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Düstere Zukunft

Zwei Bände mit Arbeiten Moshe Zuckermanns zu Zionismus und Israel

Von Gerd Bedszent *

Moshe Zuckermann ist Professor für Philosophie und Geschichte an der Universität von Tel Aviv und gilt derzeit als wichtigster Vertreter der Kritischen Theorie im israelischen Wissenschaftsbetrieb. Die vom Laika-Verlag herausgegebene zweibändige Ausgabe seiner Schriften versammelt insgesamt dreißig Essays, Aufsätze, Interviews und politische Analysen, veröffentlicht zwischen 1998 und 2011. Zuckermann erweist sich darin als an Marx und Adorno geschulter profunder Denker, der auch vor unbequemen, dem Zeitgeist völlig zuwiderlaufenden Schlußfolgerungen nicht zurückschreckt.

Die Beiträge im Band I setzen sich kritisch mit der Entstehungsgeschichte des Staates Israel, dessen gegenwärtiger Politik und dem deutsch-israelischen Verhältnis auseinander. Zuckermann thematisiert die von ihm als »monströs« charakterisierte Vernichtung von Juden während der Naziherrschaft und verweist auf die historische Schuld Deutschlands, lehnt jedoch eine kurzschlüssige Gleichsetzung von Antisemitismus mit Antizionismus und Israelkritik ab. Dem in Deutschland verbreiteten vulgären Philosemitismus bescheinigt der Autor »eine gefährliche Gemeinsamkeit mit dem manifesten Antisemitismus«. Und unterzieht die zionistische Ideologie einer beißenden Kritik, wobei er auf seine Innensicht der israelischen Gesellschaft zurückgreifen kann, die dem hierzulande propagierten Bild widerspricht.

Gründungsparadoxon

Der Autor charakterisiert den Zionismus als durchaus »modern« und »links«, entstanden in deutlicher Abgrenzung und Gegnerschaft zum orthodoxen Judentum. Die Mehrzahl der zionistischen Parteien und Organisationen war durch die Arbeiterbewegung stark beeinflußt. Bei der Landnahme in Palästina spielten klassische Elemente linker Infrastruktur wie Gewerkschaften und landwirtschaftliche Kooperativen eine wesentliche Rolle.

Dennoch bezeichnet der Autor die auf Theodor Herzls Buch »Der Judenstaat« (1896) zurückgehende Gründung Israels in Palästina als »Paradoxon«. Der Zionismus war zunächst ideologischer Überbau ohne zugehörige Basis. Das Territorium mußte erst erobert, ein Staatsvolk ins Land geholt, eine staatliche Infrastruktur aufgebaut werden. Wobei man für letzteres die Finanzhilfe des mit gewesenen Nazis durchsetzten Adenauerstaates gut gebrauchen konnte. Die Definition der Zugehörigkeit zum Staatsvolk erfolgte auf religiöser Grundlage: Jude ist, wer entweder von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder aber nachweislich zur jüdischen Religion konvertierte. Mit Übernahme dieser Definition bot der säkulare Zionismus der religiösen Rechten eine offene Flanke. Die aus der Verschmelzung von Elementen des ursprünglichen Zionismus und der Orthodoxie entstandene nationalreligiöse Ideologie bildete die Grundlage für das Aufkommen rechter Parteien, die seit dem Niedergang des klassischen, sozialdemokratisch geprägten Zionismus die politische Landschaft des Staates Israel dominieren.

Die Zukunft Israels und Palästinas sieht für Zuckermann düster aus. Die religiöse Rechte in Israel habe sich mit ihrer Politik der letzten Jahre in eine ausweglose Situation hineinmanövriert. Eine Zweistaatenlösung sei nicht mehr praktizierbar, ohne daß jüdische Siedlungen in Größenordnungen den Palästinensern zurückgegeben würden. Das Resultat wäre ein Bürgerkrieg zwischen Regierung und rechtsradikalen Siedlergruppen. Die an sich vernünftige Einstaatenlösung mit Juden und Palästinensern als gleichberechtigten Bürgern sei ebenfalls nicht durchsetzbar, weil sie dem zionistischen Gründungskonsens Israels als mehrheitlich jüdischem Staat widerspricht. Aus diesem unlösbaren Dilemma resultierten zunehmend faschistoide Tendenzen in der israelischen Politik.

Radikale Kritik

In einem den ersten Band abschließenden, hier erstmals veröffentlichten Gespräch unterzieht der Autor die deutsche Linkspartei »mit ihrem Einknicken vor der neokonservativ durchwirkten Meinungshegemonie, der Diskreditierung der Kapitalismuskritik, den Niedergang der Antisemitismus- und Faschismusforschung, dem virulenten Islam- und Linkenhaß als Legitimationsideologie des neoimperialistischen ›War on Terror‹« einer vernichtenden Kritik.

In den philosophischen und kulturpolitischen Beiträgen des zweiten Bandes setzt sich Zuckermann unter anderem mit den Folgen der Unterwerfung des israelischen Wissenschaftsbetriebes unter »zionistische Werte« auseinander. Der israelischen Gesellschaft bescheinigt er autoritäre Züge: Alles, was die zionistische Hegemonie in Frage stellen könnte, wurde jahrzehntelang bekämpft oder totgeschwiegen. Als besonders krasses Beispiel nennt er das Buch »Eichmann in Jerusalem« der jüdischen Philosophin und Nicht-Zionistin Hannah Arendt, das vierzig Jahre lang keine Übersetzung ins Hebräische erfuhr. Ähnlich ging es anderen Autoren und Wissenschaftlern – die Kritische Theorie konnte daher überhaupt erst spät in Israel Fuß fassen.

Umso erstaunlicher ist die Radikalität von Zuckermanns Kritik. Das postmoderne Denken charakterisiert er als »Philosophie der Ohnmacht« und als Legitimationsideologie des Spätkapitalismus. In mehreren Beiträgen zitiert er Marx, dessen »fundamentale Einsichten in das ökonomische Gesetz und dessen Wirkmächtigkeit auf das Ausbeuterische und Unfreie der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und deren Lebensgestaltungen (…) im Wesentlichen ihre Gültigkeit bewahrt haben«. Wobei er ergänzend auch auf »gewichtige Veränderungen im System dieser Produktionsweise (Veränderungen, von denen Marx noch nichts ahnen konnte)« während der letzten hundertfünfzig Jahre hinweist. Noch immer sei es den Menschen gegeben, selbst zu bestimmen, ob »die gegenwärtige historische Phase, die des Spätkapitalismus, ›mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft‹ oder ›mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen‹ enden werde«.

Moshe Zuckermann: Wider den Zeitgeist - Band I: Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahostkonflikt und den Antisemitismus. Laika Verlag, Hamburg 2012, 206 Seiten, 21 Euro
Band II: Zur Aktualität der Kritischen Theorie. Laika Verlag, Hamburg 2013, 156 Seiten, 20 Euro


* Aus: junge Welt, Montag, 27. Mai 2013


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