(Keine) Aussicht auf Frieden im "Heiligen Land"?
Ein Bericht von Claudia Haydt*
Es ist unbestreitbar, dass nach der traumatischen Erfahrung des
Holocaust die Schaffung eines eigenen Landes in dem die
elementaren Menschenrechte für die jüdische Bevölkerung garantiert
werden sollten, für viele der Überlebenden die einzig denkbare
Alternative war und ist. Doch Selbstbestimmung, gleiche Würde,
gleiche Rechte und Freiheit galt seit 48 oder 67 nicht für die
palästinensische Bevölkerung unter israelischer Besatzung. Ihr Leben
war und ist geprägt durch Flucht, Vertreibung und (rechtliche)
Diskriminierung.
Die erste Intifada genauso wie die jetzige „Al-Aqsa-Intifada“ war eine Reaktion
auf diese Situation. Intifada ist arabisch und lässt sich sinngemäß mit
„abschütteln“, also mit Befreiung, übersetzen. Als Tobias Pflüger und ich uns
im letzten November mit israelischen und palästinensischen
Nichtregierungsorganisationen trafen, konnten wir feststellen, dass die
meisten PalästinenserInnen einen friedlichen Widerstand, eine politische
Intifada wollen. Der Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung ist bewusst,
dass ein bewaffneter Kampf gegen das hochgerüstete Israel zu unzähligen
Toten führen wird, nur um dann schlussendlich doch verloren zu werden.
Strukturelle Gewalt
Es herrscht Krieg zwischen Israel und Palästina. Ca. 380 PalästinenserInnen,
ca. 60 Israelis und 13 israelische Araber sind den Auseinandersetzungen bis
heute zum Opfer gefallen. Die Gewalt muss enden - besser heute als morgen.
Doch nicht nur Hochgeschwindigkeitsgeschosse israelischer Scharfschützen,
Granaten aus Kampfhubschraubern, Bomben palästinensischer Terroristen
und Steinwürfe sind Teil des Gewaltspektrums. Enden muss auch und gerade
die strukturelle Gewalt. Aushebelung rechtsstaatlicher Prinzipien,
Sonderrechte der israelischen Siedler bei der Nutzung von Straßen, von
Wasser und bei der Landnahme müssen genauso aufhören wie die Politik der
Absperrungen und der Ausgangssperren für Millionen von Menschen.
Palästinensische Städte und Dörfer sind vom israelischen Kernland, aber
auch von einander und zum Teil von ihren eigenen Feldern und Betrieben
abgeriegelt, dies bedeutet: kein Zugang zu Arbeitsplätzen, zu Schulen, zu
Verwandten, zu Freunden, zu medizinischer Versorgung etc. Mindestens 30
Personen starben, weil medizinische Versorgung nicht oder zu spät verfügbar
war. Mehr als eine Million leben in den besetzten Gebieten unter der
Armutsgrenze (weniger als 2$/Tag).
Kollektivbestrafung für eine ganze Bevölkerung? Zur Abschreckung? Zur
„Befriedigung“ der Situation? Wohl kaum. Wenn Menschen nichts mehr zu
verlieren haben, dann werden sie selten friedlicher. Unverhältnismäßigkeit der
Mittel werfen z. B. Amnesty International und das Rote Kreuz der israelischen
Regierung vor. Soziale und politische Destabilisierung nehmen so immer mehr
zu. Das Vorgehen der israelischen Regierung kann wohl am besten als
Dampfkochtopftaktik bezeichnet werden. Das Ziel heißt „kleinkochen“ des
palästinensischen Widerstandes, doch durch immer wieder neues Anheizen
der Situation bei geschlossenem Deckel (Absperrungen) wird die Gefahr einer
explosiven Zuspitzung der Situation von Tag zu Tag größer.
Siedlungspolitik
Ein wichtiger Kern des Konfliktes sind die israelischen Siedlungen in der
West Bank und im Gaza-Streifen. Siedlungspolitik war seit 1967 immer auch
Regierungspolitik. Die Verhandlungen von Oslo haben die Siedlungspolitik
nicht verändert - im Gegenteil: zwischen 1993 und 2000 ist die Zahl der
Bewohner von Siedlungen in den besetzten Gebieten um das doppelte auf ca.
200.000 gestiegen. Wenn man die nach Jerusalem „eingemeindeten“ Gebiete
mit dazu rechnet, dann ist die Zahl der israelischen Wohnbevölkerung auf
palästinensischen Territorium bei über 400.000. Auch Barak hatte die
Siedlungspolitik nicht verändert, er hatte die staatliche Förderung nicht
gekürzt und im ersten Halbjahr 2000 stieg die Bautätigkeit in Vergleich zum
ersten Halbjahr 1999 um beinahe das Doppelte. Jede neue Siedlung braucht
neue Umgehungsstraßen und neue Absperrung, verbraucht
Wasserressourcen und zieht neue Soldaten zu ihrem „Schutz“ nach sich.
Ca. 80% der Siedler sind vor allem wegen der Regierungszuschüsse und der
Hoffnung auf mehr Lebensqualität in die „Territories“ gezogen. Der Preis für ein
Einfamilienhaus mit Garten in einer Siedlung reicht nicht aus um sich in Tel
Aviv auch nur eine Zweizimmerwohnung zu kaufen. Viele der SiedlerInnen
würden lieber heute als morgen in das Kernland Israels zurückkehren, wenn
sie dort nur eine annähernd vergleichbare Wohnmöglichkeit hätten. Doch
neben diesen „ökonomischen Siedlern“ gibt es auch solche, die aus
ideologischen Gründen in den besetzten Gebieten leben. Für sie ist das Land
der Palästinenser ein Teil von „Erez Israel“ das Gott seinem auserwählten
Volk gegeben hat. Ihre Anwesenheit soll diesen Anspruch zementieren. Unter
ihnen gibt es einen harten Kern von 500-600 militanten Siedlern. Viele davon
haben einen amerikanischen Pass und kamen in den 80er Jahren als
Mitglieder der mittlerweile verbotenen extremistischen Kach-Partei nach
Israel. Diese Siedler sind bei der palästinensischen Bevölkerung gefürchtet
und sie sind wahrscheinlich für den Tod von 20 bis 30 PalästinenserInnen
verantwortlich. Furcht zu verbreiten ist ein erklärtes Ziel der militanten Siedler.
Diese Siedler sind bei der Mehrheit der israelischen Bevölkerung alles andere
als beliebt, da sie zur Eskalation des Konfliktes beitragen und die jungen
wehrpflichtigen Israelis, die zum Schutz der Siedler abgestellt sind, dann die
Situation „ausbaden“ müssen.
Perspektiven
Inhaltlich wird sich eine faire Friedenslösung an der UN-Resolution 242 und
der Möglichkeit des freien Zugangs aller Religionen zu ihren Heiligen Stätten
in Jerusalem orientieren müssen. Die meisten der bisherigen
Friedensvorschläge lassen sich treffend mit dem Bild eines amerikanischen
Rabbiners beschreiben. Stell dir vor, es würde Dir jemand ein wunderschönes
Haus schenken (West Bank und Gaza) würde aber alle Korridore
(Verbindungstrassen zu Siedlungen, Militärstationen und Jordan) für sich
behalten. In einem solchen Haus wird sich niemand auf Dauer zuhause fühlen
und wirklich frei entfalten können.
Staatliche Souveränität, eigene Grenzen, eigene Verfügung über Ressourcen,
kein völlig zerstückeltes Staatsgebiet, wo alle Verbindungsstrecken von Israel
kontrolliert werden, das sind Essentials ohne die ein dauerhafter Frieden aus
palästinensischer Perspektive nicht möglich ist.
Ein wichtiger Faktor auf dem Weg zu einer Friedenslösung, wird die Frage
des internationalen Drucks auf Israel sein. Wenn die westlichen Staaten, ganz
besonders die USA nicht mehr Israels Vorgehen unterstützen (1,98 Milliarden
$ Militärhilfe aus den USA werden in 2001 erwartet) oder stillschweigend
tolerieren, dann muss die israelische Regierung in anderer Weise verhandeln.
Der wichtigste Punkt wird aber das innenpolitische Klima in Israel sein, wenn -
wie im Libanon - Mütter nicht mehr bereit sind, ihre wehrpflichtigen Kinder in
den besetzten Gebieten sterben zu lassen, wenn immer mehr Menschen
ihren Militärdienst zumindest partiell verweigern (Yesh Gvul), dann wird dies
die beste Grundlage für einen Frieden im Nahen Osten sein. Israel ist ohne
Zweifel die am besten ausgerüstete Militärmacht im Nahen Osten. Doch mehr
als begrenzte Kriege, wie z. B. im Süden des Libanon sind kaum noch
führbar. Die Konsequenzen eines größeren Krieges in dieser Region wären
verheerend, Israel könnte eine solche Auseinandersetzung zwar gewinnen
aber wahrscheinlich nur um den Preis der Zerstörung seiner eigenen
Lebensgrundlagen. Die Region ist so klein, so eng mit einander verzahnt
(Wasser!), dass jeder Einsatz von Atom- (Israel besitzt mindestens 200-300
Atomsprengköpfe), Chemie- oder Biowaffen (das Arsenal in dieser Region ist
groß) unweigerlich alle Beteiligten treffen würde. Die Akteure des
Nahostkonflikts und ganz besonders Israelis und Palästinenser sind im
wahrsten Sinne des Wortes auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen.
Vor diesem Hintergrund wird der Verkauf von U-Booten der Delphinklasse (mit
Atomsprengköpfen bestückbar) von Deutschland an Israel besonders heikel.
Nötig für eine Friedenslösung in der Region sind internationaler Druck, ein
Stopp der Lieferung militärischer Güter in die gesamte Region und vor allem
die Stärkung der friedensorientierten Kräfte auf beiden Seiten.
* Claudia Haydt ist Beirätin der Informationsstelle Militarisierung,
Religionswissenschaftlerin und Soziologin.
Aus: Guernica, Zeitung der Friedenswerkstatt Linz, 1/2001
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