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"Es ist gut ein Nestbeschmutzer zu sein"

Solidarität mit Israel? Mit welchem Israel? - Moshe Zuckermann (Israel) im Gespräch mit Hakam Abdel-Hadi

Im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Hofgeismar (10.–12. März 2006) referierte Dr. Moshe Zuckermann, Professor und Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel-Aviv, über das Thema: "Zwischen Antisemitismus und Philosemitismus – welche Solidarität kann es sein?" Der Vortrag löste während der Tagung lebhafte Diskussionen aus und veranlasste Hakam Abdel-Hadi zu einem Interview mit Zuckermann. Abdel-Hadi hat uns das Interview zur Veröffentlichung zu Verfügung gestellt.



Seinen Vortrag begann Prof. Zuckermann mit den Worten: "Mit welchem Israel sollte sich Deutschland solidarisieren? Mit den jüdischen Bürgern, mit welchen von ihnen, mit den Laizisten oder den Ultraorthodoxen, mit den 1,3 Millionen israelisch-arabischen Bürgern oder mit den Siedlern in den Besetzten Gebieten?"

Ich begann das Interview mit der Frage, wie die Solidarität von Deutschen mit Israel denn nun aussehen soll?

Zuckermann: Wenn sie als Deutsche sozusagen gegenüber Israel eine Politik betreiben, muß es eine Politik sein oder eine Solidarität sein, die zugleich mit der Solidarität mit Israel auch die Solidarität mit den Palästinensern in Anschlag bringt. Denn nur, wenn die Israelis dann in einen Friedens- oder einen Versöhnungskurs eingestiegen sind, wird man im Grunde genommen die wirklichen Folgen aus dem Holocaust historisch - und dann auch im Nahen Osten - zu einem Kreis schließen können.

Abdel-Hadi: Ein liberaler Journalist würde dann die Frage stellen: Warum machen Sie das so kompliziert? Wir sind Demokraten. In Israel wird gewählt. Wir haben Regierungen, Koalitionen und wenn die Deutschen solidarisch sein wollen – sie haben solidarisch zu sein mit der Mehrheit in Israel, die gewählt ist und Punkt!

Zuckermann: Ja, nun bin ich kein Liberaler und von daher muß ich nicht die Argumentation des Liberalen akzeptieren. Denn wir wissen ja sehr wohl, daß man auch mit demokratischen Wahlen sich das Allerschlimmste wählen kann. Ein Beispiel wäre gerade dieses Land. Ich gebe immer wieder zu bedenken, daß in der Weimarer Republik Adolf Hitler demokratisch gewählt worden ist. Für mich ist das Argument der Majoritätswahl im humanistischen, aber auch vor allem im emanzipatorischen Sinne, absolut kein Argument.

Ich wiederhole nochmals: Wenn man wirklich der Juden als Opfer gedenken will, muß man unbedingt eine Politik betreiben, die keine Opfer mehr herstellt. Das ist die einzige Weise der Opfer im Stande ihres Opferseins zu gedenken. Das bedeutet dann, daß Deutschland auf keinen Fall eine Politik unterstützen kann, wo Juden beispielsweise Palästinenser zu neuen Opfern machen. Das ist für mich zum Beispiel eine Schlußfolgerung aus dem historischen Gedenken.

Sie bemerken übrigens dabei, daß ich nicht so sehr von der deutschen Bringschuld rede, sondern ich rede von einer Politik, die emanzipatorisch denkt. Es ist im Interesse der Juden, wie im Interesse der Israelis, wie im Interesse der Palästinenser, daß wir Frieden in dieser Region bekommen. Diesen Frieden kann man schlechterdings nicht anders haben, als wenn man den Palästinensern ihren Staat gibt und wenn man es dazu bringt, daß diese beiden Staaten aufeinander eingespielt werden, damit sie eine friedliche Koexistenz miteinander betreiben können.

Abdel-Hadi: Ist Israel eigentlich bedroht, daß es dieser Solidarität bedarf? Ist - nach Ihrer Auffassung - Israels Existenz bedroht?

Zuckermann: Die Existenz Israels ist nicht, jedenfalls nicht militärisch bedroht, wenn darauf Ihre Frage abzielt. Was Israel als Solidarität braucht, ist etwas ganz anderes. Nämlich für seine diplomatischen, für seine ökonomischen und für seine politischen Interessen. Solidarität ist auch immer die Frage, wie setze ich das um? Beispielsweise wenn man sich mit mir solidarisiert, kann ich bessere Handelsabkommen erreichen oder ich fahre weniger Kritik gegen mich selber ein. Von daher sind die Fragen der Existenzbesorgnis und der Solidarität zwei vollkommen separate Angelegenheiten.

Die eine Sache ist die Existenzbedrohung Israels, die für meine Begriffe durch kein Land in der Region des Nahen Ostens heute gegeben ist. Die andere Frage ist, zu welchem Ziel will man diese Solidarität haben und für meine Begriffe hat sie nicht sehr viel mit der Realpolitik zu tun, als vielmehr mit den diplomatischen Interessen, den ökonomischen Interessen und so weiter und so fort.

Abdel-Hadi: Wie ordnen Sie die Besatzungspolitik Israels in diesem Zusammenhang ein?

Zuckermann: Das ist die Crux des gesamten Diskurses, wir reden genau davon. Israel wäre eine Sache, wenn es keine Besatzung hätte. Und Israel ist eine ganz andere Sache, in dem Moment, wo es die Besatzung betreibt. Indem es die Besatzung betreibt, betreibt es eine Barbarei, die so nicht gehalten werden kann.

Es geht um eine Barbarei, die schon viele Jahrzehnte läuft, die muß aus der Welt geschaffen werden und nur wenn sie aus der Welt geschaffen wird, darf Israel, wie denn die gesamte Region, hoffen, was bis jetzt das Herz des Problems gewesen ist, überwunden worden ist. Von daher ist die Frage der Besatzung eine Frage, die unter dem historischen Gesichtspunkt der Entstehung der Besatzung zu untersuchen ist. Das heißt. Was bedeutete es 1967, daß Israel die Gebiete besetzte? Was hieß es noch bis zum Jahre 1970, 71, 72 und was wurde es im Jahre 1975? Ich würde sagen, bis zum Jahre 1971 oder 72 war das noch ein Faustpfand in den Händen der israelischen Regierungen, um bei zukünftigen Friedensverhandlungen etwas in der Hand zu haben, was sie geben können, um dafür Frieden zu erhalten.

Ab Mitte der siebziger Jahre, genaugenommen ab 1974, kommt ein ganz neues Element herein. Das Element ist, daß es die religiös motivierten Besiedlungen der Westbank gibt und zwar im Sinne einer Besiedlung, die da meint: "Wir sind in das Land der Urväter zurückgekehrt". Wie ist dieses Element in die israelische Politik gelangt, das zum heutigen Zeitpunkt die Zentrallast geworden? Ich würde es sogar – wenn ich einmal eine Metapher benutzen darf – folgendermaßen formulieren: Im Jahre 1967 nimmt Israel den Apfel der besetzten Gebiete in den Mund. Es ist nicht fähig ihn herunter zu schlucken, es ist nicht fähig ihn auszuspucken und heute erstickt es daran. Das Problem ist, daß während Israel an diesem Apfel erstickt, ersticken auch diejenigen, die in diesem Apfel wohnen. Das ist also Leben, das sind also die Palästinenser.

Abdel-Hadi: Das sind harte Worte aus israelischer Sicht. Vor allem aus der Sicht der Etablierten. Haben Sie schon mal gezählt, wie oft sie in Israel als Netzbeschmutzer bezeichnet worden sind?

Zuckermann: Ich glaube, daß mein Kulturkapital in Israel sich aus mehrerem zusammensetzt. Es gibt solche Leute, die meinen, daß ich politisch sozusagen ausgeschaltet gehöre. Es gibt eine ganze Menge Leute, die auf der anderen Seite das, was ich in Israel kulturell leiste – und ich beschäftige mich nicht nur mit Politik, sondern auch mit anderen Sachen - und bin akademisch so renommiert, daß keiner meine Person als Person in Frage stellen würde. Die Tatsache, daß ich von bestimmten Kreisen als Nestbeschmutzer angesehen werde, gereicht mir persönlich zur Ehre. Es ist gut ein Nestbeschmutzer zu sein in den Zeiten, wo das Nest schmutzig ist. Schmutzig ist es nicht durch meine Worte, sondern durch die Realität, die beispielsweise eine fast schon vierzigjährige Besatzung fortschreibt.

Abdel-Hadi: Darf ich Sie bitten zum Schluss eine Minute über ihre Biografie etwas zu sagen?

Zuckermann: Meine Biographie ... Ich bin im Jahre 1949 in Tel Aviv als Sohn von Auschwitzüberlebenden zur Welt gekommen. Im Jahre 1960 sind meine Eltern von Israel weg und zwar nach Deutschland eingewandert, deshalb weil ein Rest der Familie hier nach dem Krieg geblieben war und sich ökonomisch etabliert hatte. Meine Eltern haben es in Israel nicht gepackt. Deshalb sind sie nach Deutschland gekommen. Ich bin also in Deutschland von 60 bis 70 aufgewachsen. 1970 habe ich dann beschlossen nach Israel zurück zu gehen. Meine Eltern sind übrigens in Deutschland geblieben. Meine Schwester ist mit nach Israel gekommen und von daher diese sehr merkwürdige Biographie von Israel, Deutschland, Israel. So heißt übrigens mein nächstes Buch, das ich jetzt geschrieben habe, wo ich über diese Biographie eine kollektive Rechenschaft ablegen werde.

Abdel-Hadi: Aber Sie haben auch akademisch viel mit Deutschland zu tun?

Zuckermann: Ja, ja, ich bin aufgewachsen im Gymnasium hier in Deutschland. Studiert habe ich bereits in Israel. Aber geprägt bin ich natürlich von bestimmten philosophischen, soziologischen Tendenzen der akademischen Welt des Deutschlands der sechziger Jahre.

Abdel-Hadi: Vielen Dank

Hofgeismar bei Kassel, 11. März 2006


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