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Junge Israelis gestanden Mord an Abu Chder

Netanjahus Wahlbündnis mit Liebermans Ultranationalisten ist zerbrochen: Regierung in der Krise

Von Oliver Eberhardt *

Weil Israels Premier Netanjahu gegen den Einsatz von Bodentruppen im Gazastreifen ist, hat die Partei von Außenminister Lieberman dem Likud-Block das Bündnis aufgekündigt.

»Drei der sechs Verdächtigen haben die Ermordung und Verbrennung Mohammed Abu Chders bei lebendigem Leib gestanden«, verlautete am Montag aus Ermittlerkreisen in Israel. Der 16-jährige Araber Abu Chder war Mitte vergangener Woche in Ostjerusalem entführt worden. Am Sonntagmorgen hatte die Polizei sechs junge jüdische Extremisten als mutmaßliche Täter festgenommen.

Während im Norden Israels die Proteste aufgebrachter Araber andauerten, wurden bei israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen acht Palästinenser getötet.

Seit Tagen schon stritten Regierungschef Benjamin Netanjahu und sein Außenminister Avigdor Lieberman über Art und Umfang eines Militäreinsatzes im Gazastreifen. Am Montagmorgen ging Netanjahu vor laufenden Kameras zunächst Lieberman und Handelsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei »Jüdisches Heim«, an: Man müsse in dieser Situation mit kühlem Kopf handeln und keine Aufwiegelung betreiben. Lieberman warf dem Regierungschef daraufhin vor, der sage Dinge, die er nicht umsetze, während er selbst immer schon das gesagt habe, was er nun fordere.

Kurz danach kündigte Liebermans Partei Jisrael Beitenu (Unser Haus Israel) ihr Wahlbündnis mit Netanjahus Likud-Block auf: Die Fraktion von 31 Abgeordneten spaltet sich in eine 20-köpfige Likud- und eine 11-köpfige Jisrael-Beitenu-Fraktion. Zwar wollen Liebermans Leute im Kabinett bleiben, doch wie diese Zusammenarbeit funktionieren soll, das wissen auch sie nicht so genau.

Schon jetzt ist die Regierung handlungsunfähig: Obwohl sie in den letzten Wochen Stunden um Stunden tagte, fand man selbst in Grundfragen keinen gemeinsamen Nenner. »Der Regierungschef schien mehr darauf bedacht, die Koalition zusammenzuhalten, als die Krise unter Kontrolle zu bringen«, sagte ein Kommentator des Armeerundfunks.

So rang sich Netanjahu erst am Montag dazu durch, die Eltern des ermordeten arabischen Jugendlichen Mohammed Abu Chder anzurufen und ihnen sein Beileid auszusprechen. Noch am Sonntag hatte er versucht, den Tod des jungen Mannes für seine Kampagne gegen die palästinensische Regierung zu nutzen: Anders als sie ermittle Israel schnell und stelle die Täter vor Gericht. Die Palästinenser hingegen feierten die Mörder dreier israelischer Jugendlicher auch noch. In Ramallah erinnerten die palästinensischen Behörden indes daran, dass es auch in Israel Personen gibt, die die Mörder feiern; zudem habe man sehr früh mit den begrenzten Mitteln, die zur Verfügung stehen, kooperiert.

Mit der politischen Eskalation könnte Israel nun auch ein radikaler Kurswechsel bevorstehen: Nur wenige glauben, dass Netanjahu mit dieser Koalition weitermachen wird. Die Alternative wären Neuwahlen oder eine Koalition mit der Arbeitspartei und der linksliberalen Meretz. Deren Bedingung ist aber die sofortige Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Juli 2014


Gewaltspirale in Nahost

Israelische Bombenangriffe auf Gazastreifen fordern neun Menschenleben. Lieberman bricht mit Netanjahu **

Die Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern eskalieren weiter. Nach heftigen Luftangriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen kündigte die dort regierende Hamas am Montag Rache für den Tod von neun Menschen an. Die palästinensische Nachrichtenagentur Maan berichtete, sieben der Getöteten seien Mitglieder des bewaffneten Flügels der Hamas gewesen. Sechs von ihnen seien beim Bombardement eines Tunnels im Grenzgebiet zu Ägypten ums Leben gekommen. Tel Aviv nennt die Bombardierungen eine Reaktion auf Dutzende Raketen, die seit Tagen aus dem Küstenstreifen auf israelisches Territorium abgefeuert wurden.

Auslöser für die erneute Zuspitzung der Lage waren die Entführung und Ermordung von drei jüdischen Teenagern sowie der mutmaßliche Rachemord an einem arabischen Jugendlichen. In letzterem Fall hat die Polizei sechs israelische Tatverdächtige festgenommen. Bei ihnen handele es sich um eine »Zelle von Mitgliedern des ultrarechten Lagers«, berichtete der israelische Rundfunk am Montag unter Berufung auf die Polizei. Tatmotive seien Haß auf Araber und Rache für den Mord an den jungen Israelis. »Drei der sechs Verdächtigen haben die Ermordung und Verbrennung von Mohammed Abu Chder bei lebendigem Leib gestanden und die Tat vor Polizisten nachgestellt«, verlautete aus Ermittlerkreisen.

Im Streit um das richtige Vorgehen hat der israelische Außenminister Avigdor Lieberman das Bündnis seiner ultrarechten Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) mit dem Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufgekündigt. Grund dafür seien »tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten«. Lieberman hatte Netanjahus Vorgehen gegen die Hamas als zu zögerlich kritisiert und eine breite Militäroffensive gefordert. Seine Fraktion wolle jedoch in der Regierungskoalition bleiben, betonte er gleichzeitig.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Juli 2014


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