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Israel: Amram Mitzna wird neuer Vorsitzender der Arbeitspartei

Ben-Elieser geschlagen - Eine Chance für den Frieden?

Der Bürgermeister von Haifa, Amram Mitzna, hat die Wahl zum neuen Vorsitzenden der israelischen Arbeitspartei gewonnen. Der Vertreter des Friedenslagers in der Partei erhielt 54 Prozent der Stimmen. Sein Hauptrivale Benjamin Ben-Elieser, der ehemalige Verteidigungsminister, gestand am frühen Mittwochmorgen (20.11.2002) seine Niederlage ein. Er kam nach israelischen Medienberichten auf 37 Prozent. Ganz im Jargon seines früheren Amtes kommentierte er das Ergebnis vor Parteifreunden: "Wir haben diese Schlacht um die Führung der Arbeitspartei verloren."

Rund sieben Prozent der Stimmen entfielen auf den dritten Bewerber, den Abgeordneten und einflussreichen Parteifunktionär Chaim Ramon. Fast 65 Prozent der knapp 111.000 Mitglieder der Arbeitspartei hatten sich an der Direktwahl beteiligt.
Sprecher der rechten Likud-Partei des Premierministers Scharon begrüßten die Wahl Mitznas, weil dieser durch seine Vorschläge zur Beendigung des Konflikts mit den Palästinensern "die moderate Mitte abschrecken" werde, meldete die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Online-Ausgabe am 20.11.2002. Mitzna hatte erklärt, er werde im Fall seiner Wahl zum Ministerpräsidenten sämtliche jüdischen Siedlungen im Gazastreifen evakuieren und sofort Verhandlungen mit der Palästinenserführung aufnehmen. Zufrieden zeigten sich denn auch Sprecher der Palästinenser in Ramallah.



Amram Mitzna - ein Kurzporträt

Amram Mitzna, neuer Chef der israelischen Arbeitspartei und Bürgermeister von Haifa, ist wie ein Phönix aus der Asche aufgestiegen. Vor einem halben Jahr hätte ihn noch niemand auf der Rechnung gehabt. Nun will der ehemalige Armeegeneral, der für Verhandlungen mit den Palästinensern eintritt und zum Oslo-Friedensprozess steht, die Arbeitspartei wieder an die Macht führen.

Mitzna stammt aus dem Kibbuz Ein Gev am See Genezareth im Norden des Landes. An der Universität Haifa studierte er Geografie und Politologie, bevor er 1963 in die Armee eintrat und dort 30 Jahre lang diente. Seinen ersten grossen Einsatz hatte er 1982 als Generalleutnant im Libanonfeldzug gegen die syrische Armee unter dem damaligen Verteidigungsminister Ariel Scharon. Nach den Massakern in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila bei Beirut wurde Mitzna zum Dissident und bot drohte seinen Rücktritt an, sollte Sharon nicht aus dem Amt scheiden. Doch man überzeugte ihn, weiterzumachen und sich zu entschuldigen. Im Generalstab war Mitzna unter anderem für Geheimdienste zuständig und leitete den Operations- und Planungsstab. Ausserdem führte er das Kommando für Mittelisrael und das Westjordanland.

Die Neue Zürcher Zeitung schreibt über den dreifachen Vater und Grossvater, er fühle sich dem Erbe des 1995 ermordeten Premierminister Rabin verpflichtet und befürworte eine sofortige Wiederaufnahme von Verhandlungen über einen selbstständigen Palästinenserstaat. Ohne Verhandlungen treibe Israel "auf Talfahrt dem Abgrund entgegen". Mitzna ist auch bereit, Jerusalem zu teilen und damit den Forderungen der Palästinenser nach einer eigenen Hauptstadt zu entsprechen. Israel habe auch keine Wahl, mit welchem Palästinenserführer es verhandeln wolle. Solange Arafat der gewählte Präsident der Palästinenser ist, muss er auch als solcher behandelt werden. Der hochdekorierte 57-jährige Kriegsveteran plädiert auf der anderen Seite aber auch für einen schnelleren Bau des Sicherheitszauns entlang der grünen Grenze zum Westjordanland.

Seit neun Jahren ist Mitzna Bürgermeister von Haifa, einer Stadt, die sich dafür rühmt, dass in ihr arabische und jüdische Israeli in relativer Harmonie leben. Er verfügt auch über gute Kontakte in Wirtschaftskreisen, was bei der derzeitigen Rekordarbeitslosigkeit und der zunehmenden Armut in Israel nicht ungünstig ist.
Nach NZZ-online, 19.11.2002


Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren:

Nach Mitznas Wahl: Kann sein Friedenskurs den Rechtsruck aufhalten?


Mit nahezu 54 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde der General a.D. und Oberbürgermeister von Haifa, Amram Mitzna, bei den am Dienstag (19. Nov.) abgehaltenen Vorwahlen zum Vorsitzenden und Ministerpräsident Kandidat der Arbeitspartei Israels bei den Ende Januar 2003 stattfindenden Wahlen gewählt. Der bisherige Parteivorsitzende und zurückgetrene Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser erhielt 38, der dritte zur Wahl angetretene Chaim Ramon 7 Prozent. Damit hat der Taubenflügel dieser Partei und Mitznas Versprechen, mit den Palästinensern eine Friedensregelung durch weitgehendsten Rückzug aus den seit 1967 besetzten Gebieten und Evakuierung der meisten Kolonistensiedlungen anzustreben, seinen ersten Sieg errungen.

Kann Mitzna in der kurzen, nur zweimonatigen Frist bis zu den Knesseth Neuwahlen die Arbeitspartei aus dem, hauptsächlich durch die zwiespältige Arbeitspartei Barak Regierung (1999-2001) und der danach erfolgten unseligen Feigenblatt Rolle in der terroristischen Hartliner Scharon Regierung verursachten Debakel herausführen können? Kann die von Mitzna angeführte Arbeitspartei den voraussichtlichen noch schärferen Rechtsruck aufzuhalten? Das wäre mehr als ein Wunder. Die Reinigung des Augiasstalles, den Scharon hinterlassen hat und wahrscheinlich auch weiterhin noch mehr verunreinigen wird, könnte nicht einmal ein Herkules in dieser kurzen Zeitspanne durchführen können.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Mitzna mit Scharon ins Gehege kommt. Vor mehr als zwanzig Jahren, während der von Scharon als Israels damaliger Kriegs-, alias Verteidigungsminister angezettelter kriegsverbrecherischen Libanon Invasion, protestierte Mitzna, damals schon als Generalstabsoffizier, gegen die dreitägige Artillerie und Luftangriffe auf die libanesische Hauptstadt Beiruth und nach dem, unter Aufsicht von Scharon von libanesischen Faschisten durchgeführte Massaker in den palästinenischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla. Er forderte von Scharon, sein Amt angesichts seiner diesbezüglichen Rolle niederzulegen. Als Scharon dies ablehnte, verließ Mitzna seinen Posten in der Armee. Allerdings kehrte er bald zurück und zog seine Generalsstab Uniform wieder an, als er zur Weiterbildung auf eine USA Militärakademie geschickt wurde. Nach diesem einjährigen Kursus kehrte er nach Israel zurück und war maßgebend als Militärberater des damaligen Likud Premier Jitzhak Schamir bei der internationalen Nahost Friedenskonferenz in Madrid (1990) tätig. 1992 gab Generalleutnant Mitzna endgültig seine Militär Laufbahn auf und lies sich in seiner Geburtsstadt Haifa nieder. Ein Jahr danach wurde er als Arbeitsparteikandidat zum Oberbürgermeister dieser wichtigen Hafen- Industrie- und Karmelstadt gewählt. 1998 wiedergewählt erwarb er sich einen außergewöhnlichen Ruf als gemäßigter und populärer, das harmonische Zusammenleben der verschiedenen, diese Stadt bevölkernden Schichten, Juden, Araber, Muslime, Christen und Bahai Gläubige, Industrielle, Großhändler und Wertätige mit ihren Gewerkschaften weitgehenst fördernd.

Mitznas politisches, im Vorfeld der innerparteilichen Wahlen propagiertes Programm war auf israelisch-palästinensischen Frieden durch Verhandlungen mit den, von den Palästinensern selbst erkorenen Vertretern, auch mit Arafat, aufgebaut. Er erklärt, ein solcher Frieden kann nur zustande kommen, wenn sich Israel bereit erklärt, aus den seit 1967 besetzt gehaltenen palästinensischen Gebieten abzuziehen, die verbrieften Rechte des Palästinenservolkes anzuerkennen und die meisten, in den besetzten Gebieten angelegten Kolonistensiedlungen zu räumen. Insbesondere betont er, dass er als Premierminister als erstes die provokativen Siedlungen im Gazastreifen räumen werde. Er sieht in dem neuen UNO-USA "Quartett" Angebot für eine Nahost Friedenslösung, kombiniert mit dem von der Arabischen Liga adoptierten Saudi Vorschlag, eine Möglichkeit einer Lösong des Konflikts und besteht darauf, Israel solle dieses Programm und seine Anwendung unterstützen.

Weiter verspricht Mitzna, die tiefe wirtschaftliche Krise nicht, wie die jetzige Likud Regierung durch einen drastischen Abbau der Sozialbudgets, sondern durch ein liberales Übereinkommen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften, zwischen dem Großkapital und den sozial schwachen Schichten zu erreichen. Wie, ich glaube, das weiß er selber nicht. Zu seinen engen Beratern in dieser Frage gehören nicht nur Gewerkschaftsführer in der Hafen- und Industriestadt Haifa, sondern auch gewisse "liberale" Unternehmer und Geschäftsleute.

Am Donnerstag nächster Woche, am 28. November, wird bei den innerparteilichen Vorwahlen der Likud Partei entschieden, wer diese bei den zwei Monate später stattfindenden Knesseth Wahlen anführen wird, Ariel Scharon, oder sein Rivale Benjamin Netanjahu. Der nicht gerade als "Taube" bekannte Scharon gibt sich jetzt gerade im Vorfeld der Partei Primeries und den Januar Knesseth Wahlen wieder einmal als gemäßigter guter Großvater und tierliebender Großgrundbesitzer der alten Schule. Netanjahu setzt auf sein sich selbst angemaßtes Charisma, auf noch schärferen anti-Palästina Kurs, sowie auf seinen besonderen Freundschaftsbeziehungen zum Weißen Haus und Kongress in Washington Die Karten für Scharon stehen nach bisherigen Meinungsumfragen besser als diejenigen von Netanjahu.

Wie dem auch sei, die meisten israelischen Medien Analytiker sehen keine allzu lange Amtszeit der im Januar gewählten 16. Knesseth und der ziemlich sicher errichteten radikal rechts stehenden neuen Scharon Regierung. Ihrer Rechnung nach wird der von den Bushfeuer Männern wahrscheinlich angezettelte Gewaltstreich gegen Irak, wie er auch ausgehen möge, sowie die von der nächsten Scharon Rechtsregierung geschmiedeten Dunkelpläne gegen die Palästinenser dazu führen, dass die Amtszeit dieser nächsten Regierung und Knesseth nicht lange dauern würde. Das könnte einer, von Mitzna angeführter Arbeitspartei im Verein mit den links von ihr stehenden Friedenskoalition die Möglichkeit eröffnen, die Regierunggeschäfte zu übernehmen und eine Politik auf den von Mitzna vorgeschlagenen Linien einzuschlagen. Intsch-Allah kann man dazu nur sagen...

Diesen Beitrag erhielten wir vom Autor am 20. November 2001 per e-mail.


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