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Rassismus in Israel

Übergriffe auf afrikanische Migranten. Hetztiraden von Parlamentariern heizen Stimmung auf

Von Mya Guarnieri, Tel Aviv (IPS) *

Es ist Samstag abend in Tel Aviv. Amine Zegata, ein 36jähriger Flüchtling aus Eritrea, hat gerade seine kleine Kneipe im Viertel HaTikva wiedereröffnet. Das Lokal mußte vorübergehend geschlossen werden, nachdem jüdische Israelis bei rassistisch motivierten Ausschreitungen die Scheiben eingeworfen und Flaschen zerschlagen hatten. Seitdem wurde Zegata zwei Mal attackiert. Auch viele andere Afrikaner sehen sich mit Gewalt konfrontiert.

Am Abend des 23. Mai versammelten sich jüdische Israelis im Süden von Tel Aviv, um gegen die Anwesenheit von Afrikanern in ihrer Nachbarschaft zu protestieren. Parlamentarier heizten die Stimmung durch Hetzreden auf. Miri Regev, ein Mitglied der Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, nannte Afrikaner ein »Krebsgeschwür« im Körper Israels. Michael Ben Ari von der ultrarechten Nationalen Union beschimpfte sie als »Vergewaltiger« und erklärte, »die Zeit für Gespräche ist vorbei«.

Der Mob ließ sich durch die Haßtiraden derart aufwiegeln, daß Asylsuchende gejagt und zusammengeschlagen wurden. Von Afrikanern geführte Geschäfte wurden verwüstet und die Windschutzscheibe eines Autos zertrümmert, in dem sich Afrikaner befanden.

»Die Gefahr ist nicht vorbei«, sagt Zegata. Seit den Übergriffen gegen seine Person wurde er mehrfach davor gewarnt, seine Bar wieder aufzumachen. Inzwischen ist auch die provisorisch eingesetzte Fensterscheibe beschädigt worden. Er habe weniger Angst um seine Kneipe als um seine Sicherheit, gesteht er. »Das Glas ist nicht das Problem«, sagt er in fließendem Hebräisch und zeigt auf die Sprünge. »Eine Scheibe kann man ersetzen, ein Leben nicht.«

Wie Sigal Rozen von der Hilfsorganisation »Hotline for Migrant Workers« berichtet, ist es schwierig, die Zahl der Afrikaner zu schätzen, die seit den Ausschreitungen bedroht und mißhandelt worden sind. Täglich kommen Asylbewerber in ihr Büro, um Übergriffe anzuzeigen. Die Aktivistin geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Denn die meisten Flüchtlinge, die von Israelis drangsaliert würden, hätten nicht den Mut, die Polizei oder Organisationen um Hilfe zu bitten.

Die Gewalt gegen afrikanische Flüchtlinge ist in dem Land kein neues Phänomen. Vier Monate vor Ausbruch der Unruhen war Zegata bereits von einer Gruppe jüdischer Teenager niedergeschlagen worden und mußte daraufhin im Krankenhaus behandelt werden.

Afrikanische Mädchen wurden im vergangenen Jahr Opfer eines Überfalls. Die Angreifer beleidigten die in Israel geborenen Töchter nigerianischer Migranten mit rassistischen Sprüchen. Ein Mädchen wurde mit einer Stichwaffe attackiert und mußte medizinisch versorgt werden.

Mehrere Afrikaner im Süden von Tel Aviv berichten, daß sie permanent von jüdischen Israelis belästigt werden. Nachdem Zegata seine Bar vor acht Monaten eröffnet hatte, wurde er ein halbes Jahr lang drangsaliert. Vor einiger Zeit öffneten Unbekannte zudem ein Fenster seiner Wohnung und warfen brennende Streichhölzer hinein.

Abraham Alu ist ein 35jähriger Flüchtling aus dem Südsudan, der Plastikschuhe in einer Fußgängerzone im Viertel Neve Schaanan verkauft. Fast jeden Tag kämen Israelis auf ihn zu und forderten ihn auf, »nach Hause zu fahren«, klagt er. Alu hat Angst und meint, daß er und die anderen Afrikaner aus Sicherheitsgründen das Land verlassen sollten. Er weiß aber nicht, wohin er gehen soll.

In Israel leben zur Zeit etwa 60000 afrikanische Asylsuchende, von denen 85 Prozent aus Eritrea und dem Sudan stammen. Die Männer, Frauen und Kinder erhalten Gruppenschutz gegen Ausweisungen und auch Visa. Obwohl sie sich legal in dem Land aufhalten, dürfen sie dort nicht arbeiten. Viele Asylbewerber versuchen dennoch mit Hilfsjob über die Runden zu kommen und leben in überfüllten, billigen Wohnungen in armen Gegenden. Wer das Geld für die Miete nicht aufbringen kann, lebt in Parks.

An den antiafrikanischen Protesten haben sich seit Beginn 2010 auch immer wieder Knesset-Mitglieder beteiligt. Die meisten kamen aus dem ultrarechten Spektrum.

Regev, die für ihre Äußerungen scharf kritisiert wurde, war allerdings nicht die erste in der Regierungspartei Likud, die Hetzparolen von sich gab. 2009 hatte Innenminister Eli Yischai im Armeerundfunk erklärt, Asylsuchende schleppten Krankheiten nach Israel ein. Ein Jahr später hetzte Netanjahu, daß Afrikaner »eine konkrete Gefahr für den jüdischen und demokratischen Charakter« Israels darstellten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. Juli 2012


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