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Kriegsstimmung in Tel Aviv

Israels Premier Netanjahu und Minister Barak wollen Angriff auf Iran

Von Knut Mellenthin *

Israel bereitet sich auf einen nahe bevorstehenden Krieg gegen Iran vor. Die Medien des Landes berichten seit Tagen, daß Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak einen militärischen Alleingang noch vor der Präsidentenwahl in den USA Anfang November planen. Diese Idee stößt bei der Mehrheit der Experten auf Kritik. In der meistgelesenen israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth schrieben zwei ihrer erfahrensten Kommentatoren, Nahum Barnea und Shimon Shiffer, am Freitag: »Kein einziger Regierungsbeamter oder Militäroffizier und nicht einmal der Präsident unterstützt einen israelischen Angriff auf den Iran.«

Dem Blatt zufolge wird damit gerechnet, daß dieser Krieg Israel pro Tag 375 Millionen Dollar kosten wird. Barnea und Shiffer vermuten, daß es Netanjahu vor allem darum geht, US-Präsident Barack Obama in der Endphase des Wahlkampfes in Schwierigkeiten zu bringen und seinem republikanischen Gegner Mitt Romney zum Sieg zu verhelfen.

Indessen häufen sich die praktischen Vorbereitungen auf den Kriegsfall. Am Sonntag begann das sogenannte Heimatfrontkommando mit der Erprobung eines SMS-gestützten Nachrichtensystems. Es soll sowohl dazu dienen, Militärreservisten in kürzester Zeit per Handy einzuberufen, als auch die Bürger mit Informationen, beispielsweise über nahegelegene Schutzräume, zu versorgen. Mehrere hunderttausend Israelis erhalten in diesen Tagen eine Test-SMS vom »mobilen Alarmsystem«. Die Verschickung erfolgt zunächst in einzelnen Regionen und endet am Donnerstag mit einem landesweiten Test.

Bereits am Freitag hatte Yedioth Ahronoth gemeldet, daß die israelischen Streitkräfte (IDF) sich auf die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts an mehreren Fronten einstellen. Um in einer solchen Situation möglichst wenige Ziele zu bieten, die den potentiellen Gegnern bekannt sind und mit Raketen angegriffen werden könnten, planen die IDF die Verteilung ihrer Munitionsvorräte und anderer Nachschubgüter, darunter auch der Essensrationen, auf eine Vielzahl neuer Standorte im gesamten Land. Privatunternehmen, die über Lagerhallen verfügen, wurden aufgerufen, sich um Aufträge zu bewerben. Sie müssen sich zu strenger Geheimhaltung und »angemessenen Befestigungsmaßnahmen« verpflichten.

Ebenfalls am Freitag versicherte der Gouverneur der Bank of Israel, Stanley Fischer, daß die Wirtschaft auf einen Krieg gegen Iran vorbereitet sei. Er räumte jedoch ein, daß Szenarien, in denen Israel mit mehreren militärischen Konflikten gleichzeitig konfrontiert wäre, »sehr schwer zu bewältigen« wären. Man müsse sich auf eine »wirkliche Krise« gefaßt machen. Schon jetzt steht das Land vor großen ökonomischen und sozialen Problemen, die sich auch in Massenprotesten niederschlagen.

Am Sonntag berichtete Yedioth Ahronoth unter Berufung auf Informationen aus dem Büro des Premierministers, daß Netanjahu dabei sei, sich »beispiellose Machtbefugnisse« zu verschaffen. Die angestrebten Veränderungen könnten, so das Blatt, »dramatische Konsequenzen für einen Militärschlag gegen Iran« haben, »da derzeit die meisten Kabinettsmitglieder gegen ein militärisches Vorgehen sind«. Nach den neuen Regeln könnte der Regierungschef die Durchführung jeder Entscheidung der Ministerrunde endlos verzögern, indem er immer wieder neue Debatten ansetzt, bis seine Gegner einlenken oder zumindest für einen Kompromiß »weichgekocht« sind. Umgekehrt bekäme Netanjahu die Möglichkeit, schnelle Beschlüsse per Telefon zu erzwingen. Die Minister hätten dann künftig nur noch zwölf Stunden statt bisher eine Woche Bedenkzeit.

Unabhängig von allen Spekulationen könnte ein israelischer Militärschlag gegen Iran nur das Ziel verfolgen, die USA so schnell wie möglich in einen Krieg zu verwickeln. Die IDF allein sind zu einer längeren Konfrontation mit dem weit entfernten Iran – die Distanz zwischen Tel Aviv und Teheran beträgt 1589 Kilometer Luftlinie – nicht imstande.

* Aus: junge Welt, Montag, 13. August 2012


Israel: Nein zum Krieg!

Demonstrationen und Proteste gegen drohenden Angriff auf Iran

Von André Scheer **


Mit täglichen Demonstrationen protestiert die israelische Friedensbewegung gegen den Kriegskurs der Machthaber in Tel Aviv. Hunderte Menschen kamen am Sonntag abend vor dem Haus von Verteidigungsminister Ehud Barak zusammen und riefen Slogans wie »Nein zum Krieg« und »Keinen Angriff auf den Iran«. Neben Knessetabgeordneten des Linksbündnisses Hadash befand sich unter den Demonstranten auch der Filmregisseur Doron Tsabari. Gegenüber Medienvertretern zeigte er sich entsetzt über die Haltung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der einem Bericht der Zeitung Jedioth Ahronoth vom vergangenen Freitag zufolge für einen Militärschlag gegen den Iran noch vor den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November eintritt und sich dabei auch über die Bedenken seiner Sicherheitsberater hinwegsetzt. »Ich weiß nicht, ob Netanjahu einen Angriff plant oder nicht. Aber wenn er sagt, daß er in den Krieg zieht, glaube ich ihm. Deshalb bin ich hier«, so Tsabari.

In der israelischen Öffentlichkeit hat der aggressive Kurs der Regierung zu einer Welle von Protesten geführt. In dieser Woche sind tägliche Friedenskundgebungen vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv geplant. Bereits am Freitag demonstrierten Hunderte Anhänger des Hadash-Bündnisses, in dem die KP Israels führende Kraft ist, in Haifa gegen den drohenden Krieg. Die Kommunisten werfen Netanjahu und Barak vor, »jeden Rekord politischen und sicherheitspolitischen Abenteurertums« zu brechen und »das Leben israelischer Bürger – von Juden und Arabern – schrecklicher Gefahr« auszusetzen. Das Kabinett versuche, durch seinen Kurs von den Forderungen nach einem Friedensschluß zwischen Israelis und Palästinensern und von dem durch eine Massenbewegung unterstützten Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit und einem Ende der Kürzungen abzulenken. »Statt auf diese Angelegenheiten einzugehen, setzt die israelische Regierung auf eine militaristische und nationalistische Agenda.«

In der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, die als eines der einflußreichsten Blätter Israels gilt, warnte deren Kolumnist Bradley Burston den Premier in dramatischen Worten vor einem Abenteuer: »Herr Netanjahu, verabschieden Sie sich von allen, die Sie kennen, bevor Sie Iran bombardieren. Sagen Sie auf Wiedersehen zu allen, die Sie lieben. Sie wissen, Sie werden nicht in der Lage sein, sie alle vor dem sicheren Gegenschlag zu beschützen. Jeder, den Sie kennen, ist ein Ziel. Jeder, den Sie lieben, ist in Gefahr. Der beste Freund Ihres Sohnes, die ganze Familie Ihrer Frau, die Familien Ihres Kochs, Ihres Fahrers, Ihres Leibwächters. Die Jungs, mit denen zusammen Sie aufgewachsen sind. Deren Kinder und Angehörige. Sagen Sie auf Wiedersehen zu ihnen, zu jedem einzelnen. Jetzt, bevor Sie den Befehl geben. Bevor es zu spät ist. In dem Augenblick, in dem Sie den Befehl geben, wird es nichts geben, was Sie ihnen sagen können. Uns sagen können.«

Im Internet haben israelische Friedensaktivisten eine inzwischen von Hunderten Menschen unterzeichnete Resolution veröffentlicht, in der sie die Piloten der Luftwaffe aufrufen, den Befehl zur Bombardierung des Irans zu verweigern: »Ihr habt mehr als irgend jemand sonst die reale Macht in Eurer Hand, diese Katastrophe zu verhindern. Niemand kann Euch diese Entscheidung abnehmen. Wir hoffen Euch und uns zuliebe, daß Ihr, sollte dieser Moment kommen, in der Lage sein werdet, die richtige Entscheidung zu treffen.«

** Aus: junge Welt, Dienstag, 14. August 2012


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