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Scharons Hexenjagd auf Arafat stärkt den Gejagten

Was will Scharon in Washington? Was will Washington?

Von Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren

Israels Premier Scharon reist nach Washington DC mit dem erklärten Ziel, die Bush-Powell Mannschaft von der Terrorhäuptlingsrolle des Palästinenser "Chairman" Arafat zu überzeugen. In seiner geschwollenen Reisetasche bringt Scharon eine ganze Menge von Dokumenten mit, die diese Hexenjagd auf Arafat als berechtigt hinstellen sollen.

Selbst angenommen, alle diese Dokumente, seien sie nun echt oder in der Küche der Schin-Beth-Geheimdienste gefälscht oder bei den berüchtigten, nach israelischem Gesetz gestatteten Folter-Verhören herausgepresst, beweisen wirklich Arafats "Schuld" an dem, was Israels Herrscher und die Bushmänner als "Terror" bezeichnen: Die Palästinenser, eine ganze Reihe israelischer Friedenskräfte und viele Menschen auf der ganzen Welt, die USA eingeschlossen, sehen das ganz anders. Sie sehen im palästinensischen Widerstand einen dem Völkerrecht entsprechenden legitimen Kampf gegen eine brutale militärische Terrorbesatzung ihrer Heimat. Allerdings, je mehr Scharon und sein Generalstabschef Mofas den Palästinenserpräsidenten unter Druck setzen, steigt dessen Prestige unter seinen Landsleuten und den mit ihnen solidarisch verbundenen Friedenskräften auf der internationalen Ebene.

Ob es den Bushmännern im Weißen Haus und dem Arafat-Hexenjäger Scharon gefällt oder nicht, Arafat wird von der weitaus größten Mehrheit seines Volkes als der Führer der palästinensischen Befreiungsbewegung betrachtet. Man erinnert sich an den historischen Tag am 1. Juli 1994, als Arafat erstmals seit vielen Jahren der Verbannung in Gaza palästinensischen Boden betrat und von Hunderttausenden jubelnd begrüßt wurde. Auch diesem Ereignis ging das Massaker in der Ibrahim Moschee und in den Straßen von Hebron im März desselben Jahres voraus.

Arafat war im Laufe der seither vergangenen Jahre oftmals einer wohl nicht ganz unbegründeten und oftmals sogar scharfen und mit Gewalt ausgetragenen Kritik wegen seines nicht gerade demokratischen Regierungsstils und der Anklage auf Korruption in den Reihen seiner Mannschaft ausgesetzt. Die Widerstandskräfte waren gespalten. Scharon hat es mit seinem kolonialistischen Gewaltterror der vergangenen Wochen, mit dem Hausarrest für Arafat und dessen persönliche Gefährdung durch den israelischen Belagerungsring geschafft, dass dieser sein Prestige als die wichtigste Autorität im palästinensischen Befreiungskampf wiedergewinnen konnte. Wenn eine Reform der palästinensischen Autonomiebehörde notwendig ist, so muss dies eine ausschließlish interne Angelegenheit des Palästinenservolkes sein und auf keinen Fall eine von Bush oder Scharon aufgezwungene, wie diese sich dies anmaßen.

Scharon sah sich, nicht zuletzt auf Druck der internationalen Völkergemeinschaft, darunter des Weißen Hauses, der EU und Russlands sowie einer anwachsenden Opposition in Israel selbst, gezwungen, die Isolierung von Arafat aufzuheben. Nun fährt Scharon nach Washington, um diese Schlappe durch seine mitgebrachten echten oder gefälschten Dokumente auszubügeln. Er versucht, Arafat auf den Scheiterhaufen des von Bush unter dem Namen einer "Kampagne gegen den internationalen Terror" im Interesse der amerikanischen Ölmonopole und der Globalisierung in Zentralasien geführten und gegen den Irak geplanten Krieges zu zerren.

Ich will nur auf einen Fall von Manipulation in der von Scharon mitgebrachten Dokumentation hinweisen: Mit großer Aufmachung wurde dieser Tage von israelischen Armeesprechern eine Video-Luftaufnahme von einem palästinensischen Begräbniszug der Öffentlichkeit vorgeführt. Darin ist zu sehen, wie der Sarg aus den Händen der Träger fällt und der angebliche Leichnam gesund und munter aufsteht. Für die israelischen Propagandamedien sollte damit der Beweis erbracht werden, dass das ganze Gerede von Massakern und/oder Kriegsverbrechen unbegründet sei. Dass es sich bei diesem, von einem israelischen Spionageflugzeug gefilmten "Begräbnis" in Wirklichkeit um eine Szene gehandelt hat, die für einen Film aufgenommen wurde, geht aus einer Presseerklärung der palästinensischen Menschenrechtsorganisation LAWE hervor, welche die israelische Anschuldigung untersucht hatte.

Ob Scharons Hexenjagd in Washington und bei der weltweiten öffentlichen Meinung einschlagen wird oder nicht: Der "Hexer" ist und bleibt vorerst der 1995 demokratisch gewählte Rais, der Präsident des Palästinenservolkes. Für jeden vernünftigen Menschen, dessen Sinn auf Frieden steht, ist und bleibt Arafat vorerst der erstrangige und relevante Partner für den Friedensprozess.

Kibbutz Beit-Oren, 5. Mai 2002


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