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"Die USA sind eine Supermacht. Wenn sie Israel in Stücke gebrochen haben wollen, kriegen sie Israel in Stücke gebrochen"

"Die gegenwärtige Position der US-Regierung zu dieser Angelegenheit ist peinlich" - Der Ton in Israel gegenüber Obama wird schärfer. Zwei Dokumente im Wortlaut

Trotz aller Sonntagsreden und gegenseitiger Beteuerungen unverbrüchlicher Freundschaft: Die Beziehungen zwischen den USA und Israel haben sich seit dem Amtsantritt Barack Obamas merklich abgekühlt. Davon zeugt vor allem der ständige Streit um den Ausbau der Siedlungen. Die israelische Botschaft in ihrem Newsletter hat vor wenigen Tagen einen Artikel von Ari Shavit aus Haaretz versandt, in dem das veränderte israelisch-amerikanische Klima deutlich zum Ausdruck kommt. Zwar fehlt am Ende nicht der in solchen Fällen übliche Hinweis: "Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder", doch ganz ohne grundsätzliche Zustimmung zu den Thesen des Autors hätte die Botschaft den Artikel wohl nicht dokumentiert.
Genauso verhält es sich mit einem zweiten Artikel, den wir dokumentieren: Dov Weissglass, früher engster Berater von Ariel Sharon, vertritt in der konservativen Zeitung Yedioth Ahronot den Standpunkt, dass die USA seinerzeit Israel den natürlichen Ausbau der Siedlungen zugesichert hätten. Der Artikel ist im Ton fast noch schärfer als der erste Beitrag und wurde mit dem Newsletter der israelischen Botschaft am 3. Juli 2009 verschickt.



Strenge Liebe

Von Ari Shavit

Sieben Monate nach Barack Obamas Sieg bei den Präsidentschaftswahlen ist weiter unklar, was das neue strategische Ziel der USA ist: das iranische Atomprogramms zu stoppen oder sich mit einem atomaren Iran abzufinden. Auch ist unklar, was die neue amerikanische Vision für den Nahen Osten ist: ein realistischer Teilfrieden oder ein voller und unrealistischer Frieden. Noch ist unbekannt, ob die Vereinigten Staaten Obamas beabsichtigen, die Extremisten des Nahen Ostens zu isolieren oder sie anzuspornen. Unbekannt ist ihr Verhältnis zu Hamas, Hisbollah, Syrien und dem Iran. Auch ist unbekannt, ob sie als Sieger oder Besiegte aus dem Irak abziehen werden. In einem Punkt allerdings gibt es keinen Zweifel: In allem, was mit Israel zu tun hat, haben sich die Vereinigten Staaten die Strategie der strengen Liebe zu Eigen gemacht.

"Strenge Liebe" ist ein beladener Begriff. Er hat pädagogische, emotionale und mitunter erotische Konnotationen. Ihm wohnt der patriarchalische Glaube inne, dass der Erzieher besser weiß als der zu Erziehende, was gut für diesen ist. Daher wird er traditionell mit geschlossenen Erziehungseinrichtungen, mit ausbeuterischen Herrschaftssystemen und bevormundendem Konservativismus identifiziert. Und doch hat die strenge Liebe jüngst gerade in liberalen Kreisen in Washington und New York Hochkonjunktur. Demokratische Meinungsführer -- viele davon Juden -- haben begonnen, mit leuchtenden Augen von der Notwendigkeit yu sprechen, Israel mit Strenge zu lieben. Es zu zähmen, es zu entwöhnen, ihm Grenzen aufzuzeigen. Es zu seinen Gunsten gegen seinen Willen zu zwingen.

Israel hat seinerseits nicht wenig dafür getan, um jenen in Hände zu spielen, die sich in strenger Erziehung üben. Die verwöhnte israelisch-amerikanische Prinzessin hat ihre Stellung als Augapfel Onkel Sams ausgenutzt. Jahrelang hat sie die amerikanische Regierung genarrt und sich mit Siedlungen, Kontrollpunkten und illegalen Außenposten ausgetobt. Mit ihrem zügellosen Verhalten hat sie jedes Joch abgeschüttelt und die Guten und Anständigen in der amerikanischen Hauptstadt erzürnt. Daher haben, als Barack Obama und Emanuel Rahm ins Weiße Haus einzogen, viele ihnen empfohlen, die Stürmische zu zügeln. Der Präsident und sein Stabschef haben die Empfehlung begeistert aufgenommen. Für die zwei starken Kerle aus Chicago klang die Idee, Israel hart und schmerzhaft zu lieben, cool.

Die Resultate kann man auf den Bildschirmen auf der ganzen Welt betrachten: eine amerikanische Politik englischer Erziehung. Eine Diplomatie öffentlicher Missachtung. Die neuen Vereinigten Staaten versuchen Israel seine schlechten Gewohnheiten mit dem Lineal des Lehrers abzugewöhnen. Während sie sich vor Saudi-Arabien verneigen und um die Ehre des Iran besorgt sind, erniedrigen sie Israel. Die Füße auf dem Tisch des Präsidenten sind die Botschaft. Das Ziel ist ein wohlerzogenes und gehorsames Israel.

Die USA sind eine Supermacht. Wenn sie Israel in Stücke gebrochen haben wollen, kriegen sie Israel in Stücke gebrochen. Die Kollision zwischen einem Panzer und einem Traktor. Zwischen einem Tarnkappenbomber und Segelflugzeug. Aber die Frage, die das Weiße Haus sich fragen muss, ist, ob ein Zertreten Israels ihm dient. Ob ein gebrochenes Israel im Interesse der USA liegt.

Die Antwort ist eindeutig: Nein, schon jetzt schadet die öffentliche Erniedrigung Israels Amerika. Sie sorgt dafür, dass die gemäßigten Araber nicht bereit sind, etwas zur Förderung des politischen Prozesses beizutragen. Ohne signifikanten arabischen Beitrag wird es keinen politischen Prozess geben. Eine Fortsetzung der strengen Erziehung Israels würde jedoch noch viel schwereren und unumkehrbaren Schaden anrichten. Ohne ein starkes Israel wird es keinen Frieden geben und wird kein Frieden überleben im Nahen Osten. Ohne ein starkes Israel wird der Nahe Osten in Flammen aufgehen. Daher sollten Amerikaner und Israelis, anstatt Machtspiele in Rekrutenart zu spielen, in Harmonie agieren. Sie müssen sich vom Schubladendenken verabschieden, um eine kreative Lösung zu initiieren, die auf gegenseitigem Zuhören und gegenseitigem Respekt beruht. Sie müssen gemeinsam einen wirklichen regionalen Frieden voranbringen.

Die Zeit ist knapp. Sowohl die Obama-Administration als auch die Regierung Netanyahu haben in den vergangenen Minuten schwere Fehler begangen. Aber letztlich sind sowohl Obama als auch Netanyahu würdige Staatsmänner, die das Richtige tun wollen. Daher müssen beide das gefährliche Spiel, das sie spielen, beenden. Es ist Zeit, die strenge Liebe gegen eine reife und vernünftige Liebe einzutauschen.

(Haaretz, 02.07.09)

Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder.

Quelle: Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, 2. Juli 2009



Vereinbarungen müssen respektiert werden

Von Dov Weissglass

Am 1. und 16. Mai 2003 wurde bei den Diskussionen über Israels Vorbehalte in Bezug auf die Initiative der Road Map vereinbart, dass es keine Bautätigkeiten an jüdischen Gemeinden in Judäa, Samaria und Gaza geben wird, mit Ausnahme bereits bestehender Gemeinden. Diese Worte wurden geäußert, vereinbart und in den Gesprächsunterlagen dokumentiert, die im Amt des Ministerpräsidenten verwahrt werden. Ich bin sicher, eine effiziente Suche wird die parallelen amerikanischen Akten zu Tage fördern.

So geht die tagtägliche Diplomatie vonstatten: Gespräche zwischen den autorisierten Vertretern von Staaten, gefolgt von einer mündlichen, in Echtzeit von einem oder mehreren Anwesenden aufgezeichneten Übereinkunft, und die Dokumentation, die die Vereinbarungen widerspiegelt.

Reguläre diplomatische Kontakte und durch sie erzielte Übereinkünfte münden nur selten in einem detaillierten Vertragswerk, das eine Einleitung sowie nummerierte Klauseln und Paragraphen umfasst. Und dies ist genau, wie die oben erwähnte Vereinbarung abgesichert wurde, als eine Ausnahme des allgemeinen Bautätigkeitseinfrierungsdekrets in der Road Map.

Die Vereinbarung wurde der Öffentlichkeit in Israel und im Ausland am 18. Dezember 2003 bekannt gemacht. In seiner „Herzliya-Rede“, die erstmals den Gaza-Abkoppelungsplan präsentierte, führte Ministerpräsident Ariel Sharon die Substanz der Vereinbarung aus, die nun von einer Kontroverse umnebelt wird. Dies ist, was zu jener Zeit gesagt wurde: „Israel wird alle seine Verpflichtungen erfüllen, einschließlich der Angelegenheit des Siedlungsbaus. Es wird keine Bautätigkeit jenseits der bestehenden Bebauungslinien geben. Es wird keine Beschlagnahmungen von Land für Bautätigkeiten, keine besonderen wirtschaftlichen Anreize geben und keinen Bau von Sondersiedlungen.“

Der Text der Rede wurde allerorts gelesen, analysiert und sorgfältig studiert, vor allem in den Vereinigten Staaten. Aber niemand, weder hier noch dort, stand auf und protestierte: „Was für Bautätigkeiten? Was für eine Vereinbarung?“ Der Rede wurde großer Beifall gespendet, unter anderem vom damaligen US-Botschafter in Israel – der sich unter den Ehrengästen der Herzliya-Konferenz befand und kürzlich die Existenz des Abkommens in einem von ihm verfassten Artikel geleugnet hat.

Die gegenwärtige Position der US-Regierung zu dieser Angelegenheit ist peinlich, gelinde gesagt. Sprüche wie „Solch eine Vereinbarung hat es nie gegeben“, „Das waren nur mündliche Übereinkünfte“ oder „Wenn es eine Vereinbarung gegeben hat, wurde sie von Israel verletzt, und in jedem Fall sollte sie angesichts der gewandelten Umstände annulliert werden“ erinnern an eine Person vor Gericht, die behauptet, niemals einen Schuldschein unterzeichnet zu haben, und gleichzeitig versichert, ihn schon vor langer Zeit vollständig abgezahlt zu haben.

Die derzeitige Außenministerin ist soweit gegangen zu erklären, dass in den Regierungsunterlagen keinerlei Erwähnung der Vereinbarung zu finden ist. Ein früherer Mitarbeiter des Weißen Hauses, Elliot Abrams, schrieb kürzlich, dass Clinton irrt und es eine Vereinbarung gegeben habe. „Ich war dabei“, bemerkte er in einem Wall Street Journal-Artikel von vergangener Woche.

In der Tat hat es eine Vereinbarung gegeben, die dokumentiert (zumindest in israelischen Akten) und publik gemacht worden ist. Wir sollten auch daran denken, dass auch mündliche Vereinbarungen respektiert werden müssen, so lange es substantielle Belege für die Existenz einer solchen Vereinbarung gibt. Darüber hinaus hat sich in den vergangenen sechs Jahren nichts Grundlegendes geändert, was die Annullierung der Vereinbarung rechtfertigen würde.

Die Leugnungen der US-Regierung sind nicht nur unfair und ungerecht; sie sind auch unklug. Der arabisch-israelische Konflikt ist erfüllt von Misstrauen. Wenn einmal Endstatusabkommen gesichert sind, werden sie viele amerikanische Garantien und Verpflichtungen erforderlich machen, insbesondere in Hinsicht auf langfristige Sicherheitsregelungen. Ohne solche ist es zweifelhaft, ob ein Abkommen erzielt werden kann.

Wenn allerdings Entscheidungsträger in Israel (oder sonst wo) erkennen, dass – Gott bewahre – eine amerikanische Zusicherung nur solange gültig ist, wie sich der betreffende Präsident im Amt befindet, wird niemand solche Zusicherungen wollen. Die alte Regel, der nach Vereinbarungen respektiert werden müssen, ist die Existenzgrundlage gesellschaftlicher und politischer Ordnung in der Welt.

Aus diesem Grund müssen wir das Folgende festhalten: Israels Recht auf eingeschränkte Bautätigkeit in Gemeinden Judäas und Samarias, innerhalb der bestehenden Baulinien, wurde als Ausnahme der Bautätigkeitseinfrierungsklausel in der Road Map vereinbart. Und da Vereinbarungen respektiert werden müssen, muss auch Israel in Hinsicht auf die Einhaltung der Road Map jeden Zweifel ausräumen. Die Verpflichtung, Vereinbarungen zu respektieren, gilt auch für Israel.

(Yedioth Ahronot, 02.07.09)

Die im Newsletter veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder.

Quelle: Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, 3. Juli 2009



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