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Töten als Zeitvertreib

Angehörige der Israelischen Streitkräfte äußern sich über ihre Erfahrungen beim Einsatz im Gaza-Krieg 2014

Von Karin Leukefeld *

Mehr als 60 Offiziere und Soldaten der Israelischen Streitkräfte (IDF) haben über ihre Erfahrungen und ihr Handeln während des Gaza-Krieges im Sommer 2014 Zeugnis abgelegt. Die Regeln für den Einsatz, der den militärischen Namen »Fels in der Brandung« (Protective Edge) trug und 50 Tage dauerte, seien »die freizügigsten Regeln« gewesen, von denen sie jemals gehört hätten, erklärte die israelische Organisation »Breaking the Silence« (Das Schweigen brechen), die die Aussagen jetzt veröffentlicht hat. Die Gruppe war 2004 von ehemaligen Angehörigen der IDF gegründet worden.

Viele Soldaten hätten über Befehle berichtet, »jeden zu erschießen, der ihnen über den Weg laufe«. Man habe ihnen »irreführende Informationen« gegeben und gesagt, sie würden in Gebieten operieren, in denen es keine Zivilisten gebe. Tatsächlich seien die Soldaten in Gebieten eingesetzt worden, wo »Unschuldige« und manchmal »ganze Familien« verblieben seien. Während der gesamten Operation seien Tausende Granaten wahllos in Wohngebiete abgefeuert worden; die israelischen Streitkräfte hätten »massenhaft zivile Infrastruktur und Häuser zerstört«. Viele der Angriffe seien wie eine »Bestrafungsaktion« durchgeführt worden. Auch auf Wasserkanister und –tanks, die auf den Hausdächern standen, sei geschossen worden.

Die Stellungnahmen sind auf der Webseite der Gruppe »Breaking the Silence« dokumentiert. Einige davon sind als Videos anzusehen, alle sind in einer Broschüre (»Wie wir in Gaza gekämpft haben«, 237 Seiten) nachzulesen, und einige der Soldaten haben auch Fotos und Videos zur Verfügung gestellt, die sie während des Krieges aufgenommen hatten. Ihre Gesichter sind zumeist unkenntlich gemacht. Auf einem Foto sind zwei israelische Soldaten zu sehen, die inmitten von Trümmern stehen und über ein Funkgerät Meldung erstatten. Ein anderes zeigt eine eingestürzte Moschee, auf einigen Bildern machen es sich israelische Soldaten auf Matratzen oder in den Betten verlassener Häuser von palästinensischen Familien bequem.

In einer zweiminütigen Videosequenz berichtet ein Soldat, dass seine Einheit die Obstplantage eines Bauern grundlos zerstört habe. Manchmal, wenn sie nichts zu tun gehabt hätten, hätten sie einfach nur in die Gegend geschossen, »um den Palästinensern zu zeigen, dass wir da sind und dass sie sich benehmen sollen«, so der Soldat. Dann sei die Anordnung kommen, etwas aufs Korn zu nehmen. »Sollen wir das Haus da drüben nehmen? Ja, Peng«, erzählt der Mann. Der Befehl sei von einem Panzerkommandeur gekommen, sie hätten zerstört und getötet, um »die Zeit totzuschlagen«.

Ein IDF-Sprecher warf »Breaking the Silence« vor, keine Beweise für die Behauptungen vorgelegt zu haben. Die Armee sehe sich »verpflichtet, alle glaubwürdigen Behauptungen, die über die Medien und NGOs verbreitet werden, ordentlich zu untersuchen«. Die Gruppe hatte am 23. März die Armeeführung schriftlich um ein Treffen gebeten, erhielt aber keine Antwort, wie Yehuda Shaul, einer der Mitbegründer von »Breaking the Silence«, gegenüber AFP erklärte.

Im Tirtzu, eine Gruppe zionistischer Studenten, bezeichnete die Aussagen als »Geschwätz und Tratsch«. Der Bericht mit den »angeblichen Zeugenaussagen« sei zudem von einem palästinensisch-arabischen Fonds – dem Arabischen Menschenrechtsfonds (AHRF) – gesponsert worden, wird die Gruppe in der israelischen Zeitung Arutz Sheva zitiert, die dem national-religiösen Zionismus zugerechnet wird. 300.000 US-Dollar sei an »Das Schweigen brechen« über »Partnerorganisationen« geflossen, behauptet Im Tirtzu. AHRF sei »in direktem Kontakt mit terroristischen Organisationen und Einzelpersonen, die früher und heute terroristische Taten gegen Israel verüben«, heißt es auf der Webseite der zionistischen Studentenorganisation. Die israelische Staatsanwaltschaft müsse alles unternehmen, um solches Handeln zu stoppen.

»Breaking the Silence« ist eine offiziell in Israel registrierte Nichtregierungsorganisation. Auf ihrer Internetseite ist nachzulesen, wer die Gruppe mit Spenden unterstützt. Der Direktor der Organisation, Yuli Novak erklärte, die Öffentlichkeit müsse wissen, »auf was für Missionen ihre Söhne geschickt werden und nach welchen Regeln die IDF in ihrem Namen handelt«, also im Namen der israelischen Öffentlichkeit. Die Gruppe fordert eine Armee-unabhängige Untersuchungskommission, die die Einsatzregeln während der »Operation Fels in der Brandung« untersuchen solle.

Informationen auf Englisch: http://www.breakingthesilence.org.il/

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Mai 2015


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