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Quo vadis, Israel?

Ein Interview mit Felicia Langer*

* Felicia Langer wurde in Tarnow (Polen) geboren. Mit ihrem Mann, der wie ein Wunder fünf Jahre KZ überlebt hatte, wanderte sie im Jahr 1950 nach Israel aus, wo sie in Tel Aviv Jura studierte.
Nach ihrer Zulassung setzte sie sich für sozial Schwache der israelischen Gesellschaft ein, nach dem Juni-Krieg 1967 verteidigte sie vornehmlich palästinensische Häftlinge, um sie vor gravierenden Ungerechtigkeiten durch israelische Militärgerichte zu schützen. Im dritten Jahr der Intifada schloss Felicia Langer aus Protest ihre Anwaltspraxis und siedelte 1990 in die Bundesrepublik (Tübingen).
Im selben Jahr erhielt sie den angesehenen Alternativen Nobelpreis. Die Jury befand, "Israels bekannteste Rechtsanwältin" habe unter sehr schwierigen Umständen "in ihrem Kampf um grundlegende Menschenrechte" sehr viel Mut bewiesen. Vor kurzem wurde Felicia Langer von einer bekannten israelischen Frauenzeitschrift als "Eine-Frau-Menschenrechtsorganisation" gewürdigt und unter die 50 wichtigsten Frauen des Landes eingereiht.

Eine Auswahl ihrer Bücher (seit 1990):
  • Zorn und Hoffnung, Autobiographie
  • Brücke der Träume - Eine Israelin geht nach Deutschland
  • "Lasst uns wie Menschen leben" - Schein und Wirklichkeit in Palästina
  • Wo Hass keine Grenzen kennt - Eine Anklageschrift
  • Miecius später Bericht. Eine Jugend zwischen Ghetto und Theresienstadt
  • Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser (erscheint im Oktober 2001)
(Alle Titel sind im deutschen Lamuv-Verlag erschienen)


Frage: Du bist während der ersten Intifada (1987 bis 1993) in die Bundesrepublik übergesiedelt. Geschah dies aus Resignation? Hattest du dem "Aufstand der Steine" keine Erfolgschancen eingeräumt?

Felicia Langer: Nein, das war keine Resignation. Ich kämpfte weiter und ich wusste, dass ich weiter kämpfen würde. Ich bin nur zu dem Schluss gekommen, dass ich im Rahmen des Rechtssystems, das während der Intifada zur Farce geworden ist, für die Palästinenser nichts mehr bewirken kann. Und deshalb wollte ich auch nicht als Alibi, als Feigenblatt des Systems dienen. Also habe ich mein Büro geschlossen und einen Lehrauftrag an der Universität Bremen, später auch an der Kasseler Universität angenommen. Ich glaubte, ich würde weiter kämpfen können, nur mein Platz an der "Front" hat sich geändert, nicht der Kampf. Mit der Intifada hatte diese Entscheidung nichts zu tun. Ich habe an die Intifada geglaubt und glaube weiter an sie.

Frage: Wenn du die Al-Aksa-Intifada, die seit acht Monaten andauert, mit der Intifada von damals vergleichst: Wo liegen die Gemeinsamkeiten und worin unterscheiden sie sich?

Felicia Langer: Die Gemeinsamkeit liegt darin, dass es beide Male gegen die israelische Besatzung geht, gegen die Fremdherrschaft, die Unterdrückung der Palästinenser und gegen die Besiedlung ihrer Gebiete. Einen Unterschied sehe ich darin, dass die Beteiligung der Bevölkerung in der ersten Intifada wesentlich größer war. Die erste Intifada war populärer als die jetzige. Das kann man jedenfalls für den Beginn sagen. Es kann sein, dass sich das im Verlauf des Aufstandes noch ändert. Es gibt auch verschiedene Aufrufe, die in diese Richtung deuten. Die heutige Intifada ist auch anders, weil die Palästinenser über mehr Waffen, insbesondere Gewehre und Mörser verfügen. Man kann also nicht mehr sagen, dass das nur eine Intifada "der Steine" ist. Geändert hat sich auch die Gewaltbereitschaft Israels. Auch damals wurde Gewalt ausgeübt, es wurden Menschen, auch Kinder getötet, man hat den Menschen die Knochen gebrochen - das war die Maxime von Rabin. Jetzt ist die Gewaltanwendung viel massiver. Mir scheint, die Bereitschaft, die Palästinenser noch mehr zu demütigen und zur Verzweiflung zu treiben, ist heute viel stärker als damals. Diese Intifada hat ja ihre Ursache in einer tiefen Enttäuschung, im Frust, in Bitterkeit über die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen und über die fortdauernde völkerrechtswidrige Besiedlung. Man vergegenwärtige sich nur einmal, dass es 1991 noch 92.000 Siedler gab, heute sind es etwa 200.000 Siedler, und zwar ohne Ost-Jerusalem, wo auch noch einmal ca. 180.000 Siedler sind. Die Palästinenser haben erlebt, dass man sie betrogen hat, dass sich die Situation für sie nicht geändert, eher verschlimmert hat.

Frage: Warum ist aber dann die Zustimmung aus der Bevölkerung jetzt geringer als während der ersten Intifada?

Felicia Langer: Ich habe nicht gesagt, dass die Zustimmung heute geringer ist. Die Zustimmung ist kolossal. Mir geht es um die Beteiligung. Die aktive Teilnahme am Aufstand ist anders. Der israelische Verteidigungsminister Ben Elieser hat sinngemäß gesagt: "Wir werden sehen, wer in dem Kampf zuerst müde wird. Wir werden es nicht sein." Und die Palästinenser haben geantwortet: "Wir auch nicht." Es gibt Umfragen, die belegen, dass die Unterstützung für die Intifada gewachsen ist. Im Dezember 2000 haben 70 Prozent der Palästinenser die Intifada unterstützt und wollten, dass sie fortgesetzt wird. Im April stieg die Unterstützung auf 80,2 Prozent. Noch etwas ist wichtig. Diesmal gibt es eine Autonomiebehörde, die dem Aufstand eine andere Struktur, ein anderes Gesicht gibt. Die erste Intifada wurde nur vom Volk und den Volkskomitees getragen. Der Aufstand kam von unten und war demokratischer als heute. Ich habe aber den Eindruck, dass die heutige Intifada im Begriff ist, sich zu einem Volksaufstand zu entwickeln.

Frage: Die Medien hier zu Lande vermitteln mitunter den Eindruck, als hätten die Palästinenser selbst ein gerüttelt Maß Schuld an der jetzigen Situation. Zum Beispiel wird behauptet, Arafat hätte das weitgehende Angebot Baraks beim Gipfel von Camp David ausgeschlagen.

Felicia Langer: Dass Barak kompromissbereit war und Zugeständnisse gemacht hat, ist reine Legende. Baraks Vorschläge konnten die Palästinenser keineswegs zufrieden stellen. Erstens: Barak machte keine Zugeständnisse in der Siedlungefrage: 80 Prozent der Siedlungen sollten bleiben, sie sollten von Israel endgültig annektiert werden, das Jordantal wollte man pachten. Zweitens: Die strategischen Straßen, welche die Siedlungen untereinander verbinden, sollten unter israelischer Kontrolle bleiben. Es ist schwer, das in Prozentanteilen auszudrücken. Barak sprach von 90 bis 95 Prozent des Landes, das den Palästinensern überlassen werden sollte, wenn man aber all das zusammenzählt, die Straßen, die Checkpoints, die Grenzstreifen usw., dann müssen sich die Palästinenser real mit höchstens 80 Prozent ihres Territoriums begnügen. Drittens kommt noch die totale Zerstückelung des Landes hinzu. Palästina wäre unter diesen Bedingungen kein lebensfähiger Staat.

Frage: Noch einmal zur Klarstellung: diese Prozentanteile beziehen sich doch nur auf einen Teil des ursprünglichen palästinensischen Gebiets.

Felicia Langer: Selbstverständlich. Das Gebiet, um das es jetzt geht, beträgt nur 22 Prozent des Territoriums, das historisch Palästina ausmachte. Das heißt, die Palästinenser haben bereits eine riesige Vorleistung erbracht. Sie haben zu diesen 22 Prozent Ja gesagt. Aber ich war noch nicht fertig mit den Zumutungen Baraks. Viertens wurde nämlich bei den Verhandlungen in Camp David die Flüchtlingsfrage völlig ausgeklammert und fünftens wurde den Palästinensern die Souveränität in Ost-Jerusalem verweigert. Eigene Verwaltung ja, aber die Oberhoheit sollte bei Israel bleiben. Man sprach von einer "geteilten Souveränität". Aber wie immer, wenn man mit Israel etwas teilt, ist das Ergebnis, dass Israel das Sagen hat - so sind eben die realen Kräfteverhältnisse. All diese Vorschläge Baraks waren für die Palästinenser so unannehmbar, das man ihnen nicht zustimmen konnte. Der Fehler von Arafat war, dass er die angeblichen Zugeständnisse von Barak nicht deutlich und offen genug kritisiert hat. Die Weltöffentlichkeit und die israelische Bevölkerung haben diese Legende von der israelischen Kompromissbereitschaft für bare Münze genommen. Barak ist nach Camp David gefahren, um der Welt zu zeigen, dass er selbst Friedensstifter und dass Arafat der Friedensverweigerer ist. Das ist ihm weitgehend gelungen. Die Folgen waren katastrophal. Barak hat mit dieser Politik die israelische Bevölkerung antipalästinensisch eingestellt und Scharon den Weg in die Regierung bereitet. Und später stellte sich Barak hin und erklärte, dass er den Palästinensern keinen Millimeter Boden zurück gegeben habe. Und das entspricht auch der Wahrheit. "Keinen Millimeter" - das ist Barak, das ist der wahre Barak, der größte Siedlungsbauer seit 1992.

Frage: Nun wird aber auch gesagt, die palästinensischen Gewaltaktionen seit dem 28. September hätten den Hardliner Ariel Sharon an die Macht gebracht. Arafat also ein Steigbügelhalter des rechtskonservativen Blocks in Israel?

Felicia Langer: Man muss sich vielleicht auch einmal vergegenwärtigen, was Gewalt bedeutet. 34 Jahre Besatzung, Besiedlung, Landnahme, Zerstörung von Obstbäumen und Pflanzungen, ungerechte Wasserentnahme, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit: All das ist Gewalt. Wir Israelis herrschen doch dort mit Gewalt. Ich habe es selbst erlebt, 40 Jahre. Ich weiß genau, was Gewalt bedeutet. Scharon hat am 28. September eine kolossale Provokation auf dem Tempelberg begangen - eine vorsätzlicher Provokation, die mit Wissen und Unterstützung Baraks durchgeführt wurde. Das war der Funke, der das Pulverfass entzündete. Hinzu kam die unangemessene Gewaltanwendung als israelische Reaktion auf den Aufstand, der anfänglich übrigens tatsächlich fast nur mit Steinen bestritten wurde. Doch die israelische Gewalt war verheerend. 500 tote Palästinenser nach nur wenigen Monaten! Die Gewaltspirale eskalierte auf beiden Seiten. Aber eines muss man dabei immer bedenken: Wenn man ein Gebiet blockiert und zerstückelt und wenn die Menschen sterben, ist das Gewalt. Wenn man einer Bevölkerung die Freiheit nimmt, ist das Gewalt. Wenn man Land und Boden raubt, ist das Gewalt. Wenn man Bäume entwurzelt, ist das Gewalt. Wenn man Häuser zerstört, ist das Gewalt. Aber diese Gewalt wird bei uns nicht als Gewalt wahrgenommen. Im Fernsehen sieht man Bilder von Steinewerfern, von Attentaten und wie geschossen wird. Das ist doch nicht die ganze Wahrheit. Das ist nur die halbe Wahrheit. Und manchmal ist die halbe Wahrheit gefährlicher als die Lüge.

Frage: Du gehörtest von Anfang an zu den Kritikern des Oslo-Abkommens von 1993, auf das sich seither sämtliche Verhandlungen bezogen haben. In Camp David spielte Oslo noch eine Rolle. In den letzten Monaten spricht niemand mehr vom "Oslo-Friedensprozess". Im Gegenteil, vielfach ist zu hören, "Oslo" sei "tot". Empfindest du Genugtuung darüber?

Felicia Langer: Nein. Wie gern hätte ich mich geirrt! 1993 fühlte ich mich sehr einsam, weil alle von Oslo so begeistert waren. Ich habe damals in einer ARD-Sendung gesagt: "Ich will mich irren." Aber ich wusste, dass ich mich nicht irre. Ich kann keine Genugtuung empfinden, weil das, was jetzt passiert, meine schlimmsten Befürchtungen übertrifft. Für mich ist das alles auch so hautnah: Ich kenne die Menschen, ich kenne die Gebiete, ich weiß, dass die Menschen Frieden wollten und dann einen solchen kolossalen Schlag bekommen haben. Der Oslo-Prozess war nur ein virtueller Frieden. Die Ungleichheit und die unsymmetrischen Machtverhältnisse sind geblieben und Israel hat weiter eine Politik der vollendeten Tatsachen betrieben. Die wichtigsten Fragen wurden ausgeklammert, das Wasserproblem, das Siedlungsproblem, das Problem der Landnahme, die Frage der Souveränität und das Problem Jerusalem. All das wurde vertagt auf spätere, endgültige Verhandlungen, ohne die Umrisse einer Lösung zu definieren. Jetzt allmählich fängt die Weltgemeinschaft an zu verstehen, dass das eine Tragödie ist. Aber jahrelang hat die Weltgemeinschaft zugelassen, das Israel seine Siedlungen immer weiter gebaut hat. Die Welt wusste vielleicht auch nicht, dass so viel gebaut wurde, denn auch in Palästina ist nur wenig darüber gesprochen worden. Es schien fast so, als hätte sich die Autonomiebehörde damit abgefunden und die Siedlungen quasi legitimiert. Jetzt erst , wo die Menschen wegen der Siedlungen sterben, wird auch wieder darüber gesprochen.

Frage: Ohne das symbolisch aufgeladene Jerusalem-Problem zu verniedlichen, scheinen doch die beiden wichtigsten Streitpunkte die Frage der Siedlungen und die Flüchtlingsfrage zu sein. Was die Siedlungen betrifft, so gibt es selbst in Israel nicht wenige Stimmen, die hier für Rückzug plädieren.

Felicia Langer: Das ist richtig. Das Problem ist nur, dass im gegenwärtigen Klima der Gewalt und der Terroranschläge die Mehrheiten und die wahren Stimmungen nicht klar zum Ausdruck gebracht werden. Trotzdem gab es auch jetzt noch eine Umfrage, nach der 62 Prozent der Menschen sich für einen Siedlungsstopp ausgesprochen haben. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass auch Scharon eine breite Unterstützung für seine Politik bekommt.

Frage: In der Flüchtlingsfrage dürfte es für Israelis noch viel schwerer sein, eine dem internationalen Recht entsprechende Haltung einzunehmen und das Rückkehrrecht der vertriebenen und geflohenen Palästinenser zu akzeptieren. Wie kann so ein Problem überhaupt praktisch gelöst werden?

Felicia Langer: Erstens muss man ganz klar die Verantwortung übernehmen für die Flüchtlingsfrage. Wir, Israel, haben sie verursacht, entweder durch Vertreibung oder durch Flucht, und danach haben wir noch die Dörfer zerstört, um die Rückkehr unmöglich zu machen. Das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr ist ein absolutes Recht, ist Menschen- und Völkerrecht. Auf dieses Recht kann niemand verzichten. Wenn das erst einmal von Israel akzeptiert ist, kann man über die praktischen Fragen verhandeln, darüber sprechen, wie man dieses Recht ermöglicht. Die Palästinenser haben ihre Bereitschaft erklärt, in der Frage "Flexibilität" zu beweisen. Was das von Seiten der Palästinenser bedeuten kann, darüber kann man nur spekulieren, weil in den bisherigen Verhandlungen ist nicht über die Flüchtlingsfrage und schon gar nicht über praktische Fragen diskutiert worden. Man kann auch nicht sagen, dass es das Ende des israelischen Staates bedeutet, wenn die Araber nach Israel kommen. Das ist ein rassistischer Standpunkt. Man muss selbstverständlich auch bei der Rückkehr von Flüchtlingen darauf achten, dass es keine neue Tragödie gibt. Menschen, die jahrelang irgendwo wohnen, können nicht einfach entwurzelt werden. Man muss aber über solche Dinge verhandeln, damit man zu praktischen und von allen akzeptierten Lösungen kommt. In Israel wird das Rückkehrrecht der Araber immer mit der Vernichtung des Staates Israel gleichgesetzt. Damit wird bewusst auf die Vernichtung der Juden durch die Nazis angespielt. Als eine Überlebende des Holocaust kann ich dazu nur sagen, dass der Holocaust hier politisch in einer Weise missbraucht wird, dass es einer Beleidigung für die Opfer gleichkommt.

Frage: Würdest Du also Finkelsteins These von der Holocaust-"Industrie" zustimmen?

Felicia Langer: Was Finkelstein über die Verwendung der Gelder durch die jüdischen Organisationen schreibt, dazu kann ich mich nicht äußern, weil mir die eigenen Informationen fehlen. Was aber den Missbrauch des Holocaust zur Rechtfertigung der israelischen Politik betrifft, so habe ich das schon zu einer Zeit gesagt, als Finkelstein noch ein Teenager war. Ich habe es auch geschrieben. Auch mein Mann, der das Konzentrationslager erlebt und überlebt hat, sagt es: Wir, die Israelis, nützen das zynisch aus, um die Palästinenser weiter unterdrücken zu können.

Frage: Das rein militärische Machtgefälle zwischen Israel und Palästinensern ist so eklatant, dass die Palästinenser bei jeder Auseinandersetzung den Kürzeren ziehen müssen. Auf die arabischen Nachbarn scheint auch nicht unbedingt großer Verlass zu sein. Worauf kann man überhaupt noch Hoffnungen setzen? Auf Europa? Auf George Bush?

Felicia Langer: Ich glaube vor allem an das Volk, an das palästinesische Volk. Ich glaube auch an unsere Friedenskräfte, obwohl sie noch sehr schwach sind. Was für mich sehr wichtig ist, sind Solidaritätsstrukturen in der Welt, so wie gegen die Apartheid. Das heißt nicht, dass das genau dasselbe ist. Es herrscht zwar auch Apartheid in Palästina, aber man kann die Situation nicht mit dem früheren Apartheid-System in Südafrika gleichsetzen. Aber so eine Kraft wie die weltweiten Solidaritätsbewegungen gegen die Apartheid, auch z.B. gegen den Vietnam-Krieg, muss auch hier entstehen. Zu Europa: Europa muss aktiver werden und zeigen, dass die Amerikaner nicht alleine sind. Möglich, dass dann die Amerikaner etwas flexibler in ihrer Politik werden. Die Geschichte lehrt doch, dass man ein Volk nicht ewig unter Besatzung halten kann. Die Geschichte lehrt auch, dass man fehlerhafte Entwicklungen korrigieren und rückgängig machen kann. Man muss nur wollen! Ich habe für die nächste Zeit aber wenig Hoffnung, dass sich etwas zum Besseren wendet.

Frage: In Israel gibt es immerhin eine Friedensbewegung, die zwar auch nicht mehr das ist, was sie einmal war, die aber durchaus noch eine Stimme hat und politisch wirksam ist. Auf palästinensischer Seite gibt es wenige gewaltfreie Gruppierungen. Wie kann in solchen Verhältnissen überhaupt eine Kultur der Gewaltlosigkeit, eine Kultur der Versöhnung entstehen?

Felicia Langer: Es gibt auch in Palästina schon Bewegungen, die für Gewaltlosigkeit eintreten. Ich bekomme solche Berichte durch das Internet. Aber du musst verstehen, wie schwer die Gewaltlosigkeit ist. In meinem neuen Buch, das im Herbst erscheint, beschreibe ich z.B. zwei oder drei solcher völlig gewaltlosen Demonstrationen. Nur: Was kommt aus Israel? Ein Verzicht auf Gewalt? Was sind denn die "Gummigeschosse" anderes als Gewalt (so genannte Gummigeschosse, denn in Wirklichkeit enthalten sie einen Metallkern)?. Was ist denn der Einsatz von Gasgranaten - Gasgranaten mit verschiedenen Zutaten, welche die Menschen fertig machen - was ist das anderes als Gewalt? Und was sind die Schrapnellgeschosse anderes als Gewalt? Das heißt, Israel gibt der Gewaltlosigkeit kaum eine Chance. Deshalb stellen sich die Palästinenser auf den Standpunkt: Ob wir gewalttätig sind oder gewaltlos, getötet werden wir so oder so. Und weil das so ist, wollen wir den Feind wenigstens etwas nervös machen. Für mich persönlich ist das eine schwere Sache, weil ich sehr friedlich und harmoniebedürftig bin und immer einen gewaltlosen Weg bevorzuge.

Frage: Gut, aber wenn die Palästinenser einerseits auf Gewalt nicht verzichten, sie andererseits wegen der militärischen Übermacht Israels einen gewaltsamen Konflikt nicht gewinnen können: Wo liegt dann überhaupt eine Lösung?

Felicia Langer: Die einzige Lösung wird sein, dass wir die besetzten Gebiete, dem Völkerrecht entsprechend, räumen. Ohne Druck aber werden wir sie nicht räumen. Das ist ein Teufelskreis, aus dem es gegenwärtig kein Entrinnen zu geben scheint. Also: Die Palästinenser sagen, sie hätten das Recht sich zu wehren und völkerrechtlich ist das auch so. Aber du hast natürlich auch Recht, wenn du sagst, auf dem Weg der Gewalt werden es die Palästinenser nicht schaffen, weil die militärische Übermacht Israels gewaltig ist. Aus diesem Grund kommt der Mobilisierung des Auslands eine so große Bedeutung zu. Während der ganzen Intifada kämpfe ich dafür und plädiere für Solidarität mit den Palästinensern und mit all denjenigen, die sich in Israel für Frieden mit Gerechtigkeit einsetzen. Diese Solidarität ist keine antiisraelische Solidarität. Antiisraelisch ist vielmehr die israelische Politik. Israel ist eine atomare Macht. Unter allen Staaten im Nahen Osten - und nicht nur hier - haben wir die ausgeklügeltsten Waffen. Wir sind einer der größten Waffenlieferanten in der Welt. Das ist das eine. Auf der anderen Seite aber haben die Menschen Angst, ins Einkaufszentrum zu gehen oder im Café zu sitzen. Sie haben auf Schritt und Tritt Angst vor Terroranschlägen. Und das ist etwas, was wir auch begreifen müssen: Es gibt keine Sicherheit, wenn du den Nächsten unterdrückst und wenn du ihm alles nimmst. Er wird dann bereit sein, sich zu töten, um auch dich töten zu können. Diese Situation muss man ändern und wenn Israel sie alleine nicht ändert und ihre Regierungen so schrecklich hartnäckig sind, dann muss man uns von außen helfen. Man muss uns helfen.

Das Gespräch führte Peter Strutynski am 22. Mai 2001 in Kassel. Es erscheint im nächsten Heft der "Marxistischen Blätter" (4/2001, Auslieferung voraussichtlich Ende Juni)

Felicia Langer steht auch als Referentin für Veranstaltungen der Friedensbewegung zur Verfügung. Interessenten melden sich bitte per e-mail beim Bundesausschuss Friedensratschlag.
strutype@hrz.uni-kassel.de (Bundesausschuss Friedensratschlag)

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