanden als gesessen. Nur im Mittelteil der Rede, in dem die zentralen Aussagen konzentriert waren, ließ man Netanjahu ungestört ausreden. Das deutet auf eine gut organisierte Choreographie hin. Eine auch nur annähernd vergleichbare Demonstration totaler Uniformität und Selbstaufgabe wäre in der israelischen Knesset weder für einen ausländischen Gast noch für einen einheimischen Politiker möglich. Israelische Medien äußerten sich teils amüsiert, teils angewidert darüber, dass die US-amerikanischen Parlamentarier Netanjahu sogar für Aussagen zujubelten, die in Israel heiß umstritten sind.
Es war, um genau zu sein, nicht der ganze Kongress. Etwas mehr als ein Viertel der Abgeordneten und Senatoren der demokratischen Partei waren nicht erschienen. Und unter denen, die sich die Rede des israelischen Premiers zumuteten, schlossen sich viele den »Standing ovations« nur mit sichtbarer Zeitverzögerung an. Die große alte Dame der Demokraten, die Abgeordnete Nancy Pelosi, bekundete, dass sie während Netanjahus Auftritt den Tränen nahe gewesen sei. Offenbar nicht aus Rührung, sondern aus Zorn. Denn die 74jährige, die dem Kongress ohne Unterbrechung schon seit 1987 angehört und nie als Israel-Kritikerin auffiel, fuhr fort: Die Rede sei »eine Beleidigung für die Intelligenz der Vereinigten Staaten« gewesen. Man sollte ergänzen: eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz schlechthin. Vollgestopft mit falschen Behauptungen und ohne logischen Zusammenhang. Zwei Redakteure der meistgelesenen israelischen Tageszeitung, Jediot Acharonot, kommentierten sarkastisch: »Eine Rede vor einer Gruppe eiserner Unterstützer zu halten, die jedem Wort zustimmen, das man sagt, bevor man es auch nur ausgesprochen hat, während der besten Sendezeit in Israel, zwei Wochen vor den Wahlen – das hat sehr wenig mit dem Iran oder mit dem Überleben des jüdischen Volks zu tun.«
Jedes Abkommen mit dem Iran, behauptete Netanjahu im Kern seiner Rede, werde schlecht sein. Denn schon jetzt stehe fest, dass die internationale Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – der Gegenseite zwei entscheidende »Zugeständnisse« gemacht habe: Erstens solle den Iranern in dem angestrebten Langzeitabkommen die Anreicherung von Uran, wenn auch in stark reduziertem Umfang, »erlaubt« werden. Und zweitens solle diese Vereinbarung nur für die nächsten zehn Jahre gelten. Danach sollten, so Netanjahu, »automatisch« sämtliche Beschränkungen wegfallen. Das angestrebte Abkommen hindere Teheran also nicht an der Produktion von Atomwaffen, sondern ganz im Gegenteil: »Es ebnet Iran den Weg zur Bombe.«
In Wirklichkeit könnte der Iran ohne Abkommen so viel Uran anreichern, wie es ihm technisch überhaupt nur möglich ist. Dazu bedarf es keiner »Erlaubnis«. Was ist also nach Netanjahus Ansicht zu tun? Militärschläge gegen die iranischen Atomanlagen, wie er sie schon seit mindestens 15 Jahren immer wieder gefordert und angekündigt hat? Vielleicht hatte der israelische Regierungschef selbst das Gefühl, dass eine Wiederholung dieser Drohung zur Zeit weder in den USA noch zu Hause gut ankommen würde. Jedenfalls sagte er in seiner Kongressrede: »Nun erzählt man uns, die einzige Alternative zu diesem schlechten Abkommen sei Krieg. Das ist einfach nicht wahr. Die Alternative zu diesem schlechten Abkommen ist ein besseres Abkommen.«
Stürmischer Applaus der Versammelten. Und wie erreicht man nach Netanjahus Ansicht ein besseres Abkommen, nämlich eines, »das die Beschränkungen des iranischen Atomprogramms aufrechterhält, bis Iran seine Aggressionen beendet«? Beschränkungen wohlgemerkt, denen die iranische Regierung als Zeichen ihres guten Willens freiwillig für die Dauer der Verhandlungen zugestimmt hat? Das lasse sich durchsetzen, erzählte der Gast aus Israel dem US-Kongress, wobei er mehrfach von Beifall unterbrochen wurde, indem man »auf einen besseren Vertrag besteht und den Druck auf ein sehr verletzbares Regime aufrechterhält«. Iranische Ankündigungen, in diesem Fall den Verhandlungstisch zu verlassen, seien nur ein Bluff und nicht ernst zu nehmen, »weil sie ein Abkommen sehr viel dringenden brauchen als Sie«, womit er offenbar die USA meinte.
Der Kongress dankte ihm auch für diesen unrealistischen Ratschlag wieder mit »Standing ovations«. Dazu hatte die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, Susan E. Rice, das Notwendigste schon am Montag nach Netanjahus Rede auf dem Jahreskongress der Pro-Israel-Lobby AIPAC gesagt, übrigens vor demselben Forum: »Wir können nicht zulassen, dass ein unerreichbares Ideal einem guten Abkommen im Weg steht.« Was Netanjahu fordere, sei keine »lebensfähige« Verhandlungsposition. Selbst »unsere engsten Partner innerhalb der Sechsergruppe« – gemeint waren Frankreich, Großbritannien und Deutschland – würden den USA auf einem solchen Weg nicht folgen, warnte Rice.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. März 2015
Will Israel Veränderung?
Zur Opposition gegen Netanjahu gehören viele frühere Führungskräfte des Militärs, der Geheimdienste und der Polizei
Von Knut Mellenthin **
Der Auftritt des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu im US-Kongress war ein massiver Versuch, die Verhandlungen mit dem Iran zu torpedieren. Das ist offensichtlich. Zugleich stellte er aber auch einen in der bisherigen Geschichte der Beziehungen zwischen beiden Staaten beispiellosen Versuch der amerikanischen Republikaner und einiger rechter Demokraten dar, sich in den israelischen Wahlkampf einzumischen. In Israel wird am 17. März ein neues Parlament gewählt. Das war das Hauptmotiv Netanjahus, sich zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe seines Botschafters in Washington, Ron Dermer, der zugleich Schreiber seiner Reden ist, von den Republikanern einladen zu lassen.
Bei der israelischen Opposition stieß das auf heftige Kritik. Der Chef der Rechtspartei Likud habe aus selbstsüchtigen Gründen eine schwere Krise im Verhältnis zu den USA hervorgerufen, für die der jüdische Staat noch einen hohen Preis zu zahlen haben werde, hieß es da. Diese Behauptung ist allerdings Unsinn. Um das zu erkennen, hätte es nicht der Beifallsstürme des Kongresses für Netanjahus Rede bedurft. Zahlreiche Vertreter der US-Administration, an der Spitze Präsident Barack Obama selbst, legten größten Wert auf die öffentliche Klarstellung, dass die zwischenstaatlichen Beziehungen besser, stärker und enger seien als je zuvor und dass sich daran auch nichts ändern werde. Das Weiße Haus übergab den Medien ein Papier, in dem genau aufgelistet war, was man seit Obamas Amtsantritt im Januar 2009 für Israel getan hat: mehr als 20,5 Milliarden Militärhilfe ausgezahlt – weitaus mehr als für irgendein anderes Land. Washington hat allein im vergangenen Jahr 18mal in der Vollversammlung der Vereinten Nationen gegen Resolutionen gestimmt, die angeblich »unfair« gegenüber Israel waren. Darunter war selbstverständlich die maßgebliche Stimme der USA gegen die Anerkennung des Staates Palästina.
Derlei Argumente, mit denen sich Obama gegen die ständigen gehässigen Angriffe der israelischen Rechten und der Pro-Israel-Lobby in den USA absichern möchte, machen zugleich die Warnungen der israelischen Opposition vor den Folgen von Netanjahus Politik unglaubwürdig. Denn dass dessen jahrelanger Dauerstreit mit Obama sich negativ für Israel ausgewirkt hätte, ist nachweislich unwahr.
Trotzdem, die Kritik am Regierungschef geht weit über das parteipolitische Spektrum hinaus. Am Sonntag hatten mehr als 180 frühere Kommandeure der israelischen Sicherheitskräfte mit einer gemeinsamen Stellungnahme an Netanjahu appelliert, auf seine Kongressrede zu verzichten. Der Premier sei dabei, das Bündnis mit den USA zu zerstören, Israels Abschreckungskraft zugrunde zu richten, seine Sicherheit zu gefährden und den Iran näher an den Besitz von Atomwaffen heranzubringen. Der ehemalige Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, Meir Dagan, hatte Netanjahu schon Ende voriger Woche vorgeworfen, dass er dem Land, was das Thema Iran angehe, »schweren strategischen Schaden« zugefügt habe. Dagan ist als Hauptredner einer Großkundgebung angekündigt, die am Sonnabend in Tel Aviv stattfinden soll. Das Motto der Oppositionsveranstaltung: »Israel will Veränderung«.
** Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. März 2015
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