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Kabinettstück in Jerusalem

Bauhaus bis Boykottabwehr: Deutsche Regierung fast komplett zu Konsultationen in Israel

Von Oliver Eberhardt *

Nahezu das komplette Bundeskabinett ist zu einer zweitägigen Reise in Israel eingetroffen. Sie soll ein Freundschaftsbesuch sein. Doch das gegenseitige Verhältnis ist distanzierter geworden.

Das Reiseprogramm wirkt unspektakulär, suggeriert naheste Nähe: An diesem Dienstag werden sich die Regierungen der Bundesrepublik und des Staates Israel in Jerusalem zusammensetzen, um Abkommen in so gut wie allen Bereichen zu unterzeichnen; die Inhalte reichen von der Krebsforschung über den Erhalt der Bauhaus-Architektur, die Tel Aviv als »Weiße Stadt« bekannt gemacht hat, bis hin zu Senioren-Themen. Außerdem wird Bundeskanzlerin Angela Merkel von Staatspräsident Schimon Peres die Präsidentenmedaille erhalten, den 2012 eingeführten höchsten zivilen Orden des Landes.

Im Vorfeld hatte Merkel erneut erklärt, das Existenzrecht Israels sei deutsche Staatsräson. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier schrieb in einem Gastbeitrag für die auflagenstärkste Zeitung »Jedioth Ahronoth«: »Israel steht nicht allein. Deutschland und Europa sind wichtige Partner, die mit Nachdruck für die Legitimierung Israels und sein Existenzrecht eintreten.« Um diese Nähe zu demonstrieren, hatten beide Regierungen bereits in der vergangenen Woche ein Abkommen über die konsularische Zusammenarbeit unterzeichnet: Künftig können Israelis in allen Ländern, in denen Israel keine eigene Botschaft unterhält, konsularische Unterstützung von der deutschen Vertretung erhalten.

Doch hinter den Kulissen ist die Atmosphäre längst nicht so entspannt, wie sie nach außen wirkt.

Nähe zu Israel bedeute nicht zwingend auch Nähe zur Mitte-Rechts-Regierung des Konservativen Benjamin Netanjahu, sagt ein deutscher Diplomat. Der Regierungschef wird wohl im vertraulichen Gespräch von Merkel ein Einlenken auf seinen Kurs in der Frage des iranischen Nuklearprogramms fordern. Und Merkel hatte bereits am Wochenende angekündigt, auch den Friedensprozess mit den Palästinensern thematisieren zu wollen: Sie werde mit Netanjahu besprechen, »was noch an Hürden für einen solchen Prozess auf dem Weg liegt.«

Die Verhandlungen unter Vermittlung von US-Außenminister John Kerry sind nach wie vor am Stocken. In einem Interview mit dem ZDF hatte Netanjahu erneut den Palästinensern die Schuld daran gegeben: »Schlüssel zum Frieden« sei nicht die israelische Siedlungspolitik, sagte er in Anspielung auf die Worte des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz vor der Knesset, sondern vielmehr der Wille der Palästinenser, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen. Es könne auch unter Freunden Verstimmungen geben. »Aber wer sagt, die Siedlungen seien das Hauthindernis, muss wissen, dass wir auch nach der Zerstörung aller Siedlungen im Gaza-Streifen keinen Frieden bekommen haben.«

Es ist die mittlerweile fünfte deutsch-israelische Regierungskonsultation; die gemeinsamen Sitzungen finden abwechselnd in Berlin und Jerusalem statt. Doch nie zuvor war die Zahl der Bundesminister, die sich auf den Weg nach Israel machten, so hoch wie dieses Mal: Bis auf Peter Altmeier und Vizekanzler Sigmar Gabriel befindet sich derzeit das gesamte Kabinett außer Landes.

Gabriel hatte 2012 für einen Eklat gesorgt, als er nach einem Besuch in der palästinensischen Stadt Hebron auf Facebook erklärte: »Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.«

Eklats wie dieser werden dieses Mal wohl ebenso ausbleiben wie lautstarke Proteste des den Siedlern nahestehenden Koalitionspartners »Das jüdische Haus«, deren Abgeordnete während der Knesset-Rede des EU-Parlamentspräsidenten den Sitzungssaal verlassen hatten. Mittlerweile, so berichtet es der israelische Militärrundfunk, habe man dort realisiert, dass man sowohl die Bundesregierung als auch jeden möglichen Partner innerhalb der Europäischen Union braucht, um die Boykott-Bestrebungen gegen Israel, die in einigen EU-Ländern sehr stark sind, zu kontern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. Februar 2014


Unter Freunden

Roland Etzel zu Merkels Besuch in Israel **

Unter Freunden, so heißt es, sollte man sich offen die Meinung sagen, und die Kanzlerin lässt gern und häufig verbreiten, dass ihr Verhältnis zu Israel ein besonders freundschaftliches sei. Die jetzige Reise Merkels nach Israel soll dies gewiss unterstreichen. 16 Minister im Gefolge gelten als Zeichen hoher Wertschätzung. Auch das deutsche Gastgeschenk, Israel überall dort im Ausland zu vertreten, wo es selbst nicht präsent ist oder sein darf, ist weit mehr als die sonst meist übliche Staatsbonbonniere ohne praktischen Wert.

Selbst wenn davon auszugehen ist, dass Freund Netanjahu das Geschenk annimmt – den freundschaftlichen Rat, doch bitte seine Siedlungspolitik in Palästina als Haupthindernis für eine nahöstliche Zweistaatlichkeit zu überdenken, hat er ziemlich unfreundlich zurückgewiesen. Die Kanzlerin sollte dankbar sein für die Klarheit der Botschaft. Effektives deutsches Mitreden bei der Lösung des Nahostkonflikts ist abgesehen von Ergebenheitsadressen für Netanjahu weder von Belang noch erwünscht.

Dabei hat Merkel doch nur den Standpunkt der EU in noch dazu abgeschwächter Form wiedergegeben. Aber vielleicht war es gerade das. Die israelischen Historiker Tom Segev und Moshe Zimmermann jedenfalls haben Deutschland geraten, gerade als Freund Druck zu machen: um ein selbstzerstörerisches Israel vor sich selbst zu beschützen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. Februar 2014 (Kommentar)


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