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Netanjahus Werbeschrift für Irankrieg?

US-Blogger zitiert aus angeblichem Angriffsplan

Der US-Blogger Richard Silverstein hat Details eines angeblichen israelischen Plans für einen Angriff auf Iran veröffentlicht. Das Papier zeichne das Bild eines Hightech- Krieges, bei dem sich nur wenige israelische Piloten in Gefahr begeben müssten, berichtete die Zeitung »Jediot Achronot« unter Berufung auf Silversteins Blog »Tikun Olam«. Das Papier sei ihm von einem früheren israelischen Minister zugespielt worden, sagte er BBC. Silverstein ist für Berichte über israelische Sicherheitspolitik bekannt. Eine offizielle Stellungnahme gab es zunächst nicht.

Nach diesen Unterlagen solle der Iran-Angriff »mit einem koordinierten Schlag unter Einschluss bisher nie gesehener Cyber-Attacken beginnen«. Der iranischen Führung solle die Fähigkeit genommen werden, zu wissen, was im eigenen Land vor sich geht.

Dann sei die Zerstörung von Atomanlagen und anderer wichtiger Anlagen durch Raketen und die Luftwaffe vorgesehen. Hochrangige iranische Militärs und Geheimdienstleute sollten gezielt getötet werden. Das Papier, das Silverstein als Netanjahus interne »Werbebroschüre« für einen Krieg bezeichnete, enthalte keine Angaben zu iranischen Gegenschlägen und deren Folgen für Israel.

Vor dem Hintergrund eines möglichen Krieges mit Iran hat Israel am Donnerstag einen Test zur Warnung der Bevölkerung vor Raketenangriffen per Handy-Mitteilung abgeschlossen. Nach Armeeangaben sollte die fünftägige Versuchsreihe mit Tests in den Städten Jerusalem, Arad in der Negev- Wüste, Afula und Hadera im Norden sowie Ober-Nazareth im Laufe des Tages beendet werden. Die SMS-Nachrichten in hebräischer, arabischer, englischer und russischer Sprache warnen vor einem Raketenbeschuss durch Iran oder durch die radikalislamische Hisbollah- Miliz im Libanon.

Laut Medienberichten wurde das System zum jetzigen Zeitpunkt eingerichtet, um vor Gegenattacken nach einem möglichen Angriff Israels auf iranische Atomanlagen zu warnen.

500 Akademiker und Militärs im Ruhestand haben unterdessen eine Petition unterzeichnet, in der israelische Luftwaffenpiloten aufgefordert werden, sich nicht an einem einseitigen Angriff gegen Iran zu beteiligen.

Einer am Donnerstag veröffentlichten Meinungsumfrage zufolge lehnen zudem 61 Prozent der jüdischen Israelis einen Angriff gegen Iran ohne Zustimmung der USA ab.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 17. August 2012


"Wie Erdbeben"

Der "Kriegsplan" der israelischen Regierung gegen Iran – ein gefährliches Propagandamachwerk

Von Knut Mellenthin **


Die israelische Regierung rechnet im Fall eines Angriffskrieges gegen Iran mit ungefähr 500 Toten im eigenen Land. Diese Auskunft, mit der sich der Minister für Heimatverteidigung, Matan Vilnai, am Mittwoch aus dem Amt verabschiedete, war als Beruhigungsmittel für die israelische Bevölkerung gedacht: Die geschätzte Zahl, die zuvor auch schon mehrfach von Verteidigungsminister Ehud Barak zu hören war, liegt weit unter realistischen Erwartungen. »Für Hysterie ist kein Platz«, betonte Vilnai, der demnächst als Botschafter nach Peking übersiedeln wird und damit erst einmal aus der militärischen Gefahrenzone verschwindet.

Für die Zurückbleibenden hatte der 68jährige noch einen guten Rat: »So wie die Bürger Japans sich klar sein müssen, daß es dort Erdbeben geben kann, müssen die Bürger Israels verstehen, daß sie hier leben und mit Raketen an der Heimatfront rechnen müssen«, sagte Vilnai in einem Interview mit der Tageszeitung Maariw. Seine Prognose bezog sich auf einen etwa 30 Tage dauernden Krieg. Sie enthielt selbstverständlich keinen Gedanken an die Zahl der iranischen Opfer. Der Minister ignorierte aber auch, daß voraussichtlich Tausende US-Soldaten sterben werden, falls sich aus der israelischen Aggression ein mehrjähriger Krieg entwickeln würde.

Allerdings hält die israelische Regierung auch zu diesem Thema Beruhigungsmittel bereit: Der Sender Channel 10 behauptete am Mittwoch unter Berufung auf die üblichen namenlosen ranghohen »Officials«, man rechne nicht damit, daß Iran nach einem israelischen »Präventivschlag« US-amerikanische Ziele in der Region angreifen werde. Diese »neue Einschätzung« steht jedoch konträr zu allem, wovon bisher weltweit ausgegangen wird. Angeblich ergibt sich das veränderte Bild aus »jüngsten geheimdienstlichen Erkenntnissen«. Die iranische Führung, so heißt es plötzlich aus Jerusalem, wolle einen direkten militärischen Konflikt mit den USA vermeiden, werde keine Raketen auf amerikanische Stützpunkte abschießen und auch keinen Versuch unternehmen, die Meerenge von Hormus zu sperren.

Indessen wird, vor allem in gegen Krieg eingestellten Medien und Internetblogs, über einen detaillierten israelischen »Kriegsplan« spekuliert. Der in Seattle (USA) lebende Journalist Richard Silverstein hatte das Dokument am Dienstag auf der linken jüdischen Website Tikun Olam veröffentlicht. Nach seinen Aussagen hat er es von einem ihm gut bekannten und vertrauenswürdigen hochkarätigen israelischen Informanten erhalten.

Diesem »Kriegsplan« zufolge sollen zuerst sämtliche Kommunikationsstrukturen Irans – Internet, Telefon, Radio und Fernsehen, Stromleitungen und sogar Nachrichtensatelliten – durch einen beispiellosen militärischen Schlag vollständig ausgeschaltet werden. Die Reparaturen würden, heißt es, Wochen dauern und durch den Abwurf von zahllosen Streubomben zusätzlich erschwert werden. Die zweite, mehrtägige Angriffswelle soll durch Hunderte von Raketen und Cruise Missiles erfolgen. Ziele wären, neben den Atomanlagen, auch Kommando- und Kontrollzentralen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie die Wohnungen des Führungspersonals im nuklearen und militärischen Bereich. Anschließend solle das israelische Militär sich durch Satelliten und andere Mittel der Luftaufklärung einen Überblick über das Ausmaß der Schäden verschaffen. Erst dann würden bemannte Kampfflugzeuge zum Einsatz kommen.

Einige Punkte dieses »Kriegsplans« begründen den Verdacht, daß es sich um propagandistisches Spielmaterial handeln könnte. Silverstein ist zwar »überzeugt«, daß das Dokument »authentisch« sei. Zugleich meint er aber auch selbst, daß das nur etwa 500 Worte umfassende Memorandum »ein Produkt der israelischen Traumfabrik« sei und geschrieben wurde, um den noch schwankenden Regierungsmitgliedern den geplanten Krieg als eine solide, kaum riskante Sache zu »verkaufen«. Irgendeine Art von iranischen Reaktionen ist in diesem fragwürdigen Papier übrigens nicht vorgesehen.

** Aus: junge Welt, Freitag, 17. August 2012


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