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NSA-Skandal lenkt von Netanjahu ab

USA spionierten in der israelischen Regierung – die will vom Weißen Haus ihren Atomagenten zurück

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Die NSA soll auch Mitglieder der israelischen Regierung ausspioniert haben. Die gibt sich entsetzt und nutzt die Vorwürfe, um Druck auf das Weiße Haus zu machen.

Schon lange war die Stimmung in der Kaplan-Straße Nr. 3 nicht mehr so gut. Die umgerechnet rund 2500 Euro, die Netanjahu im Monat für Eiscreme ausgibt, das Privatflugzeug, das der Staat dem Regierungschef für etwa 40 Millionen Euro für seine ständigen Auslandsreisen kaufen soll, die ungebetenen Besuche von US-Außenminister John Kerry; all dieser Ärger ist in diesen Tagen im Büro des israelischen Premierministers in Jerusalem wie weggeblasen. »Das war genau das, was wir gebraucht haben«, frohlockte ein Mitarbeiter des Premiers.

Ende vergangener Woche enthüllten deutsche, amerikanische und britische Medien auf der Grundlage der Snowden-Dokumente, dass der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) auch Israels ehemaligen Regierungschef Ehud Olmert und den einstigen Verteidigungsminister Ehud Barak ausspioniert haben soll.

Das wurde zu einer Steilvorlage für den Regierungschef, dem wegen seiner ausschweifenden Amtsführung, den rabiaten Einschnitten ins Sozialsystem und der desolaten Außenpolitik Wähler wie politisches Gefolge rasend schnell davon laufen.

Die Enthüllungen haben das Zeug, von Netanjahu wenigstens einen Teil des Drucks zu nehmen. So verwiesen Berater wie Mitarbeiter über das gesamte Wochenende darauf, dass es wohl doch nicht an Netanjahu und seinem Außenminister Avigdor Lieberman liegen könne, dass das Verhältnis zu den USA so schlecht sei. Immerhin habe man dort schon seinem Vorgänger Olmert so wenig vertraut, dass man versucht habe, seine Kommunikation anzuzapfen.

Gleichzeitig nutzt man die Nachricht dazu, sowohl Olmert als auch Barak als in Sicherheitsfragen inkompetent zu diskreditieren. Zwar haben sich beide aus dem politischen Leben zurückgezogen. Doch allgemein wird damit gerechnet, dass sie ein Comeback planen. Für diesen Fall erklären die Umfragen die Politiker zu ernsthaften Konkurrenten für Netanjahu. Dessen Likud-Block bekam ohne den Wahlbündnis-Partner Jisrael Beitenu bei den Wahlen im Januar ohnehin nur 13,37 Prozent aller gültigen Wählerstimmen.

Doch am allermeisten hofft man in der Kaplan Nr. 3 darauf, die Vorwürfe in einen gigantischen Erfolg ummünzen zu können. Seit 1987 sitzt in den USA Jonathan Pollard im Gefängnis. Er war wegen seiner Agententätigkeit für den Atom-Spionagedienst Lakam zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Alle Versuche Israels ihn freizubekommen, wurden bislang stets noch vom Weißen Haus abgeblockt. Der Ehrgeiz hatte nach Aussage von Vertretern beider Seiten in den vergangenen Jahren allerdings stark abgenommen. Angesichts der zunehmenden Forderungen nach Verhandlungserfolgen im israelisch-palästinensischen Konflikt blieb wenig Raum für Nebenforderungen. Selbst viele pro-israelische Amerikaner sind sich darin einig, dass es nicht sein könne, dass Israel seinen engsten Verbündeten ausspioniere.

Nun ist allerdings bekannt geworden, was längst offensichtlich war. Die USA machen das auch. Israels Rechte hat Morgenluft geschnuppert. Pollard müsse nun der »israelische Chodorkowski« werden, forderte ein Kommentator der konservativen Zeitung Jisrael HaJom am Montag. In Israels größter Tageszeitung, der Jedioth Ahronoth, erklärte ein Analyst, es gebe für Washington keine Begründung mehr, Pollard in Haft zu halten. Was man allerdings jenseits des Meeres deutlich anders sieht. Eine Freilassung Pollards stehe überhaupt nicht zur Debatte, sagt eine Sprecherin des Weißen Hauses.

Auch die Pro-Israel-Lobby in den USA will nicht so ganz, wie sich Team Netanjahu das wünscht. Der erhoffte Rückenwind ist weitgehend ausgeblieben. Selbst der amerikanisch-israelische Ausschuss AIPAC, wo man Netanjahu sehr gewogen war, hat bislang nur wenige Worte für diese Angelegenheit gefunden. »Netanjahu hat im Laufe seiner Amtszeit durch seine Politik viel an Unterstützung verloren; sie war bislang sehr stark von Alleingängen geprägt, bei denen internationale Partner draußen geblieben sind«, sagt ein Vorstandsmitglied der Organisation: »Wir verstehen die Notwendigkeit, amerikanische Interessen zu schützen.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Dezember 2013


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