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Kriegshysterie

Israelische Opposition erhebt schwere Vorwürfe gegen Regierung wegen der Angriffspläne gegen Iran

Von Knut Mellenthin *

Ein Krieg gegen Iran würde die israelische Wirtschaft rund 42 Milliarden Dollar kosten. Das berichtete der israelische Fernsehsender Channel 10 am Sonntag nach Schätzungen des Geschäftsberatungsunternehmens Business Data Israel, Ltd. Als Grundlage der Berechnungen diente der 34 Tage dauernde Libanonkrieg im Sommer 2006.

In der Kalkulation sind die Kosten für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude und für den Ersatz von verlorenem Kriegsgerät mit insgesamt zwei Milliarden Dollar erstaunlich niedrig angesetzt. Auf zehn Milliarden Dollar schätzt das BDI den Produktionsausfall, hauptsächlich während gegnerischer Raketenangriffe. Der Hauptposten der Rechnung, 30 Milliarden Dollar, sind vermutete Exportverluste in den nächsten fünf Jahren. Nicht berücksichtigt sind nach Angaben des Unternehmens mögliche Nebenfolgen einer militärischen Konfrontation, wie etwa steigende Ölpreise, eine internationale Wirtschaftskrise oder Etatkürzungen zur Finanzierung des Krieges.

Die Jerusalem Post berichtete am Montag über Klagen namentlich zitierter Geschäftsleute, daß die negativen Folgen der seit Wochen anhaltenden Kriegsdiskussionen in Israel schon jetzt deutlich spürbar seien. Die befragten Manager berichteten, ihre ausländischen Kunden stellten besorgte Fragen, ob sie die vertraglichen Lieferverpflichtungen im Kriegsfall wirklich einhalten könnten. Einige Unternehmen, so die Jerusalem Post, hätten begonnen, eine zeitweise Verlagerung von Teilen ihrer Produktion an ausländische Standorte vorzubereiten. Es sei ungewiß, ob diese Firmen nach Ende der militärischen Konfrontation ihre Produktion wieder vollständig nach Israel zurückholen würden. Das Blatt zitierte aber auch einen Vertreter des Ministeriums für Industrie, Handel und Arbeit mit der Aussage, es handele sich dabei nur um »isolierte Einzelfälle«.

Indessen hat Oppositionsführer Schaul Mofaz der Besorgnis der Bevölkerung angesichts der vor allem von Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak vorgetragenen »Präventivschlag«-Drohungen gegen Iran Ausdruck verliehen. Mofaz, der 1948 in Teheran geboren wurde und den Iran zusammen mit seiner Familie als Achtjähriger verließ, forderte Netanjahu am Sonntag auf, sich schnellstens mit ihm zu treffen und ihn über sämtliche Details der Kriegsplanung zu informieren. Kopien seines Briefes ließ der Chef der stärksten Oppositionspartei, Kadima, nicht nur dem Verteidigungsminister, dem Vorsitzenden des zuständigen Knesset-Ausschusses und dem Generalstaatsanwalt, sondern auch den Medien zukommen.

Mofaz beklagt in seinem Schreiben die »totale Anarchie der öffentlichen Debatte«, für die er vor allem Netanjahu persönlich verantwortlich macht. Die Motive für das Verhalten des Premiers seien zwar immer noch unklar, aber gewiß sei, daß er damit den Sicherheitsinteressen des Landes schade. Ein Angriff gegen Iran werde seine militärischen Ziele nicht erreichen, unverhältnismäßig große menschliche Verluste auf beiden Seiten zur Folge haben, die »Heimatfront« schädigen und Israels internationale Position schwächen. Unter den gegenwärtigen Umständen wäre ein Angriff daher ebenso »unvernünftig« wie »unmoralisch«.

Der Oppositionsführer erwähnte auch den Schaden für die Beziehungen zwischen Israel und den USA. Netanjahu sei offenbar zu einer »unverhohlenen, nicht legitimen Einmischung in die politischen Prozesse innerhalb der USA während der Präsidentschaftswahl im November« entschlossen. Was sei das politische Ziel hinter der Verbreiterung der Kluft zwischen beiden Staaten? Was seien Netanjahus »diplomatische, wirtschaftliche und operative Alternativen« angesichts des von ihm provozierten Vertrauensverlusts zwischen Washington und Jerusalem? »Es scheint, daß Sie die Kontrolle über sich selbst und über Ihre anonymen Berater verloren haben. Man kommt um die Erkenntnis nicht herum, daß das Ausmaß von Hysterie, das Sie zeigen, ein negatives Bild Ihrer wirklichen Absichten zeichnet.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. August 2012


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