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"Israels Linke hat ihr Selbstverständnis verloren"

Ein ehemaliger Wissenschaftsminister rechnet mit der Arbeitspartei ab. Ein Gespräch mit Ophir Pines-Paz

Ophir Pines-Paz war von 1996 bis 2010 Abgeordneter im israelischen Parlament und von 2001 bis 2003 Generalsekretär der Arbeitspartei. 2005/2006 gehörte er als Innen- bzw. als Wissenschaftsminister dem Kabinett an.



Anfang des Jahres sind Sie, nach jahrzehntelanger Tätigkeit, aus der Israelischen Arbeitspartei (Avoda) ausgetreten. Warum?

Das war eine schwierige Entscheidung, über die ich aber lange nachgedacht hatte. Ich fühle mich einfach nicht mehr als Teil einer Linken, die im Laufe der letzten 15 Jahre ihr Selbstverständnis verloren und sich von ihren ursprünglichen Werten verabschiedet hat, um der Rechten hinterherzulaufen.

Welche Rolle hat die vom Parteivorsitzenden und Verteidigungsminister Ehud Barak durchgesetzte Beteiligung an der Regierung von Likud-Chef Benjamin Netanjahu gespielt?

Sagen wir es so: Das war der klassische Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Nach dem Einbruch bei den Knessetwahlen im Februar 2009, bei denen die Avoda nur noch 9,9 Prozent bekam und hinter der rechtsextremen Yisrael Beiteinu auf den vierten Platz abrutschte, hätte eine ernsthafte Analyse dieser Niederlage stattfinden müssen. Statt dessen wurde schnellstmöglich die nächste Regierungsbeteiligung unter Dach und Fach gebracht.

Welches Ziel verfolgt Netanjahu?

Die Aufrechterhaltung des Status quo. Sozusagen aktive Unbeweglichkeit als Strategie. Alles andere steht zum Verkauf.

Und die Linke?

Sie hat ihre Identität eingebüßt und sich einem übertriebenen Nationalismus untergeordnet. Soziale Gerechtigkeit, die Ablehnung jeder messianischen Vorstellung vom israelischen Volk, Frieden auf Grundlage des Prinzips »Zwei Völker – zwei Staaten« sowie die Anerkennung des Rechts auf Sicherheit für Israel können nicht auf Gewaltanwendung und Unterdrückung eines anderen Volkes beruhen. Die Linke hat darauf verzichtet, Zukunftsvorstellungen zu entwickeln, sie ist zur Gefangenen einer ewigen Gegenwart geworden. So hat sie aufgehört, Bezugspunkt für die junge Generation zu sein. Diese Linke ruft keine Begeisterung mehr hervor. Sie erhitzt weder die Gemüter, noch regt sie das Denken an.

In Ihrer ehemaligen Partei beschuldigt man Sie, eine Rebellion anzuzetteln. Stimmt das?

Wenn das Nachdenken über die eigene Situation Rebellion bedeutet, dann bin ich stolz darauf, ein Rebell zu sein.

Arbeitsparteichef Ehud Barak hat den Eintritt in die Regierung mit der Notwendigkeit begründet, einen Ausgleich zu den rechten Parteien von Netanjahu und Lieberman zu bilden. Liegt er damit richtig?

Eine Demokratie trägt ihren Namen zu Recht, wenn sie dafür sorgt, daß die Bürger Programme oder alternative Werte frei wählen können. Aber mit einer aggressiven, ultranationalistischen Rechten zu regieren, die eine Auffassung vom Judentum vertritt, die in Rassismus mündet, ist für die Linke politischer Selbstmord. Zumindest für mich ist das eine inakzeptable, widernatürliche Ehe.

Apropos Avigdor Lieberman. Der Historiker und Friedensaktivist Zeev Sternhell behauptet, der Führer der Vaterlandspartei Yisrael Beiteinu und aktuelle Außenminister sei »der gefährlichste Politiker in der Geschichte Israels«. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich weiß nicht, ob er der gefährlichste ist. Mit Sicherheit sind aber seine Ideologie und seine Politik einer auch nur vage fortschrittlichen und demokratischen Politik diametral entgegengesetzt. Was an Lieberman beunruhigt, ist die Mischung aus Autoritarismus, Nationalismus und der Mentalität eines Diktators, die seine Politik durchdringt. Als der ehemalige Ministerpräsident Ehud Olmert 2006 beschloß, ihn in die Regierung aufzunehmen, bin ich von meinem Amt als Wissenschaftsminister zurückgetreten. Es ging nicht anders.

Barak ist diesem Schritt nicht gefolgt und heute Regierungspartner von »Avigdor, dem Falken« …

Einse solche Politik kann nur zum Scheitern verurteilt sein. Sie ist eine Niederlage nicht nur für die Linke, sondern für ganz Israel.

Übersetzung dieses zuerst in der italienischen Tageszeitung l’Unita erschienenen Interviews: Andreas Schuchardt

Interview: Umberto De Giovannangeli

* Aus: junge Welt, 22. Februar 2010


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