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Livnis Sieg auf schwankendem Boden

Kadima-Rivale Mofas wird wohl das Ergebnis der Parteiabstimmung in Israel anfechten

Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem *

Mit nur 431 Stimmen Vorsprung bei insgesamt 32 872 abgegebenen Stimmen von Mitgliedern der israelischen Kadima-Partei hat Außenministerin Zipi Livni gesiegt. Der bei der Vorsitzenden-Wahl unterliegende Transportminister Schaul Mofas hat Livni zwar am Donnerstagmorgen angerufen und ihr gratuliert. Aber seine Mitarbeiter kündigten bereits einen Rechtsstreit an. Sie wollen das Wahlergebnis anfechten.

Am Wahlabend herrschte Chaos. Kurz vor 22 Uhr, dem ursprünglichen Termin für die Schließung der Wahllokale, klagten Mofas-Leute bei der obersten Wahlkommission über »großes Gedränge« in einigen Wahllokalen. Bis zum frühen Abend lag die Wahlbeteiligung nur bei knapp 30 Prozent. Das kam angeblich eher Mofas zugute. Doch dann wachten die eingetragenen Parteimitglieder plötzlich auf und drängten zu den Urnen. Gleichwohl forderte Mofas, die Öffnungszeiten nicht zu verlängern. Aber Livni stellte dann doch den Antrag, den Spätwählern eine Chance zu geben, bis 23 Uhr ihre demokratische Pflicht erledigen zu können. Die Wahlkommission einigte sich auf einen Kompromiss und genehmigte eine Verlängerung um 30 Minuten, bis 22.30 Uhr.

Daran fühlten sich aber die israelischen Fernsehsender nicht mehr gebunden. Etwa 15 Minuten vor Schließung der Wahllokale veröffentlichten die drei TV-Kanäle ihre jeweiligen Hochrechnungen. Deren Zahlen lagen nur leicht auseinander. Aber alle waren sie sich einig, dass Livni mit einem großen Vorsprung von etwa 10 Prozent vor Mofas gesiegt habe.

Nach Auszählung der Stimmen im Laufe der Nacht reduzierte sich der vermeintliche Erdrutschsieg auf nur noch 431 Stimmen, also etwas über ein Prozent. Das entspricht den Ergebnissen eines einzigen Wahllokals.

Am Mittwochnachmittag (17. Sept.) brachen bei einem Wahllokal der Beduinen in Rahat in der Negev-Wüste Tumulte aus. Feuer wurde gelegt und die Polizei schloss das Lokal. Anhänger von Livni stehen im Verdacht, die Provokation angezettelt zu haben. Es ist also nicht auszuschließen, dass dieser Zwischenfall oder andere »Unregelmäßigkeiten« der Außenministerin den Wahlsieg beschert haben. Auch die Tatsache, dass die Hochrechnungen schon veröffentlicht wurden, ehe die Wahllokale geschlossen waren, gilt als Verstoß gegen die üblichen Regeln.

»Wir sind mit einem riesigen Wahlsieg der Zipi schlafen gegangen und mit einem winzigen Vorsprung aufgewacht«, fasste die Kommentatorin Keren Neubach den faden Geschmack nach dem völligen Scheitern der Umfrageinstitute zusammen.

Dennoch habe sich Mofas für den Rechtsweg und eine Anfechtung des Wahlergebnisses noch nicht entschlossen. Mit seinem Anruf bei Livni am frühen Morgen und seinem Glückwunsch zu ihrem Wahlsieg unternahm er einen politischen Schritt. So gab Mofas auch das Zeichen für den bevorstehenden Machtkampf in Israel. Denn Zipi Livni müsste nach dem angekündigten Rücktritt von Ministerpräsident Ehud Olmert eine neue Regierungskoalition basteln. Fühler sind da schon in alle Richtungen ausgestreckt. Wie Mofas hatte Livni schon während des Wahlkampfes ein Bündnis mit der »alten Heimat« Kadimas, dem rechtskonservativen Likud-Block unter Benjamin Netanjahu, nicht ausgeschlossen. Auch in der ultralinken Meretz-Partei wird darüber nachgedacht, sich einer Koalition mit Livni anzuschließen. Das könnte indes die Arbeitspartei unter Ehud Barak vergraulen. Entsprechend wird schon um die personelle Besetzung der wichtigsten Posten in der künftigen Regierung gerangelt.

Mofas gebührt angesichts des knappen Wahlergebnisses hoher Lohn. Verteidigungsminister Barak ist im Augenblick der mächtigste Koalitionspartner und wird nicht bereit sein, seinen Posten zugunsten von Mofas aufzugeben. Also dürfte Mofas der Posten des Außenministers angeboten werden, der mit dem Wechsel Livnis auf den Sessel des Ministerpräsidenten vakant würde.

Das eigentliche politische Erdbeben in Israel steht also noch bevor, während der wegen Korruptionsverdachts ins Abseits gedrängte Ehud Olmert als Übergangspremier möglicherweise noch viele Monate im Amt bleiben wird. Denn niemand weiß, ob Livnis Koalitionsbemühungen von Erfolg gekrönt werden. Sollte sie scheitern, müssten nach 90 Tagen Neuwahlen ausgeschrieben werden.

Olmerts versprochener Rücktritt würde erst in Kraft treten, sobald ein anderer Politiker es geschafft hat, als Premier vor dem Parlament vereidigt zu werden. Bis dahin wird Olmert weiter über Krieg und Frieden entscheiden und auch mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas die Verhandlungen weiterführen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. September 2008


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