Zipi Livni bringt keine Regierung zustande
Israel vor Neuwahlen in drei Monaten
Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *
In Israel sind die Bemühungen um eine Regierungsneubildung gescheitert: In drei Monaten werden
die Israelis wohl ein neues Parlament wählen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Bis zum letzten Moment hoffte das Lager um Zipi Livni am Sonntag, die
Außenministerin, Vorsitzende der Regierungspartei Kadima, werde es doch noch schaffen, ein
neues Kabinett auf die Beine zu stellen. Doch dann kam der Schock: Die Verhandlungen mit der
linksliberalen Meretz/Jachad-Partei scheiterten – nur Stunden vor dem Ablauf der 42 Tage, die in
Israel nach dem Rücktritt eines Premierministers für die Neubildung einer Regierung zur Verfügung
stehen.
Und so wird Israel erneut wählen, drei Jahre nachdem es Ehud Olmert an der Spitze von Kadima
zum Premierminister gebracht hatte. Es waren drei Jahre, geprägt von vielen ungehaltenen
Versprechen und einer Vielzahl von Korruptionsskandalen. Sie waren es auch, die Olmert am Ende
zum Rücktritt zwangen: Ihm droht eine Anklage.
Die Reaktionen auf die Aussicht baldiger Neuwahlen sind indes gemischt: Bei Kadima und der
mitregierenden Arbeitspartei herrscht Entsetzen, denn in beiden Parteien hatte man darauf gehofft,
durch die Regierungsneubildung Zeit zu gewinnen, um den angeschlagenen Ruf aufzubessern. Im
rechten Lager brach derweil Jubel aus. Die Neuwahl sei das einzig Wahre, freute sich Benjamin
Netanjahu, Vorsitzender des rechtskonservativen Likud-Blocks.
Dennoch: Ob die Rechte aus den Neuwahlen wirklich siegreich hervorgehen wird, ist völlig offen.
Zwar bescheinigen die Umfragen ihr gute Chancen auf eine Regierungsübernahme, aber in Israel
sind solche Wählerbefragungen sehr unzuverlässig, weil vor allem junge Wähler keine
Festnetzanschlüsse mehr besitzen und damit für die Befrager der Umfrage-Institute nicht erfassbar
sind. Die rufen nämlich grundsätzlich nur auf dem Festnetz an. Es sind aber gerade diese Wähler,
bei denen sich in den vergangenen Monaten ein Linksruck bemerkbar gemacht hatte und die
deshalb für eine große Überraschung an den Wahlurnen sorgen könnten.
Es gilt als relativ wahrscheinlich, dass die Kadima und die Rentnerpartei Gil zu den großen
Verlierern gehören werden. Auf der anderen Seite rechnet sich Meretz gute Chancen aus, einen Teil
dieser Stimmen aufzufangen. Aber auch Likud und die Arbeitspartei könnten profitieren: Kadima ist
ein Sammelbecken ehemaliger Abgeordneter von Arbeitspartei und Likud; es bestehen gute
Chancen, dass einige Sitze auch wieder an sie zurückgehen.
Wie immer es auch ausgeht: Die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern und mit Syrien
dürften auf absehbare Zeit ins Stocken geraten. Jedenfalls hegen die beiden Verhandlungspartner
diese Befürchtungen. Beide machen keinen Hehl daraus, dass sie Livni an der Spitze der
israelischen Regierung bevorzugt hätten, gilt sie doch als eine Frau, »mit der man reden kann« (ein
Mitarbeiter des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas).
Allerdings gab es am Sonntag noch ein Szenario, die Neuwahlen hinauszuzögern: Sollte ein
Knesset-Abgeordneter von Staatspräsident Schimon Peres fordern, ihn mit der
Regierungsneubildung zu beauftragen, müsste das Staatsoberhaupt dem stattgeben und dafür
erneut bis zu 42 Tage Frist einräumen. Knesset-Präsidentin Dalia Itzik (Kadima) wollte sich
Medienberichten zufolge darum bemühen, doch noch eine Mehrheit zusammenzubekommen.
* Aus: Neues Deutschland, 27. Oktober 2008
Livni scheitert bei Regierungsbildung
Die Vorsitzende der Kadima-Partei, Israels Außenministerin Tzipi Livni, hat Präsident Shimon Peres am Sonntagabend (26. Okt.) mitgeteilt, dass es ihr nicht gelungen ist, eine Regierung zu bilden.
„Kurz nach den Feiertagen wurde klar, dass der Prozess in seinem Kern nicht mehr Zeit bedurft hat. Und wenn man weiß, dass Zeit nicht zum Erzielen einer Entscheidung beitragen wird, wird lediglich die Unsicherheit perpetuiert, und daher bin ich zu dieser Entscheidung gelangt. Es gibt Zeiten, wenn etwas getan werden muss. Aus all den Jahren Ihrer Erfahrung kennen Sie den Moment, an dem es notwendig ist, das Richtige zu tun“, so Livni.
Peres antwortete der Ministerin: „Ich möchte Ihnen von Herzen für die sehr ernsthaften und ehrlichen Bemühungen danken, die Sie bei Ihrem Versuch der Regierungsbildung unter Bedingungen unternommen haben, die nicht einfach gewesen sind – weder extern noch intern.“
Der Präsident gab bekannt, dass er im Anschluss an Livnis Mitteilung vorhabe, „ die verschiedenen Delegationen einzuladen, ihnen die ihm übermittelte Information zu übermitteln und ihre Meinungen zu hören“. Gemäß dem Gesetz, so Peres, „muss ich meinen Entschluss innerhalb von drei Tagen der Knesset-Vorsitzenden mitteilen.“
(Außenministerium des Staates Israel, 26.10.08)
Schas-Partei lässt Livni abblitzen
Regierungsbildung in Israel unsicher, Neuwahlen werden wahrscheinlicher
Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv **
Nach wie vor ist unklar, ob Israel ohne Wahlen eine neue Regierung bekommen wird. Die
ultrareligiöse Schas-Partei erteilte gestern der mit der Regierungsbildung beauftragten Zipi Livni eine
Absage.
Ihr Haar ist ein Hauch zerzauster als sonst; ihre Augen wirken müde. So sendet Zipi Livni, Israels
Außenministerin und Vorsitzende der Kadima-Partei, unbewusst ihr Signal aus, als sie am
Donnerstagnachmittag vor die Presse tritt: Es gibt keine Fortschritte. »Ich werde auch ohne Schas
eine Regierung bilden«, sagt sie. Nur wie sie es bewerkstelligen will, ein funktionstüchtiges Kabinett
zusammenzustellen, das verrät sie nicht. »Es wird schon werden«, sagt einer ihrer Mitarbeiter später
am Telefon – eine Durchhalteparole, mit der man sich selbst Mut macht.
Dabei werden Neuwahlen immer wahrscheinlicher: Die ultra-orthodoxe Schas-Partei lehnte am
Freitag eine neue Koalitionsregierung mit der Kadima-Partei unter Zipi Livni ab. Unter den
derzeitigen Bedingungen sei ein Bündnis nicht möglich, erklärte die Partei, die unter dem
scheidenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert noch mit der Kadima zusammenarbeitet.
Die Absage wirft viele Fragen auf: Bekommt Israel ohne Neuwahlen eine neue Regierung? Wird
Kadima, eine weniger als drei Jahre alte Partei ohne wirkliche Basis, weiter existieren? Wird Zipi
Livni, die im September Premierminister Ehud Olmert an der Parteispitze ablöste, Premierministerin
werden? Und über alledem steht die Zukunft des Friedensprozesses mit Syrien und den
Palästinensern in Frage. Zwar gibt es einen Deal mit der Arbeitspartei, der Verteidigungsminister
Ehud Barak faktisch in den Status eines zweiten Premierministers erhebt, und auch die
Rentnerpartei Gil ist bereit mitzumachen. Aber damit hat Livni erst 55 der 120 Abgeordneten auf
ihrer Seite. Sie braucht entweder eine rechte, religiöse oder die arabischen Parteien als
Verstärkung. Im Moment versucht sie es mit den religiösen Parteien.
»Es ist ein ständiges Zittern«, gesteht ihr Mitarbeiter, »wir können uns einfach keine Neuwahlen
leisten« – denn da würde allen Umfragen zufolge das rechte Spektrum gewinnen und Kadima
verschwände sehr wahrscheinlich von der politischen Karte: Der Partei haftet nach wie vor der Ruch
der Olmertschen Korruptionsaffären an. Livni soll Kadima, so wünschen sich Parteispitze und
Mitglieder, davon befreien, denn die Frau gilt als sauber und, anders als Olmert, durch den Libanon-
Krieg unbelastet.
Das könnte sich ändern: Die Mehrheit der Israelis, Umfragen zufolge bis zu 60 Prozent, will
Ergebnisse in der Friedenspolitik sehen, aber die Chancen dafür stehen schlecht. Schas, jene
Partei, die die Mehrheit sichern könnte, fordert eine Erhöhung des Kindergeldes und das
Versprechen, keiner Teilung Jerusalems zuzustimmen – Forderungen, denen sich auch die anderen
religiösen Parteien und die Rechte angeschlossen haben. Mehr Kindergeld wäre aber nur zahlbar,
wenn Leistungen gestrichen würden, die vor allem den säkularen Israelis zugute kommen, und eine
kategorische Absage an eine Teilung Jerusalems würde jegliches Friedensabkommen unmöglich
machen, mit dem Ergebnis, dass Livni in der Öffentlichkeit an Statur verlieren und ihre Chancen auf
Wiederwahl vergeben würde.
So bastelt das Livni-Lager im Hintergrund an einem Novum in der israelischen Geschichte. Man
denkt darüber nach, die linksliberale Meretz-Partei ins Boot zu holen, womit dann genau 60
Abgeordnete in der Koalition wären. Für die Mehrheit würde die Duldung durch eine arabische Partei
oder durch einige linkskonservative Abgeordnete des Likud-Blocks sorgen. »Das würde es uns
ermöglichen, die kommenden Monate zu überstehen, auf ein Abkommen zum Beispiel mit Syrien
hinzuarbeiten und dann gestärkt in Neuwahlen hineinzugehen«, sagt Livnis Mitarbeiter. Dass seine
Chefin jedoch darauf eingehen wird, kann auch er nicht garantieren: »Im Moment sind das
Überlegungen; sicher ist im Moment gar nichts.«
** Aus: Neues Deutschland, 25. Oktober 2008
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