Ein Schlag ins Gesicht
Von Uri Avnery
Ein Mann mittleren Alters nähert sich dem Armeekontrollposten. Drei gelangweilte Soldaten schauen auf ihn. Einer, wahrscheinlich der Verantwortliche, der zwei oder drei Meter entfernt stand, geht zu ihm hin und schlägt ihn ins Gesicht.
Ein paar Stunden später war die Szene im Fernsehen Israels und aller arabischen Länder zu sehen. Der Geschlagene ist anscheinend ein ägyptischer Fernsehreporter, der auf dem Weg zu einer Pressekonferenz war.
Der IDFL (Israel Defense Forces Liar = Lügner der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte, ein anonymer Offizier, der die Aufgabe hat, Vorwände für Verstöße zu erfinden) hatte die übliche Antwort parat: der Mann hatte die Soldaten provoziert und beschimpft. Der Soldat wurde mit irgendeiner Bewährungsstrafe belegt, vermutlich wegen des Schlagens von Leuten vor laufender Kamera. Man darf annehmen, dass er bald befördert wird.
Was ist so Besonderes an dieser Geschichte? Lediglich die Anwesenheit eines ausländischen Fernsehteams und die erstaunliche Chuzpe des Soldaten, der sich so aufführte, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass keine Kamera dabei war. Sieht man davon ab, war es ein ganz normaler Vorfall. Sachen wie diese - und weit schlimmere - passieren täglich an Dutzenden von Kontrollposten überall in den besetzten Gebieten. Routineschikanen, "um die Langeweile loszuwerden", wie kürzlich ein Soldat zu einem anderen Vorfall erklärte.
Schläge ins Gesicht. Prügel. Leute stundenlang bei stechender Sonne in Reih und Glied stehen lassen. Leute zwingen, stundenlang in voller Sonne bei geschlossenem Fenster in ihrem Auto zu bleiben. Autoschlüssel oder Personalausweise konfiszieren. Reifen durchstechen. Frauen, die in den Wehen liegen, auf dem Weg zur Klinik, Kinder mit Krebs auf dem Weg zur Behandlung, Nierenpatienten auf dem Weg zur Dialyse festhalten. Geld und Wertsachen stehlen. Warum also sich wegen der Ohrfeige für einen ägyptischen Journalisten aufregen? Ein Araber bleibt schließlich ein Araber.
Dennoch lohnt sich's, diesen Vorfall etwas näher zu untersuchen. Der Soldat (Feldwebel? Leutnant?) tat was er tat, wie das Tausende anderer Soldaten an regulären oder zeitweiligen Kontrollstellen tun, weil sie glauben, dass dies erlaubt, vielleicht sogar erwünscht ist.
Falls das zutrifft, beweist dies, dass die Lage ernst ist. Falls es nicht zutrifft - noch schlimmer.
Wenn sich Tausende von Soldaten an den Kontrollposten jahrelang so verhalten, dann müssen die Vorgesetzten dabei offenkundig die Augen zudrücken. Der unmittelbare Vorgesetzte. Der Bataillonskommandeur. Der Brigadekommandeur. Der Frontbefehlshaber. Der Stabschef. Der Verteidigungsminister. Der Ministerpräsident. Die unmissverständlichen Order eines dieser Leute würde reichen, um diese Praxis zu stoppen. Der Stabschef brauchte nur einen Brigadekommandeur, unter dessen Kommando sich ein solche Vorfall ereignete, seines Amts zu entheben. Oder ein Brigadekommandeur einen Bataillonschef. Oder ein Bataillonschef den Hauptmann einer Kompanie. Ja, es müsste auch nur ein einziger Soldat einmal 28 Tage lang ins Gefängnis gesteckt werden (mit dieser Strafe werden üblicherweise Soldaten belegt, die sich weigern, Dienst in den besetzten Gebieten zu tun), um diese Praxis sofort zu beenden.
Wenn dies nicht geschieht, muss man die ganze Befehlskette für verantwortlich halten - von dem schikanierenden Soldaten am Kontrollposten bis zum Stabschef. Das heißt, dass das Schikanieren Politik ist. Eine Strategie, um die Bevölkerung zu brechen, um den Menschen das Leben zur Hölle zu machen und sie zu bewegen, das Land zu verlassen. Und um die Soldaten zu lehren, die "Einheimischen" als Dreck zu behandeln.
Man kann die Sache auch anders interpretieren, aber das macht sie nicht weniger schlimm: dass es keine solche Politik gibt. Das hieße, die Disziplin in der Armee ist zusammengebrochen, die Vorgesetzten aller Ebenen haben die Kontrolle verloren. Keine Armee mehr, sondern ein gesetzloser Haufen.
Das wäre natürlich kaum überraschend. Man kann eine Armee nicht Jahrzehnte lang als koloniale Polizeimacht zur Unterdrückung einsetzen, ohne dass dies zum Zusammenbruch der Disziplin führt. Man kann von einem Soldaten nicht erwarten, dass er in seinen Berichten bei der Wahrheit bleibt, wenn er tagtäglich die Berichte des oben erwähnten IDLF zu hören bekommt ("beim Fluchtversuch erschossen", "versuchte die Soldaten zu überfahren", "waren gezwungen zu schießen, als ihr Leben in Gefahr war", "beleidigte die Soldaten", "versuchte, dem Soldaten das Gewehr zu entwinden" und ähnliche Routinelügen). Man kann nicht erwarten, dass ein Soldat, der in den besetzten Gebieten ehrwürdige Greise und ehrbare Frauen schikaniert, in der Diskothek in Haifa als ruhiger, höflicher Junge auftritt oder sein Frau und seine Kinder anständig behandelt. Man kann von einem Soldaten, der jahrelang den "Helden" gegen Frauen und Kindern spielte, nicht erwarten, dass er ein Held im Kampf gegen Panzer und Kanonen auf einem künftigen Schlachtfeld sein wird.
Jahr für Jahr erzählen uns die Generäle, wenn sie wieder ein paar Milliarden mehr aus dem Staatshaushalt wollen, es könnte jetzt jeden Augenblick ein großer Krieg ausbrechen. Syrien, Irak, Iran, so hören wir, wollen, gemeinsam oder getrennt, Raketen mit Bakterien oder Giftgas auf uns feuern, und nur ein starke und höchstentwickelte israelische Armee kann uns retten. Dieselbe Armee, die jahrelang an den Kontrollstellen trainiert hat.
Neulich war noch ein Bild im Fernsehen: Micky Levi, Chef der Polizei von Jerusalem, wurde im Streit mit einer Araberin gezeigt. Plötzlich schlug er mit der Faust zu. Doch die Kamera war hinter ihm, und so war nicht zu sehen, wo die Faust landete. Auf ihrem Bauch? Ihrer Brust? Oder traf er ganz daneben?
Der IPL (Israelischer Polizei-Lügner, ein jüngerer Bruder seines Armeekollegen) versuchte sich an einer dümmlichen Erklärung. Aber es gibt keinen besseren Zeugen als die eigenen Augen. Der Polizeichef, ein Offizier im Rang eines Generals, benutzte seine Faust in der Auseinandersetzung mit einer Frau.
Es gab keinen öffentlichen Aufschrei. Weder in den Medien, noch in der Knesset, noch im Kabinett. Wer will sich schon mit der Polizei anlegen?
18.8.01
Aus dem Englischen von Hermann Kopp
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