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Netanjahu im Würgegriff der Rechten

Nach einem Anschlag und täglichen Ausschreitungen setzt der israelische Regierungschef auf Konfrontation

Von Oliver Eberhardt, Kairo *

In Ost-Jerusalem gibt es derzeit täglich Ausschreitungen; nach dem Anschlag in der vergangenen Woche starb nun der zweite Mensch. Israels Regierung will derweil die Siedlungen ausbauen lassen.

Es sind Bilder, die an die Zeiten der beiden Intifadas erinnern: Auch am Montagmorgen sind wieder mehrere Dutzend junge Palästinenser, die Gesichter häufig unter traditionellen Tüchern verborgen, auf die Straße gegangen. Steine werden geworfen, auch einige Brandsätze, berichten Augenzeugen. Die Polizei setzt Tränengas und Gummigeschosse ein. Am Freitag hatte das Militär im Westjordanland außerhalb Ramallahs scharfe Munition eingesetzt. Ein 14-jähriger wurde getötet.

Ursprünglich waren es Besuche von jüdischen Israelis auf dem Haram al-Scharif (Tempelberg), die die Gewalt hatte aufflammen lassen. Rechte Politiker hatten dazu aufgerufen, um den israelischen Anspruch auf die sowohl Muslimen als auch Juden heilige Stätte zu unterstreichen. Am Montag sind es jedoch die Umstände der Beerdigung eines 21-jährigen, die die Emotionen zum Kochen bringen. Er war am vergangenen Mittwoch getötet worden, nachdem er sein Auto in eine Menschenmenge gesteuert hatte – ein gezielter Anschlag, kein Unfall. Ein Baby starb noch am Anschlagsort, eine ecuadorianische Staatsbürgerin erlag am Sonntag ihren Verletzungen.

Die Polizei hatte den Leichnam des Attentäters nur mit Verzögerung freigegeben und angeordnet, ihn in der Nacht und nur in kleinem Kreis zu bestatten. Palästinensische Jugendliche, die sich daraufhin zu einen Trauerzug mit leerem Sarg zusammenfanden, wurden nach wenigen Minuten von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen aufgehalten – Maßnahmen, die innerhalb des israelischen Sicherheitsapparates massivst kritisiert werden: »Wir weichen damit von unserer Strategie der ›Präsenz nur im Ernstfall‹ ab, die uns jahrelang gute Dienste erwiesen hat.« In der Vergangenheit zeigte die Polizei so wenig Präsenz wie möglich und griff nur punktuell ein.

Nun allerdings setzt der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu, vor allem auf Druck seiner rechten Koalitionspartner, auf Konfrontation. Der Vorsitzende der Siedlerpartei »Jüdisches Heim«, Wirtschaftsminister Naftali Bennett, hatte nach dem Anschlag mit dem Koalitionsbruch gedroht, falls Netanjahu »nicht zeigt, wer der Herr im Hause ist«. Dieser ließ daraufhin die Polizeipräsenz im arabischen Osten Jerusalems verstärken. Außerdem ordnete er an, zwei Siedlungsprojekte im Westjordanland nördlich und südlich von Jerusalem zu beschleunigen: 1076 Wohnungen sollen gebaut werden. Ein leitender Mitarbeiter von Ministerpräsident Netanjahu erläuterte der Nachrichtenagentur AFP, es gehe um rund 400 Wohnungen in der Siedlung Har Homa im Süden sowie um über 600 Wohnungen in Ramat Schlomo im Norden von Ost-Jerusalem. Die Pläne hatten auf Eis gelegen, seit die US-Regierung 2010 interveniert hatte. Der Siedlungsausbau wird kritisiert, weil er die Aussicht auf einen Frieden in Nahost schmälert.

Die palästinensische Regierung warnte am Montag auf einer Pressekonferenz in Ramallah, diese Entscheidung sei »ein einseitiger Akt, der zu einer Explosion führen wird«. Die Gewalt im Gazastreifen im Sommer könne sich im Westjordanland wieder holen, sagte Dschibril Radschub, ein Funktionär der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas. Hanan Aschrawi, Mitglied des Exekutivrates der PLO, warf Netanjahu vor, de facto eine Ein-Staaten-Lösung durchsetzen zu wollen.

Eine Ansicht, die auch in großen Teilen der israelischen Politik vorherrscht. Linke und religiöse Parteien kritisierten den erneuten Siedlungsbau; auch Netanjahus zentristische Koalitionspartner sind vehement gegen die Pläne: Die Regierung befinde sich im »Würgegriff der Rechten«, so Justizministerin Zippi Livni.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. Oktober 2014


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