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Wunsch nach Frieden wird stärker

In Tel Aviv demonstrieren Zigtausende - Wende in Sicht?

"Israels Bürger fordern Frieden", titelt die Frankfurter Rundschau am 13. Mai 2002 und berichtet von der größten Demonstration der israelischen Friedensbewegung, die seit Beginn der Intifada stattgefunden hat. 60.000 sollen es laut FR gewesen sein, die am 11. Mai auf die Straße gingen; andere Bericht sprachen von noch mehr Demonstranten (Hans Lebrecht nennt in seinem Beitrag die Zahl der Organisatoren: Danach waren es 100.000). Der Platz, wo 1995 der damalige israelische Regierungschef Yitzhak Rabin von einem rechtsradikalen Israeli ermordet worden war, war jedenfalls ganz gefüllt. Die Massen forderten den Rückzug des Militärs aus den Palästinensergebieten.

Möglich, dass es einen Zusammenhang zwischen diesem unerwarteten Erfolg der Friedensbewegung und dem Aufschub einer israelischen Militäraktion gibt. Das israelische Kabinett verschob jedenfalls seine als Vergeltung für den jüngsten Selbstmordanschlag geplante Offensive im Gaza-Streifen. Zunächst einberufene Reservesoldaten kehrten nach Zeitungsmeldungen am Sonntag nach Hause zurück. Die an der Grenze zum Gaza-Streifen zusammengezogenen israelischen Truppen blieben allerdings weiter in Alarmbereitschaft. Verteidigungsminister Benjamin Ben Elieser sagte CNN, Israel sei bereit abzuwarten, werde aber nicht zögern, auf neue Anschläge zu reagieren. Andere Berichte mutmaßten, dass der Aufschub der Offensive auf Bedenken des Generalstabs beruht, der zu hohe Verluste befürchtet habe. Das israelische Kabinett hatte zunächst grundsätzlich eine Offensive nach dem Selbstmordanschlag in Rischon Letzion gebilligt, bei dem am 7. Mai 15 Israelis sowie der Attentäter getötet worden waren. Zu der Tat hatte sich sich die militante Hamas bekannt.



100.000 in Tel Aviv - Rally für einen Frieden ohne Okkupation und Kolonistensiedlungen

Von Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren

"Es war die größte Friedenskundgebung seit jener vor sieben Jahren, als Ministerpräsident Jitzhak Rabin auf diesem, seinen Namen tragenden Platz ermordet wurde" - erklärte Gali Golan, die Sprecherin der Schalom-Achschav (Frieden-Jetzt) Bewegung, welche im Zentrum der, die am Sonnabend Abend auf dem Rabinplatz in Tel-Aviv stattgefundenen Massenkundgebung stand. Sie schätzte die Teilnehmerschar auf mindestens 100.000, während der Polizeisprecher von "mehr als 60.000" sprach. Diese Massenbasis wurde durch die Teilnahme der Friedenskoalition, in welcher nahezu alle in Israel wirkenden Friedensbewegungen verteten sind, ermöglicht. Die Kundgebung stand unter dem Hauptmotto: "Schluss mit der Okkupation - sie tötet uns Alle!" und "Scharon zerrt uns in eine Katastrophe!".

Die unzähligen Transparente und Posters auf dem vollbepacktem Rabinplatz hochgehalten, verrieten, dass außer der Frieden-Jetzt auch der Gusch-Schalom Friedensblock, die von der KP Israel getragene demokratische Chadasch Front, sowie die Organisationen der den Dienst in den besetzten Gebieten verweigernden Offizieren und Reservisten, die Frauenkoalition für Frieden und andere stark vertreten waren. Allerdings waren die zum Rednerpult von der Frieden-Jetzt, außer einigen volkstümlichen Liedermachern und Artisten, zugelassenen sieben Redner, ausschließlich Politiker und, wie mir ein führendes Mitglied des kommunistischen Forums zuflüsterte, "zionistische Friedensaktivisten mit beschränkter Haftung". Das Rednerpult blieb demnach tabu für Kommunisten, Araber (mit Außnahme eines Feigenblattes in der Gestalt des der zionistschen Meretzpartei angehörenden Scharqi Ghatti) und andere konsequente Friedenskoalitionspartner, deren Anhänger den Platz füllten.

"Mit dieser Kundgebung sollte es (Regierungschef) Ariel Scharon und seinem Kriegsgeneralstabschef Mofas klar sein, dass es keinen Konsensus mehr für ihre Kriegsabenteuer und der Unterdrückung des Palästinenservolkes mehr gibt", erklärte der parlamentarische Oppositionsführer und Vorsitzende der Meretz Partei Yossi Sarid. "Diese Kundgebung tut sowohl Scharon, als auch der arabischen Welt und der internationalen Arena kund, dass es in Israel ein starkes und stärker werdendes Friedenlager gibt". Er erhob auch die Forderung, (zwar nicht alle, aber) "die dem Frieden im Wege stehenden Siedlungen" zu räumen. Der Knessetabgeordnete und Mitglied des so genannten Taubenflügels der mitregierenden Arbeitspartei, Yossi Beilin, erklärte, USA Präsident Bush nannte Scharon zwar einen Mann des Friedens, aber dieer Mann des Friedens scheue sich vor Frieden wie vor des Teufels Großmutter. Er scheut sich vor realen Friedensgesprächen, weil er nicht gewillt ist Friedensbedingungen zu akzeptieren und weil er nichts Konkretes zu sagen habe. Scharon führe die (israelische) Nation und womöglich die ganze Region in eine Katastrophe.

Da die gerade aufgedeckte jüdisch ultra-fundamentalistische Untergrundbande "Gilat Schalhevet" (Frohlockende Flamme) aus der Siedlerszene gedroht hatte, auf der Kundgebung auftretende Persönlichkeiten "das Los des Landesverräters Rabin" teilen zu müssen, war die Kundgebung von 1.500 Polizisten geschützt. Eine besondere Warnung dieser Bande erging an die Adresse der schon seit dem Unabhängigkeitskrieg vor 54 Jahren immer noch populären Sängerin Jaffa Jarkoni. Sie hatte vor Kurzem öffentlich ihre Abscheu vor den, im Rahmen der so genanten "Schutzwall Operation" verübten Kriegsgreueln, sowie ihre Soldidarität mit den, den Dienst in den besetzten Gebieten verweigernden Reservisten kundgetan und wird deshalb von der gesamten Rechtsszene angegriffen und ihre Konzerte boykottiert. Sie ließ sich aber nicht einschüchtern und trat mit einigen Friedensliedern vor das Mikrofon der Kundgebung.

Dasselbe galt für den, auch in Deutschland und weltweit bekannten Schriftsteller Amos Oz, den Liedermacher Aviv Gefen und dem populären Komiker Dudu Topas.

Noch vor dieser Massenkundgebung erschienen etwa 150 Aktivisten der jüdisch-arabischen Ta'ajush (Koexistenz) Gruppe am Kissufim Grenzposten zum Gazastreifen und forderten die dort stationierten Reservisten auf, ihren Dienst aufzusagen und nach Hause zurück zu kehren. Gleichzeitig übergaben sie einer aus der Richtung Gaza erschienenen Delegation die Ladung von drei LKWs von Hilfsgütern, vor allem Kindernahrung, Babywäsche und Medikamente.

Kibbutz Beit-Oren, 12. Mai 2002


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