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Der Elefant und die Maus

Hintergrund. Der Topos von der »starken proisraelischen Lobby« allein taugt nicht, um das Verhältnis zwischen Tel Aviv und Washington zu begreifen

Von Moshe Zuckermann *

Der Diskurs über den Nahostkonflikt ist von vielerlei Meinungen, Ideologemen, Binsenweisheiten, Klischees und Wunschvorstellungen überfrachtet. Das hat zum einen mit seiner realen Brisanz zu tun, welche sich seinem genuinen Stellenwert in der globalen Politik des 20. Jahrhunderts verdankt; zum anderen aber auch mit der eigentümlichen Neuralgie des Redens über diesen Konflikt, die sich ihrerseits von der Konstellation seiner Protagonisten, der nahezu mythisch anmutenden Vorstellung seiner Unlösbarkeit und der steten Gefahr für den Weltfrieden, die von ebendieser Unlösbarkeit ausgeht, speist. Das Reden über den Nahostkonflikt, will es scheinen, geht stets über den Nahostkonflikt hinaus.

Gängig und zugleich verwunderlich ist in diesem Zusammenhang die Hervorhebung einer vorgeblichen Macht der sogenannten Israel-Lobby und ihres legendären Einflusses auf die staatsoffizielle Politik der USA. Dabei läßt sich die Etablierung und zunehmende Verfestigung der Vorstellung dieses Einflusses durchaus nachvollziehen, denn das enge Verhältnis zwischen dem winzigen Israel und der Supermacht USA ist mitnichten für selbstverständlich zu erachten und erfordert mithin in der Tat eine Erklärung. Da kann einem (bei angemessener Prädisposition) schon in den Sinn kommen, daß da »die Juden« am Werk sind und eine Macht ausüben, die den realen Größen- und Gewaltverhältnissen zwischen den Staaten als zutiefst inadäquat erscheinen lassen mag. Und da diese Einflußnahme auch eine institutionalisierte Form aufweist, kann sie nicht nur ideologisch verdinglicht, sondern auch mit allem projektiv besetzt werden, was als unangemessen postuliert und entsprechend konspirationstheoretisch »erklärt« werden muß.

Ringen um Einfluß

Als exemplarisch für die vielen lobbyistischen Institutionen wäre die bedeutendste unter ihnen ins Visier zu nehmen: das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), eine, wie es auf Wikipedia (eine Quelle, die im hier erörterten Zusammenhang ausreichen mag) heißt, »proisraelische Lobby in den USA mit über 100000 Mitgliedern«. AIPAC »wurde 1953 durch Isaiah L. Kenen als American Zionist Committee for Public Affairs gegründet und später umbenannt. In den USA gilt es als die mächtigste unter den proisraelischen Lobbys und als eine der mächtigsten Lobbys der USA überhaupt. Die Bedeutung der Organisation als Faktor im US-amerikanischen Establishment widerspiegelt sich in der Prominenz vieler seiner vergangenen wie gegenwärtigen Mitglieder, nicht zuletzt Spitzenpolitiker der USA wie die Präsidenten George Bush, George W. Bush und William Clinton, Vizepräsidenten wie Dick Cheney, Außenminister wie Hillary Clinton und Condoleezza Rice oder prominente Senatoren, die auch für die US-Präsidenschaft kandidiert haben, wie etwa John Kerry (Demokraten) und John McCain (Republikaner). Entsprechend findet man auf israelischer Seite das Spektrum aller Premierminister von Yitzhak Rabin, Schimon Peres und Ehud Barak von der Arbeitspartei über Ariel Scharon und Ehud Olmert von der Likud-Abspaltung Kadima bis hin zu Benjamin Netanjahu vom Likud selbst.

Da die Bildung von Lobbys, »pressure groups« und sonstigen Interessenvertretungen spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Grunde aber von jeher zu den üblichen Spielregeln der liberalen Demokratie gehörte und darüber hinaus die Verzahnung von Kapital und Herrschaft nachgerade das Wesen dieser Form der (formalen) Demokratie ausmacht, kann die Gründung von Institutionen wie der AIPAC per se keiner Kritik unterzogen werden, wenn das System, das sie hervorgebracht hat, nicht in Frage gestellt wird – was, wenn es geschähe, einem Sakrileg im US-amerikanischen Kontext gleichkäme. Zu fragen ist also nicht, ob der Einfluß des AIPAC legitim sei (er ist es zweifelsfrei), sondern zunächst und vor allem, wie ein solcher überhaupt zu erklären ist. Die Frage stellt sich umso suggestiver, als, wie gesagt, Staatsoberhäupter Israels und der USA schon seit Jahrzehnten zu den Mitgliedern dieser Organisation zählen.

Die offensichtliche Antwort darauf ergibt sich aus der instrumentellen Logik der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik. Innenpolitisch handelt es sich dabei um eine schlichte Strukturvorgabe: Sowohl fürs Regieren in seiner ersten als auch für die Wiederwahl zur zweiten Amtsperiode bedarf der US-amerikanische Präsident der Unterstützung von Institutionen und Organisationen, die auf den Kongreß, welchen er »auf seine Linie« zu bringen trachtet, Einfluß auszuüben bzw. Wahlvolk zu gegebener Zeit zu rekrutieren vermögen. AIPAC wird in diesem Zusammenhang umso mehr Erfolg verbuchen dürfen, je mehr es ihm gelingt, ein Netz dichter Verbandelungen mit Senatoren, um deren Unterstützung der Präsident sich müht, zu knüpfen und im Sinne gemeinsamer Interessen zu festigen. Als etwa im März 1975 die amerikanisch-israelischen Beziehung in eine Krise gerieten, weil Israel sich strikt weigerte, der Aufforderung der USA, sich ohne ein geregeltes Kampfeinstellungsabkommen (zwischen Israel und Ägypten) bis zu einer bestimmten Frontlinie auf der ­Sinai-Halbinsel zurückzuziehen, drohte das Weiße Haus mit einer »Neueinschätzung« (reassessment) der Beziehungen der USA zu Israel. Als Reaktion darauf empfing der Präsident (Gerald Ford) einen Brief, in welchem drei Viertel der Senatsmitglieder eine Erklärung zur Unterstützung Israels unterzeichneten. Die Krise gelangte erst zu ihrem Ende, als eine »zivile« Anwesenheit von US-Amerikanern in besagtem Gebiet vereinbart wurde, was das Interimsabkommen von 1975 zwischen Israel und Ägypten ermöglichte, den Einfluß der USA auf Ägypten erweiterte, mithin Ägypten der sowjetischen Einflußsphäre entriß, und auch Auswirkungen auf die amerikanisch-israelischen Beziehungen und bilateralen Verpflichtungen beider Länder zeitigte, u.a. eine Zusage Washingtons, keine neue US-Politik in der Region ohne präliminare Beratung mit Israel mehr zu initiieren.

Betrachtet man diesen »Zwischenfall«, so mag auf den ersten Blick scheinen, als habe eine proisraelische Lobbyarbeit, die sich im Senatorenbrief niederschlug, vermocht, den US-Präsidenten von seiner Reassessment-Politik abzubringen, um nicht zu sagen, diese ganz und gar umzubiegen. So werden in der Tat derlei »Erfolge« im Außenministerium und den konformen Medien Israels gemeinhin gefeiert – ohne sich freilich je Rechenschaft darüber abzulegen, ob das, was da gerade »bekämpft« worden ist, Israels realen Interessen wirklich widerspricht oder ob nicht doch lediglich eine ideologisch prästabilisierte Politik (der Stagnation im Nahostkonflikt und der Repression gegenüber den Palästinensern) für Israels vermeintliches Interesse ausgegeben wird. Zu vermerken ist gleichwohl, daß auch in diesem »Zwischenfall« von 1975 die Israelis sich zwar vormachen durften, die Amerikaner niedergerungen zu haben, als eigentlicher Sieger im geopolitischen (und konkreten) Interessenkampf aber eben doch die Politik des US-Präsidenten hervorging (worauf noch später zurückzukommen wäre). Daß die Israelis dabei ihren außenpolitischen Kleinerfolg als zugeworfenes diplomatisches Häppchen verbuchen durften, mag als Epiphänomen amerikanischer Gnädigkeit in der Dynamik der realen Machtverhältnisse registriert werden, spielt aber im hier erörterten Zusammenhang eine gänzlich untergeordnete Rolle.

Spielball der Blockmächte

Der andere Grund für Israels Einfluß auf die Außenpolitik der USA hat primär mit der globalen Konstellation des sogenannten Nahostkonflikts und seinen Auswirkungen auf die Großmächte zu tun. Zur hohen Zeit des Kalten Krieges geriet Israel sehr bald, und zwar unmittelbar nach der Staatsgründung, in das Spannungsfeld des von den USA und der Sowjetunion errichteten Blocksystems. Was sich für Israel zunächst noch im Unbestimmten bewegte, klärte sich sehr bald zu Beginn der 1950er Jahre: Israel ging die Westbindung ein, welche sich in der ersten Phase, vor allem im Bereich der militärischen Bewaffnung, in der Verbindung mit Frankreich und dann – infolge des französischen Waffenembargos nach dem 1967er Krieg – mit den USA niederschlug. Einiges hat dabei mit hineingespielt, was Israel für den Westen attraktiv erscheinen lassen mochte: seine demokratische Staatsform; die Sympathie für den Judenstaat als Hervorbringung der Shoah; die Empathie für seinen Kampf gegen ein übermächtiges feindliches Umfeld und dergleichen mehr Faktoren aus den Bereichen der Moral und ihrer instrumentell-ideologischen Verwertung. Bei nüchterner Betrachtung kann gleichwohl kaum übersehen werden, daß Israel, seine arabischen Nachbarstaaten sowie die Palästinenser und ihr »Anliegen« vor allem Spielball einer erbitterten Interessenpolitik der nach regionaler Hegemonie strebenden Blockmächte abgaben. Den USA und der Sowjetunion konnte die perennierende Konfliktsituation im Nahen Osten nicht nur recht sein, sondern sie hatten ein genuines Interesse daran, sie zu schüren, die Pazifizierung der Region nicht allzu konsequent zu betreiben, zuweilen auch – wenn es darum ging, neue Waffen auf »neutralem« Boden zu erproben – periodisch aufflammende Waffengänge zwischen Israel und den arabischen Staaten beistehend zu fördern. Was dabei in der Politrhetorik als Beistand für den Freund und Verbündeten bzw. als militärische Unterstützung von Israels existen­tiellen Recht auf Selbstverteidigung firmierte, hatte nicht minder mit dem Effizienzvergleich zwischen den US-amerikanischen Phantom-Jägern und den sowjetischen MiG-Jagdflugzeugen zu tun. Von selbst versteht sich, daß Gleiches auch für die ideologische Ausrichtung der Sowjetunion auf die von ihr unterstützten arabischen Staaten, allen voran Syrien oder Irak, gilt.

Was aber in der Epoche des Kalten Krieges noch als Kampf der großen Ideologien und Weltanschauungen erscheinen, mithin eine gewisse normative Dimension aufweisen mochte, mußte sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR zwar noch immer in Moralwerte einhüllen – wobei man sich nicht entblödete, von der Bekämpfung einer »Achse des Bösen« und entsprechender komplementärer Parolen eines eklatant selbstgerechten Selbstverständnisses (etwa von der Mission einer »Demokratisierung« des Iraks) zu tönen. Praktiziert wurde aber letztlich doch eine strikt interessengeleitete Geopolitik mit solch rigorosem Anspruch auf ungehinderte Durchsetzung, daß es sich ein George W. Bush leisten konnte, den Krieg wieder in den Dienst US-amerikanischer kapitalistischer Interessen einzuspannen – zu einer Zeit, als dieses Mittel staatlicher Gewaltpraxis mit dem Ende des Blocksystems zu veralten, ja nachgerade obsolet zu werden schien.

Welche Rolle konnte in diesem welthistorischen Zusammenhang der Nahostkonflikt noch spielen? Es gab ja nur noch die USA als real agierenden Weltpolizisten, der sich kaum noch um internationale Organisationen und deren Belange zu scheren brauchte. Entsprechend die Frage: Was für einen Einfluß auf die staatsoffizielle Politik der USA durfte die Israel-Lobby, allen voran AIPAC, in diesem Kontext beanspruchen? Der jüngste diplomatische Schlagabtausch zwischen US-Präsident Barack Obama und dem israelischen Premier, Benjamin Netanjahu, mag einiges dazu beleuchten.

Showdown im Kongreß

Obama trat bekanntlich seine erste Amtsperiode mit dem außenpolitischen Ziel an, einen neuen, von dem seines Vorgängers deutlich abgesetzten Zugang zur islamischen Welt zu etablieren. Dies mußte sich nicht zuletzt auf die US-Politik im Nahen Osten auswirken. Was Generationen von amerikanischen Präsidenten und ihre Regierungen in je eigener Form und Verve stets vor Augen hatten – die Lösung des Dauerkonflikts zwischen Israelis und Arabern bzw. Palästinensern –, erhielt mit Obama insofern eine neue Einfärbung, als er sich nicht vom überschwenglichen Freundschaftsgestus zwischen George W. Bush und Ariel Scharon bzw. Ehud Olmert beeindrucken ließ (eine Konstellation demonstrativer Affinität, die nicht von ungefähr in Gewalteskalationen zwischen Israel und seinen Feinden in Libanon und Gaza kulminierte), sondern sich, so hoffte man, anschickte, die Konfliktkoordinaten ernst zu nehmen und sie in Richtung einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu lenken. Daß Obama nach Ablauf der ersten Hälfte seiner Amtsperiode hier nicht sehr viel aufweisen kann, hat sowohl mit innenpolitisch bestimmten Prioritäten als auch mit der herben Niederlage zu tun, die er bei den Kongreßwahlen einstecken mußte: Im Repräsentantenhaus des Kongresses haben nunmehr die sich als feindselig gestimmte Opposition gerierenden Republikaner das Sagen. Der Hauptgrund für seine sich zuweilen als Ohnmacht ausnehmende Wirklosigkeit im Nahen Osten liegt freilich in der Israels Geschicke gegenwärtig bestimmenden Politkonstellation: Nicht nur herrscht zur Zeit die in der gesamten israelischen Parlamentsgeschichte am rechtesten ausgerichtete Regierungskoalition, die jede noch so geringe Bewegung Netanjahus auf eine mögliche Gebietsabgabe an die Palästinenser mit sofortiger Auflösung der Koalition (und entsprechendem Machtverlust Netanjahus) quittieren würde; sondern Netanjahu selbst ist ideologisch an keinerlei Aussöhnung mit den Palästinensern interessiert, die mit einem massiven Rückzug aus den besetzten Territorien, Abbau der Siedlungen, Lösung der Jerusalemfrage und Anerkennung des palästinensischen Flüchtlingsproblems unweigerlich einhergehen müßte. Unabhängig von der wohl auch persönlich herrschenden gegenseitigen Abneigung der beiden Staatsoberhäupter könnte die politische Positionierung Obamas und Netanjahus im Hinblick auf die anstehende Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts kaum polarisierter sein.

Und so kam es zum Showdown. Zwar spielte man die im Kongreß zu haltende Ansprache des israelischen Premiers im Vorfeld zur »Rede seines Lebens« hoch, spekulierte über einen möglichen Durchbruch in den politischen Inhalten, schwadronierte gar von einer sich ankündigenden Gesinnungswende. Aber schon Obamas Rede vor Ankunft Netanjahus in den USA, in der er von einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der Basis jene Grenzen sprach, parierte Netanjahu mit der Proklamation, Israel werde sich niemals auf jene Grenzen zurückziehen, weil diese »nicht zu verteidigen« seien – womit er den Kurs deutlicher Konfrontation mit dem US-Präsidenten artikulierte –, und hielt demgemäß eine Rede im Kongreß, die an rhetorischer Brillanz und performativer Gestik wenig zu wünschen übrigließ, zugleich aber auch an substantieller Hohlheit, ideologischer Klischeeverwertung und politischer Perspektivlosigkeit kaum zu überbieten war. Daß dieser Vortrag im Kongreß mehrfach mit stehenden Ovationen aufgenommen wurde, Netanjahus Popularität in Israel (sogleich vorgenommenen Erhebungen zufolge) schlagartig anstieg und er von seinem Außenminister Avigdor Lieberman für seine Leistung hochgelobt wurde, darf Netanjahu als persönlichen Erfolg verbuchen. Daß die reflektierte israelische Publizistik mit einiger Fassungslosigkeit ob der schaumschlägerischen Leere dieses Erfolgs und der verpaßten Chance, die bedrohliche Stagnation des Nahostkonflikts vor der Weltöffentlichkeit auch nur im mindesten aufzubrechen, reagierte, ist aber nicht minder beredt, wiewohl durchaus kompatibel mit der Begeisterung der vox populi, welche sich wieder einmal, wie so oft im innerisraelischen Diskurs der letzten Jahre, in ihrer vollen narzißtisch-chauvinistischen Erbärmlichkeit zeigte.

Wie hat man dieses politische Intermezzo zu bewerten? Als Resultat des sich letztlich doch auswirkenden Einflusses der Israel-Lobby in den USA? Als ein Einknicken des amerikanischen Präsidenten vor AIPAC, vor dessen Vollversammlung er nach der großen Rede, in der er die Zwei-Staaten-Lösung auf der Basis der Grenzen von 1967 postuliert hatte, einen, wie es scheinen mochte, beschwichtigenden Vortrag hielt? Wer die politische Konfrontation zwischen Netanjahu und Obama in einem solchen Sinne deutet, begreift etwas Grundlegendes nicht.

Begrenzter Spielraum

Der Spielraum israelischer Eigenständigkeit den Vereinigten Staaten gegenüber hat genau dort seine Grenzen, wo die genuinen Interessen der USA in einer Weise tangiert werden, daß sie durch Israels Handeln zu wesentlichem Schaden kommen könnten. Innerhalb dieses Spielraums ist vieles möglich, mithin auch das Reden über Freundschaft, Treue und dergleichen mehr Worthülsen aus dem Repertoire individueller zwischenmenschlicher Beziehungen. Staaten agieren nicht auf solcher Ebene, schon gar nicht interagieren sie auf ihr. Wenn sie dennoch deklarativ vorgeben, es zu tun, handeln sie zweckgerichtet ideologisch, um einer objektiven Interessenlage rhetorisch-performativ und gestisch-emotional ein kommunikatives Fundament zu verschaffen, welches den Rezipienten solcher Kommunikation ermöglicht, sich weiterhin im falschen Bewußtsein über den realen Charakter der Verhältnisse zu wiegen. Die USA können Israel so lange tun und walten lassen, wie Israels Handlungen ihren geopolitischen oder anderen globalen Interessen nicht zuwiderlaufen. Würde Israel diese ernsthaft in Gefahr bringen, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die USA Israel zunächst zurechtweisen und, wenn diese Zurechtweisung nichts nützen sollte, sich von Israel schlicht abwenden, sich ihm gar bewußt entgegenstellen würden. Es muß sich dabei nicht einmal um weltbewegende Strukturen und Ziele handeln – schon auf der symbolischen Ebene bestehen ziemlich genau umrissene Grenzen israelischen bzw. jüdischen Handelns: Als Jonathan Pollard seine amerikanisch-israelische Doppelloyalität durch Spionage gegen die USA zugunsten Israels in den 80er Jahren ausschlagen ließ, zeigte sich Washington unerbittlich bei noch so emotionalen Gnadenersuchen seitens Israels und trotz des Versuchs, Jonathan Pollard zum Alfred Dreyfus des 20. Jahrhunderts hochzustilisieren. Da nützte kein AIPAC, da nützte auch keine andere Israel-Lobby – mithin gab es da auch keinen wesentlichen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern. In der US-amerikanischen Politwirklichkeit hat die Israel-Lobby nun einmal soviel Einfluß, wie es die offiziellen und real ausschlaggebenden Instanzen der USA zulassen. Es ist wie beim bekannten Witz über den Elefanten und die Maus: Die Maus kann sich darüber freuen, wieviel Staub sie gemeinsam mit dem Elefanten aufwirbelt. Die Maus kann sich sogar anmaßen, den Elefanten zu reiten. Aber spätestens dann sollte sie jemand über die wirklichen Gewaltverhältnisse aufklären, eventuell auch diejenigen, die der Maus die Macht beimessen, einen Elefanten reiten zu können, darauf aufmerksam machen, daß sie sich dabei eines alten antisemitischen Ideologems bedienen.

* Der Soziologe Moshe Zuckermann lehrt seit 1990 am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas (Universität Tel Aviv) und war von 2000 bis 2005 Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel Aviv. Zuletzt erschien von ihm: »Antisemit!« Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument. Wien, Promedia Verlag 2010, 208 Seiten, 15,90 Euro.

* Aus: junge Welt, 23. Juni 2011


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