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Netanjahu auf den Schild gehoben

Noch ist die von Israels Premier angestrebte neue Koalition nicht unter Dach und Fach

Von Oliver Eberhardt *

Nach der Veröffentlichung des offiziellen Wahlergebnisses in Israel haben 82 von 120 Abgeordneten Präsident Schimon Peres darum gebeten, den rechtskonservativen Benjamin Netanjahu mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Suche nach einer Koalition bleibt dennoch schwierig.

Zwei Tage lang hat sich Präsident Schimon Peres Zeit genommen, um den Vorsitzenden jeder einzelnen Partei, die es ins Parlament geschafft hat, zum Gespräch zu laden, seine Positionen und Empfehlungen anzuhören, teils bis tief in die Nacht. So schreibt es das Gesetz eigentlich vor. Aber so hat es vor Peres noch kein anderes Staatsoberhaupt des Landes gemacht: Man nahm die Wahlergebnisse zur Kenntnis, beauftragte jemanden mit der Regierungsbildung. Dass Peres es nun anders macht: »Nervig« fand das ein neu gewählter Abgeordneter der größten Fraktion Likud/Jisrael Beitenu. Peres habe die Wahlgesetze dazu genutzt, um sich selbst in Szene zu setzen, kritisiert man in der Arbeiterpartei, die allerdings seit Peres' Übertritt zur mittlerweile auf zwei Sitze reduzierten Kadima auf den Mann nicht gut zu sprechen ist. Die Öffentlichkeit hingegen - findet's »gut«, »spannend«, »so wie es sein soll«, wie in den Leserkommentaren der Online-Medien, aber auch in den redaktionellen Analysen immer wieder zu lesen ist: »Peres ist dabei, die Präsidentschaft neu zu erfinden, das Staatsoberhaupt zu einem wichtigen Bestandteil des politischen Systems zu machen«, kommentiert Jedioth Ahronoth.

Doch die Episode zeigt auch und vor allem eines: Wähler und Politiker, das sind auch heute, eineinhalb Wochen nach der Wahl zwei verschiedene Welten, deren Bewohner wenig füreinander übrig haben. So haben sich in den Gesprächen mit Peres die Vorsitzenden von zusammen 82 der 120 Abgeordneten dafür ausgesprochen, den Amtsinhaber Netanjahu mit der Regierungsbildung zu beauftragen, und der Luftschlag gegen Syrien hat einiges dazu beigetragen, dass es so viele geworden sind: Parteien wie die Kadima, die eigentlich keine Empfehlung aussprechen wollten, haben nun Netanjahu ihre Liebe geschworen. Nur: In der Öffentlichkeit wird der Angriff zu diesem Zeitpunkt als selbstherrlich und gewagt kritisiert. Zudem ist immer wieder zu hören, es sei nun mal der Wählerwille, das Netanjahu die Regierung bilde.

Das ist dann der Punkt, an dem in der Öffentlichkeit oft, immer öfter darauf hingewiesen wird, dass es tatsächlich nur exakt 23,41 Prozent aller Wähler waren, die den Mann und sein Parteienbündnis gewählt hatten, und die darauf verweisen, dass die Umfragen unter den Wählern der Neupartei des ehemaligen Moderators und Boxers Jair Lapid ganz klar sagen: Wer für ihn gestimmt hat, wollte eine Links-Zentrum-Koalition und nicht das, was sich nun abzeichnet.

Eine Koalition aus Rechts und Rechter, gespickt mit den zwei ultra-orthodoxen Fraktionen und eben Lapids Jesch Atid - wobei längst nicht gesagt ist, dass es auch passieren wird, denn der Teufel steckt im Detail: Das große Thema ist der Wehrdienst für Religiöse. Lapid hat versprochen, dass er kommt. Die ultra-orthodoxen haben geschworen, es zu verhindern. Netanjahu könnte zwar in diesem Szenario auf die Religiösen verzichten, will es aber nicht, weil sonst eine einzige Partei der Koalition jederzeit den Garaus machen könnte.

Und dann sind da auch die Verhandlungen mit den Palästinensern. Lapid hatte zugesagt, dass es da endlich, nach Jahren des Stillstandes, weiter gehen soll. Doch da steht die siedlerfreundliche HaBajit HaJehudi davor. Allerdings hat Lapid auch hier mittlerweile durchblicken lassen, dass er kompromissbereit ist - im Gegenzug dafür, dass die Zahl der Minister auf 18 begrenzt wird.

So regt sich im Lande gegenüber Lapid, der sich als Parteichef übrigens den Vorsitz laut Satzung bis mindestens 2020 hat garantieren lassen, langsam Protest: Wenn er so weiter macht, kritisiert einer der neuen Abgeordneten, werde es wohl passieren, dass sich Frage der Nachfolge im Jahr 2020 nicht stellen werde.

* Aus: neues deutschland, Montag, 04. Februar 2013


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