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Israel nach der Wahl - Pressestimmen und Reaktionen
Überwiegend kritische bis besorgte Stimmen - Der Konflikt droht sich weiter zu verschärfen
Da mögen die Presseorgane und ihre Experten und Kommentatoren politisch noch so weit ausienander liegen: In der Einschätzung des Wahlergebnisses und dessen Bedeutung für den Friedensprozess im Nahen Osten sind sie sich weitgehend einig. Die Wahl des Rechtsaußen Ariel Scharon verheißt nichts Gutes für die Palästinenser, verheißt aber auch nichts Gutes für Israel. Die Israelis haben Scharon gewählt, um damit noch mehr militärischen Schutz und eine gewisse Sicherheit zu bekommen, doch zunächst einmal werden die Unruhen und die Unsicherheit zunehmen. Bei der Autobombe, die heute (8. Februar 2001) im jüdischen Viertel Jerusalems explodierte, wird es nicht bleiben. Scharons Programm ist Härte und Kampf. Es gibt auf arabisch-palästinensischer Seite viele, die diese Sprache auch verstehen. Die Leidtragenden werden die Menschen im Nahen Osten sein, die jungen Menschen vor allem, die wieder um wertvolle Jahre ihres Lebens betrogen werden.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Auswahl von Pressestimmen und Erklärungen zum Ausgang der Wahl, vom 7. Februar 2001, bei der Ariel Scharon mit 62,5 Prozent (gegenüber 37,5 % für Barak) zum neuen israelischen Ministerpräsident gewählt wurde.
Die Neue Zürcher Zeitung
möchte das Wahlergebnis etwas entdramatisieren, indem argumentiert wird, Scharons Politik werde sich weniger an seinen radikalen Worten denn an den realen Gegebenheiten orintieren müssen. Im Kommentar heißt es u.a.:
Nach den Wahlen wird ihn (Sharon) das israelische Publikum - und die Weltöffentlichkeit - nicht mehr nach seinen vieldeutigen und widersprüchlichen Schlagworten beurteilen, sondern nach seinen
Taten.
Diese werden wesentlich von der Parteienkoalition beeinflusst sein, auf die er
sich künftig im Parlament stützen muss, da seine Likud-Partei bei weitem über
keine Mehrheit verfügt. Sharon hat die Arbeitspartei des geschlagenen
Konkurrenten Barak zur Teilnahme an seiner Regierung eingeladen. Um ihrer
eigenen Glaubwürdigkeit willen tut die Arbeitspartei gut daran, auf diese Offerte
nur dann einzugehen, wenn Sharon ihr bindend zusichert, dass er im Rahmen
einer Friedenslösung mit den Palästinensern bereit ist, einen selbständigen
palästinensischen Staat mit zusammenhängendem Gebiet in Cisjordanien (Westjordanland) und
im Gazastreifen zu akzeptieren. Kommt eine grosse Koalition auf dieser Basis
mit der Arbeitspartei nicht zustande, wird Sharon gegenüber den
Sonderinteressen der religiösen und ultranationalistischen Parteien nicht mehr
viel Spielraum bleiben.
...
Sharon verdankt seinen deutlichen Wahlsieg nicht in erster Linie seiner
Persönlichkeit oder seinem nebulösen Programm für «Friede und Sicherheit»,
sondern dem offenkundig stark verbreiteten Bedürfnis unter den verunsicherten
und desorientierten israelischen Bürgern, Barak abzuwählen. ...
In erster Linie aber haben all jene israelischen Bürger, die Sharon zu seinem
Wahlsieg verholfen haben (dazu gehört auch jenes entscheidende Segment, das
nicht zur Urne ging), schwer kalkulierbare Risiken für die Interessen ihres Landes
akzeptiert. Nicht das geringste dieser Risiken ist die Gefahr einer wachsenden
internationalen Isolierung. Sharon kann dieses Risiko entschärfen, wenn sein
Wort von den «schmerzhaften Konzessionen für beide Seiten» keine
unverbindliche Worthülse bleibt.
NZZ, 08.02.2001
Die Süddeutsche Zeitung schreibt u.a.:
Vor dem Führen hat sich Ariel
Scharon nie gescheut. Doch Zeit seines Lebens hatte er Kriege
geführt und wollte doch eigentlich das Land führen.
Seine Biographie freilich gibt zu der Befürchtung Anlass, dass
er das Land in einen Krieg führen könnte. Zwar ist er in die
Wahlschlacht gezogen mit dem Slogan „Nur Scharon bringt
Frieden“. Aber jenseits dieser plakativen und landesweit
plakatierten Aussage hat er keine konkrete
Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Denn parallel ließ er
alte Kampfrufe wie „Jerusalem bleibt unser“ anstimmen, und
der Erhalt israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten,
die wie eine ganze Batterie von Stacheln im Fleisch eines
künftigen Palästinenser-Staates stecken, ist ohnehin auf all
seinen politischen Posten sein Kernthema gewesen.
SZ, 07.02.2001
Und einen Tag später kommentiert ebenfalls die
Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift "Scharon oder Schalom":
Politische Prognosen können sich an zwei widerstreitenden Mustern orientieren: an der Macht des Faktischen und am Prinzip des Paradoxen. Fakt ist, dass
in Israel mit Ariel Scharon ein Mann an die Macht gekommen ist, der den Friedensprozess von Oslo für tot erklärt hat und für eine Politik rücksichtsloser
Stärke steht. Das riecht nach Krieg oder zumindest nach einem leidvollen Dauerkonflikt. Andererseits führt der alte Kämpfer das Wort Frieden – in seiner
Diktion als "Schlacht für den Frieden" – mit einer Penetranz ins Feld, welche die aufgrund seiner Vita paradoxe Erwartung nährt, dass am Ende doch alles
ganz anders kommt. Es ist die Hoffnung, dass nur ein Mann von solchem Schrot und Korn Frieden schließen kann, weil nur er die Stärke hat, sich Schwäche
zu leisten und Zugeständnisse zu machen.
...
... Enttäuschung, Wut und vor allem Angst sind die beherrschenden Gefühle im
Verhältnis zu Jassir Arafat und seinem Volk. Ehud Barak hatte dem nichts entgegenzusetzen, und Scharon strich einen leichten Sieg ein, weil er den Israelis
versprach, ihnen die Angst zu nehmen und Sicherheit zu geben. Diese Sehnsucht nach Sicherheit überlagert derzeit alles andere – auch die Einsicht, dass
an einem Ausgleich mit den Palästinensern kein Weg vorbeiführt . . . irgendwann. Und zur Behandlung des Erschöpfungssyndroms hat Scharon eine starke
Medizin: die Suggestionskraft.
Mit seinem Versprechen nach mehr Sicherheit durch Stärke trifft Scharon den Nerv einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft. Die Israelis wissen nach all der
Enttäuschung über Barak und seine Misserfolge nicht mehr, was sie wollen. Zwar bekunden 70 Prozent in Meinungsumfragen, dass sie für eine Fortsetzung
der Friedensgespräche sind. Aber zugleich lassen sie sich von Scharon vorgaukeln, dass der Frieden auch zum Nulltarif zu haben wäre: mit Jerusalem als auf
ewig ungeteilter Hauptstadt und dem Erhalt der Siedlungen im Westjordanland. Das lappt ins Irreale und dokumentiert drastisch die Orientierungslosigkeit.
Somit spiegelt die Krise des Friedensprozesses auch eine tiefe Krise der israelischen Gesellschaft wider.
SZ, 08.02.2001
Der Wiener "Standard"
macht die extremen Palästinenser und Israelis gleichermaßen für das Debakel verantwortlich und mutmaßt, dass sich die arabische Minderheit in Israel, die der Wahl weitgehend fern geblieben ist, aus der Politik verabschiedet habe. Der Standard schreibt u.a.:
Diejenigen Palästinenser und Israelis, die den Oslo-Friedensprozess immer schon abgelehnt haben, fürchten auch den
prognostizierten Showdown nicht: Für Erstere kann es viel schlimmer nicht kommen (das bestätigen Beobachter, die zuletzt
in Westjordanland und Gaza waren). Und die israelischen Gegner von Zugeständnissen an die Palästinenser sind
hochzufrieden, wenn man mehr oder weniger zum Start zurückkehrt.
Gespaltene Gefühle rufen die israelischen Araber hervor, von denen so viele auf die Ausübung ihrer politischen Rechte
verzichtet haben. Emotional kann man sie verstehen: Nicht nur ihre Toten bei den Demonstrationen im Herbst, auch das
Faktum, dass er das zwiespältige Verhältnis des israelischen Staates zu ihnen nicht zu klären versucht hat, stand zwischen
ihnen und Barak. Aber es gibt auch so etwas wie politische Strategie. Die israelischen Araber haben darauf verzichtet - und
dadurch Sharon das Siegen nicht nur leichter gemacht, sondern sich auch von der politischen Bühne katapultiert.
Der Standard, 07.02.2001
Ungewissheit über die Zukunft beherrscht auch den Kommentar im
Berliner Tagesspiegel; dort heißt es u.a.:
Hat das
Land am Dienstag für den Frieden votiert oder für den Krieg? Soll der Brandstifter nun
Feuerwehrmann sein, oder setzen die Israelis auf den Menachem-Begin-Effekt, der da
heißt: Die für einen Frieden schmerzhaften Aktionen kann nur ein starker, rechter
Premier durchsetzen - einer wie damals Begin, der den Ägyptern versprechen konnte,
die Siedlungen in der Sinai-Wüste zu räumen, weil er die Macht hatte, sein Versprechen
auch zu halten?
Die Antwort auf diese Fragen lautet: weder - noch. Weder hat Israel für den Krieg
gestimmt noch für den Frieden. Bei dieser Wahl ging es nämlich nicht um die Zukunft,
sondern um die Gegenwart. Es ging nicht um Frieden, sondern um Sicherheit. Es ging
nicht um politische Strategien, sondern um emotionale Gebärden. Es ging nicht um
unterschiedliche Konzepte, sondern um Wut, Enttäuschung, Angst und Ratlosigkeit. Die
Wahl Scharons ist in erster Linie ein Ausdruck jener Verzweiflung, die irgendwann in
Trotz umschlägt. Darüber dürfen die Bilder der wenigen militanten Kräfte, die seinen
Sieg jetzt als ihren Sieg feiern, nicht hinwegtäuschen. Scharon hat mit Sicherheit kein
Mandat bekommen, den Friedensprozess abzubrechen.
Der Tagesspiegel, 07.02.2001
Die Welt
bringt ein Interview mit Schimon Peres, in dem dieser behauptet, mit ihm als Kandidat für die Arbeitspartei hätte eine Niederlage gegen Scharon vermieden werden können. Auf die Frage, ob diese Wahl nun einen "Wendepunkt in der Geschichte des Landes darstelle, antwortet Peres ausweichend:
"Ich bin mir nicht sicher. Wir können ja nur eine
Person wählen, aber keine andere Welt. Jeder, der gewählt wird,
ist mit den Realitäten unserer Zeit konfrontiert."
Im weiteren beharrt Peres darauf, dass es sich bei der Wahl um keine Richtungsentscheidung gehandelt habe, sondern um eine Personenwahl.
"Die Wahlen waren mehr persönlich als politisch." ... "In der letzten Wahl (Anm.: Mai 1999) hatte Barak ja 56
Prozent bekommen. Damals war es zum großen Teil eine Wahl
gegen Netanjahu. Jetzt war es eine Wahl gegen Barak."
Und schließlich vertraut Peres darauf, dass auch Scharon und sein Likud-Block gar nicht anders könnten, als auf den Kurs des Friedens einzuschwenken:
"Wir waren schon mehrmals in gemeinsamen Regierungen.
Das wäre kein Problem. Doch ich werde weiterhin einer Sache
dienen und nicht der einen oder anderen Regierung. Ich bin für
den Frieden. Unser Problem ist der fehlende Friede, nicht nicht
die eine oder andere Regierung. Auch der Likud wird
herausfinden, dass er die Labor-Regierung nicht ersetzen kann,
ohne sich selbst verändern zu müssen. Es war einfacher, gegen
die Arbeiterpartei zu sein, als gegen die Realität. Die Realität wird
den Likud verändern und zwingen, neue Wege einzuschlagen.
Nicht um einen neuen Nahen Osten zu schaffen, wohl aber um
den alten Nahen Osten in die schon existierende neue Welt
eintreten zu lassen."
Die Welt, 07.02.2001
Die Frankfurter Rundschau
macht ebenfalls auf ein paar Paradoxien des Wahlverhaltens aufmerksam. Noch eindeutiger als andere - deutsche - Kommentatoren wird das Wahlergebnis aber als "Absage an den Frieden" (so auch die Überschrift des Kommentars) gewertet.
Mit Statistiken lässt sich alles beweisen. Sogar das Gegenteil. Ein Beispiel
gefällig? 70 Prozent der Israelis geben bei Umfragen an, für einen Frieden mit den
Palästinensern zu sein. Aber 62,5 Prozent der Wähler stimmten am Dienstag für
den Haudegen Ariel Scharon vom Likud-Block als neuen Ministerpräsidenten des
Staates Israel. Sie entschieden sich mit überwältigender Mehrheit für einen Mann,
der im Laufe seines Lebens stets Krieg gegen die Araber geführt hat, als Soldat,
als General und als der Verteidigungsminister, der Israels Armee 1982 in den
unsinnigen Libanon-Krieg führte und das Massaker falangistischer Milizen in den
Flüchtlingslagern Sabra und Schatila zuließ.
Der Wahlsieger ist derselbe Politiker, dem eine Untersuchungskommission die
Befähigung absprach, Verteidigungsminister zu sein. Nun ist er Premierminister.
Ein Mann, der gegen sämtliche Friedensverträge gestimmt hat, sogar gegen das
Abkommen Begins mit Ägypten; der Israels Siedlungspolitik in den besetzten
Gebieten begründete und der nach dem Abkommen von Wye die jüdischen Siedler
aufrief, noch mehr Hügel im Westjordanland zu okkupieren. Scharon ist der Mann,
der im September mit seinem provokanten Auftritt auf dem Tempelberg die
gegenwärtige Al-Aksa-Intifada auslöste, die mehr als 400 Menschen das Leben
gekostet hat und das Friedensabkommen von Oslo weitgehend zu Makulatur
machte.
...
Mit ihrer fatalen Entscheidung für Scharon haben Israels Wähler auch dem
Friedensprozess eine Absage erteilt. So wie die Palästinenser mit der Intifada auf
das Scheitern der Gespräche in Camp David reagierten, folgt mit dieser Wahl eine
weitere Eskalation. Diese unheilvolle Entwicklung ist nur durch ein grundlegendes
Umdenken auf beiden Seiten aufzuhalten. Die Israelis müssten endlich begreifen,
dass Frieden einen sehr hohen Preis hat. Den Preis der Rückgabe der besetzten
Gebiete, der Auflösung der Siedlungen, des Eingeständnisses des Unrechts der
Vertreibung und eine für beide Seiten akzeptable Lösung des Jerusalemproblems.
Die andere Seite müsste sich von ihren Rückkehrträumen verabschieden und nach
50 Jahren endlich die Flüchtlingsprobleme lösen. Leider ist auf beiden Seiten
niemand in Sicht, der Kraft und Ausdauer für diesen mutigen Schritt aufzubringen
vermöchte.
FR, 08.02.2001
Die Reaktionen aus Palästina und aus den arabischen Ländern fallen nicht gerade freundlich aus. Hier ein paar Zitate aus Zeitungen:
Im arabischen Fachblatt The Middle East Reporter wird Scharon als der "meistgehasste" Israeli dargestellt. Seine Wahl bedeute Krieg. Der Irak kündigte nach Agenturmeldungen sogar an, eine Armee zur Befreiung Jerusalems gründen zu wollen. Welchen Wert solche Ankündigungen haben, kann man vielleich daran ermessen, dass der irakische revolutionäre Kommandorat (Voristzender: Saddam Hussein) schon vor einem Jahr die Mobilisierung von sechseinhalb Millionen Freiwilöligen für einen Heiligen Krieg zur Befreiung Palästinas verkündet hatte. Zu sehen ist davon heute noch nichts.
In Syrien und Ägypten wird Scharons Wahlsieg ebenfalls durchgängig als "Kriegserklärung" bezeichnet. Die ägyptische Regierungszeitung Al Akhbar wertet den Sieg Scharons als Zeichen dafür, dass die Israelis "keinen Frieden wollen". Dann wird auf Scharons Biografie zurückgegriffen: "Mit dem Schlächter von Sabra und Shatila kann es keinen Frieden geben." Zurückhaltender reagierte die Regierung. Sie ist gegen einen Boykott des neuen israelischen Ministerpräsidenten. "Wenn er etwas braucht, kann er kommen und ist willkommen", sagte der ägyptische Staatschef Hosni Mubarak.
Die syrische Regierungszeitung Al Thawra rief die Regierungen der Welt, vor allem die US-Administration auf, "die neue israelische Führung zu zähmen." Weniger staatsmännisch war die Parteizeitung El Baath, in der es hieß, Scharon zu wählen, sei eine Entscheidung für "Eskalation", "Terrorismus" und "Aggression". Vorausgesagt wird ein neuerlicher Zirkel von Gewalt.
Als ein "Sieg der Schlächter" wird in Hisbollah-Kreisen Libanons der Sieg Scharons empfunden. Dessen Wahl werde den Aufstand der Palästinenser aber nur verstärken. Und der stellvertretende Vorsitzende des Politbüros der Partei Hajj Mahmoud Qomati erklärte, nun werde es mehr Selbstmordattentate geben.
Im Ton weniger martialisch, aber in der Sache nicht weniger entschieden, riefen auch die Zeitungen mancher Golfstaaten die Palästinenser auf ihren Aufstand fortzusetzen. Die Zeitung Al Khalij schrieb, die viel beschworene arabische Solidarität dürfe sich nicht in Worten erschöpfen, ihr müssten nun vielmehr auch Taten folgen.
Jordanien liebt die moderaten Töne. Dennoch war das Land schon im Vorfeld der Wahl aufgeschreckt worden, weil Scharon sich im israelischen Wahlkampf dahingehend geäußert hatte, dass ein zukünftiger Palästinenserstaat das Ende des Staates Jordanien und seiner Regierungsform, der Monarchie, bedeute. Scharon sagte das unter Hinweis auf die Tatsache, dass schon heute rund 50 Prozent der jordanischen Bevölkerung Palästinenser seien. Die jordanische Tageszeitung Al Rai erhob nun die Forderung, Scharon müsse erklären, "dass Jordanien Jordanien ist". Immerhin hatte sich Jordanien bereit erklärt, rund 1,5 Millionen palästinensische Flüchtlinge bei sich aufzunehmen - natürlich nur gegen entsprechende internationale Finanzhilfe.
Moderate, aber sehr besorgte Stimmen aus Palästina. Die Frankfurter Rundschau (08.02.2001) brachte ein Interview mit dem palästinensischen Informationsminister Yassir Abbed-Rabbo ab. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge daraus:
FR: Sie haben zuletzt in Taba zehn Tage lang mit Israels
entschiedensten Friedensbefürwortern wie Yossi Beilin und Schlomo Ben-Ami
verhandelt. Können Sie sich vorstellen, künftig mit den Gesandten einer
rechtsnationalen Regierung unter Ariel Scharon am Tisch zu sitzen?
Abbed-Rabbo: Ich glaube nicht, dass eine solche Regierung mit uns Frieden
machen kann. Ich bin in diesem Punkt sehr pessimistisch. Diese Regierung wird
eine Koalition der politischen, religiösen und nationalistischen Fanatiker
repräsentieren. Großteils Leute, die weder Kompromisse noch den
Friedensprozess wollen. Nun behaupten manche, Scharon werde als Premier ein
anderer werden, nicht mehr der Hardliner sein, als den man ihn kennt. Aber sein
Konzept beinhaltet nur die Bedingungen der extremen Rechten. Im Klartext
bedeutet das, es wird keinen Frieden geben.
Wird die Intifada in eine neue Runde der Gewalt gehen?
Vielleicht wird die Lage weiter eskalieren. Sicher wird Scharon versuchen, in den
nächsten Wochen und Monaten die Situation taktisch zu beruhigen. Aber es ist
damit zu rechnen, dass das israelische Militär und die jüdischen Siedler ihre
Gräueltaten fortsetzen. Der Machtwechsel in Israel wird sie sogar weiter ermutigen.
Hinzu kommt, dass führende Armeeoffiziere dem politischen Rechtstrend in Israel
nahestehen. Selbst zu den Zeiten von Premier Benjamin Netanyahu war das
anders. Damals noch hieß der Generalstabschef Amnon Lipkin-Schahak, der
zuletzt als Minister unter Ehud Barak den Friedensprozess aktiv unterstützt hat.
...
Scharon hat sich bislang geweigert, PLO-Chef Yassir Arafat die Hand zu
schütteln. Haben die Palästinenser ihrerseits ein Problem damit, Scharon, dem
Mitverantwortlichen für das Massaker 1982 in den Flüchtlingslagern von Sabra und
Schatila, die Hand zu geben?
Nein, für uns ist das kein Problem. Wir hätten zwar Grund genug, einen
Händedruck zu verweigern, aber wir sind ein realistisches Volk. Wir haben seit den
Gesprächen von Madrid gesagt, dass wir Frieden mit unseren Feinden schließen,
nicht mit unseren Freunden. Dennoch habe ich seinen Auftritt in Wye Plantation
nicht vergessen. Wir saßen dort alle mit Bill Clinton zusammen, als Scharon wie
ein rollendes Fass in den Raum kam. Netanyahu sagte: Mr. Arafat, darf ich Sie mit
unserem berühmten General bekannt machen. Aber Scharon schnitt Arafat in
arroganter, rassistischer Weise. Er wollte nur uns palästinensische Unterhändler
per Handschlag begrüßen. Es ging ihm allein darum, sein Image mit Blick auf
seine Wählerschaft zu retten. Für mich ist Scharon der letzte Heißsporn des
Kalten Krieges, jemand von einem anderen Planeten. ...
Ganz konkret, was haben Sie inhaltlich an Scharon auszusetzen?
Scharon will die Westbank in drei, vier Kantone zerschneiden. Er will uns in große,
voneinander getrennte Gefängnisse sperren, die er in seiner Generosität mit
Tunneln oder Brücken verbinden will. Über das Jordantal oder die Flüchtlingsfrage
will er nicht mal mit sich reden lassen. Das ist sein einziges Versprechen an uns.
>BR>
Sie haben auch Baraks Vorschläge in Ihrem Brief an Clinton scharf kritisiert . ..
Likud und Labour haben manches tatsächlich gemein. Doch es gibt wesentliche
Unterschiede. In der letzten Verhandlungsrunde in Taba kamen Baraks
Unterhändler mit wirklich ermutigenden Ideen. Ich wünschte, die Israelis hätten so
etwas vor sechs Monaten in Camp David auf den Tisch gebracht. Dann hätten wir
eine reelle Chance gehabt, ein Abkommen zu erzielen. Doch auch wenn die Zeit in
Taba nicht mehr gereicht hat, sind wir immerhin an einem Punkt angelangt, wo
man die Möglichkeit eines umfassenden Friedensvertrages deutlich erkennen
konnte. Zu den wichtigsten Fortschritten von Taba etwa gehört, die territoriale
Kontinuität innerhalb der Westbank zu erhalten und einem palästinensischen Staat
souveräne Grenzen zuzugestehen.
Wäre es nicht besser, man hätte jetzt wenigstens einen schriftlich fixierten
Rahmenvertrag?
Das in Taba Erreichte wird sich nicht in Luft auflösen, auch wenn es jetzt auf Eis
gelegt wird. Niemand mit Verstand im Kopf glaubt ernsthaft, wieder bei Null
anfangen zu können, ohne die bereits gefundenen Kompromisse in Betracht zu
ziehen. Unmöglich! Auch die Amerikaner wie die Europäer wissen im Detail, über
was wir uns bereits geeinigt haben.
...
... wer wird den höheren Preis zahlen, Israelis oder
Palästinenser?
Beide Völker werden zahlen. Der Verlust an Menschenleben, auch ökonomische
Einbußen werden uns teurer zustehen kommen. Aber auch die Israelis werden
zahlen. Die ganze Nahost-Region wird unter einer Eskalation leiden. Scharon ist
Israels schlechteste Wahl. Ich vergleiche sie damit, als ob die Palästinenser
Achmed Dschibril (Führer einer militanten, prosyrischen Abspaltung, d. Red.) an
ihre Spitze wählen würden.
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