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Mossad-Legenden

Ein Buch über Adolf Eichmann, das die Version des israelischen Geheimdienstes nachplappert

Von Gaby Weber *

Selten hatte ein Sachbuch eine derart gute Presse wie Bettina Stangneths »Eichmann vor Jerusalem«. Bild war begeistert, andere beten nach. Wer aber über den Eichmann-Komplex urteilen will, begibt sich auf dünnes Eis. Viel Material ist fragwürdig, das meiste stammt von Geheimdiensten. In einem Punkt ist Frau Stangneth erfreulich klar: Sie feiert unbeirrt die Version des Mossad von der »heldenhaften Entführung«. Aus neuen Erkenntnissen pickt sie sich Passendes heraus, den aktuellen Forschungsstand ignoriert sie, meine eigenen Recherchen über Hintergründe im Kalten Krieg erwähnt sie nicht.

Sie schreibt gegen die These von der »Banalität des Bösen«, die von der Philosophin Hannah Arendt über den Organisator des Holocaust aufgestellt wurde. Dementsprechend stellt sie ihn als »diabolischen Täter«, »Satan in Menschengestalt«, »Caligula«, »Großinquisitor« und »erbarmungslose Bestie« dar, eine Art Einzeltäter des Holocaust – so, als habe er bei der Wannsee-Konferenz nicht das Protokoll geführt, sondern selbst Entscheidungen getroffen. Die Autorin klittert und fälscht Tatsachen.

Allianzen

Beispiel: Eichmann war fünf Jahre lang, bis Mitte 1933, bei Standard Oil in Linz angestellt (wie sein letzter Arbeitgeber, Mercedes-Benz-Direktor William Mosetti). Daraus wird bei Stangneth: »Benzinvertreter in Ober­österreich«. Gemeinsame Interessen von Hitler und Rockefeller hält sie für »Verschwörungstheorie«. Ohne darauf einzugehen, bestreitet sie, daß es »von Anfang an eine geheime Allianz gegen die Araber und zwischen Zionisten und Nationalsozialisten gegeben habe«. Daß Eichmann auf Einladung des Nachrichtendienstes Hagana 1937 in den Nahen Osten gereist war, um die Siedlungen der Emigranten zu besichtigen – sein Bericht liegt im Bundesarchiv – kommentiert Stangneth so: »… und läßt sich sogar von einem Juden zu einem Palästina-Besuch einladen«.

Ein weiteres Beispiel: Kein Historiker hat bisher behauptet, daß sich die Nazis in Südamerika an ihren jüdischen Nachbarn gestört oder sie gar verfolgt hätten. Für Stangneth aber hat Eichmann darunter gelitten, daß »immer noch Juden auf der Welt (seien), er hatte noch eine Rechnung offen«. Das ist blanker Unsinn. Nicht nur die Akten des BND sagen ihm »vorzügliche Beziehungen zu in Argentinien angesehenen Juden« nach. Die Juden, Emigranten wie die Nazis, traf man beim Bäcker und im Konzert, und an der Werkbank von Mercedes-Benz arbeitete Eichmann einträchtig mit jüdischen Kollegen.

Von den von mir herausgeklagten BND-Dokumenten erwähnt Stangneth nur die, die ihre These untermauern. Begründung: »Ich traue keiner Geheimdienstakte ohne Gegenbeleg, und dieser BND-Akte schon gar nicht. Das klingt für mich nach Kalter-Krieg-Propaganda.« Was der Mossad aber in alle Welt posaunt – u.a. durch den langjährigen BND-Spitzel Wilhelm Dietl – hält sie für vertrauenswürdig. Dabei war die BND-Akte nie für Propaganda gedacht.

Selbst recherchiert hat sie nicht, sondern sich auf »Quellenstudium« verlassen, d.h. abgeschrieben, Fehler inklusive. Geburtsdaten werden erfunden, Quellen falsch zitiert, Ortsangaben nicht geprüft. Tucumán liegt bei ihr statt 1200 Kilometer »zwölftausend Kilometer von der Hauptstadt entfernt«. Für sie war Eichmann wohlhabend, einer, der reiste und ein eigenes Haus baute, »eine gescheiterte Existenz sieht anders aus«. Tatsächlich war sein Haus eine Bruchbude am Rande der Müllkippe.

Zweifelhaftes

Ihre zentrale Quelle sind die sogenannten Argentinien-Papiere, Kopien zweifelhafter Herkunft. Einen Teil soll Eichmann verfaßt haben, ein anderer Teil stammt von dem Journalisten Willem Sassen, der Holocaust-Leugner David Irving hat ebenfalls etwas dem Koblenzer Bundesarchiv vermacht. Letzterer wollte die Anzahl der in den Konzentrationslagern Ermordeten herunterrechnen, im Sassen-Interview hingegen soll Eichmann mit den sechs Millionen Toten geprahlt haben. Das bestritt er vor Gericht in Jerusalem, nicht die Zahl, sondern seinen ungebrochenen Stolz.

Bei einigen der »Argentinien-Papiere« muß es sich also um Fälschungen handeln. In den wenigen verwertbaren, weil verstehbaren Kassettenaufnahmen vernimmt man Eichmanns Rechtfertigungen für seine Beteiligung an den Transporten in die Konzentrationslager. Zuvor habe er aber nach Alternativen für die Auswanderung gesucht, leider ohne Unterstützung der zionistischen Anführer.

Die CIA hält bis heute das Sassen-Interview geheim. Man weiß, daß der damalige CIA-Chef Allen Dulles bei der US-Illustrierten Life dafür gesorgt hatte, daß in dem veröffentlichten Teil der Name des Staatssekretärs im Bonner Bundeskanzleramt Hans Globke nicht erscheint. Stangneth will auch hier die Geschichte zurechtrücken: »Viel Druck hätte es dazu gar nicht gebraucht. Der Name Globke kommt nämlich in den Argentinien-Papieren gar nicht vor. Es gab nichts, das Dulles bei Life mit Nachdruck verhindern mußte.« Daß der Name Globke in den Archiven des Kanzleramts und des Auswärtigen Amtes auftaucht, verschweigt sie. Sie will Originale der Sassen-Papiere in Israel eingesehen haben, wo, verrät sie nicht.

Ihr Kronzeuge ist Sassen, den sie als »SS-Kriegsberichterstatter«, »charismatischen Mann« und »vielseitigen Lebemann« beschreibt, der »gern feierte, voller Talente war«. Am Rande erwähnt sie, daß er »Zeuge von Kriegsverbrechen gewesen sein soll«. Über seine beiden Verurteilungen in Belgien und Holland als Kriegsverbrecher verliert sie kein Wort. Warum sie das verschweigt? »Ich konnte keine Urteile finden«, antwortete sie. Eine Anfrage in den Nationalarchiven in Brüssel und Amsterdam hätte geholfen.

Der »charmante und sprachbegabte« Sassen sei zwar »selber ein überzeugter Nationalsozialist und Rassenantisemit (gewesen), aber er hielt das Mordprojekt für ein Verbrechen und war zu selbstreflektiert, um Leugnung für eine Lösung zu halten«. Daß Sassen regelmäßig in der US-Botschaft zum Rapport antrat, wie es in den BND-Akten heißt, unterschlägt sie ebenso wie seinen plötzlichen Reichtum nach Eichmanns Verhaftung.

Antifaschisten

Eichmann wurde nicht vom Mossad aufgespürt, sondern von Lothar Hermann aus Quirnbach, Jude, aber nicht Zionist. Er half 1935, jüdisches Eigentum ins Ausland zu verbringen, während die zionistischen Organisationen mit dem Hitler-Regime 1933 das Haavara-Abkommen abgeschlossen hatten, um jüdisches Geld nach Palästina zu überweisen. Die Gestapo verhaftete ihn wegen Devisenvergehens, er landete im KZ Dachau. 1937 floh er nach Südamerika, wo sein Bruder Hugo lebte. Dort wurde vier Jahre später seine Tochter Silvia geboren, und mit ihr sammelte der inzwischen an den Folgen seiner Folter Erblindete Informationen über die Nazis. 1957 schrieb er an Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main, mit dem zusammen er Jura studiert hatte, daß Eichmann im selben Stadtviertel Olivos wie er wohne. Bauer versuchte, die israelische Regierung zum Eingreifen zu bewegen.

Statt dem jüdischen Antifaschisten ein Denkmal zu setzen, schmäht Jerusalem bis heute seinen Namen. Als jüngst das Nationalarchiv einige Dokumente zum Eichmann-Prozeß veröffentlichte, wurde Hermann auf der Homepage als Trittbrettfahrer dargestellt, der nur eine finanzielle Belohnung gefordert habe.

»Nach vielen Mahnungen hat er die Belohnung erhalten«, so Liliane Hermann, Enkelin von Hugo, Lothars Bruder. Die 40jährige ist über den im Juli 2010 in der ARD ausgestrahlten Film »Eichmanns Ende« empört. Der Untertitel »Liebe, Verrat, Tod« versprach Quote, sei aber »eine bösartige Lüge«. An dem NDR-Streifen hatte Bettina Stangneth mitgearbeitet, die auch in ihrem neuen Buch behauptet, daß »Eichmann über das Liebesleben seines Sohnes stolpert. Eine Freundin erinnert sich, daß Silvia den fünf Jahre älteren Klaus in der Schule kennengelernt, sich in ihn verliebt und ein Foto von ihm aufgehoben habe. Es gibt viele, die es gesehen haben, weil es sogar bei den Hermanns an der Wand gehangen haben soll«. Wer diese »Freundin« und die »vielen« anderen waren, verschweigt die Autorin.

Die 14jährige Silvia hatte Klaus Eichmann in der Clique des Stadtviertels kennengelernt. Mehr war da nicht, weder ein »Liebesleben« noch eine Schwärmerei, so Liliane, die mit ihrer in den USA lebenden Tante in Kontakt steht. Der NDR habe sie belästigt und Geld für Details angeboten. Laut Stangneth wurde die Sexstory vom Mossad-Chef Isser Harel in die Welt gesetzt, denn »Nazis und Sex gehen immer«. Als Hermann in Argentinien von der Version Harels hörte, reagierte er fassungslos: die Geschichte Harels sei größtenteils »absolut falsch«, man habe »absichtlich und öffentlich« die Fakten verdreht. Doch das Buch Harels erschien 1975, Hermann war ein Jahr zuvor verstorben und konnte sich nicht mehr wehren.

Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem - Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Arche Verlag, Hamburg 2011, 656 Seiten, 39,90 Euro

* Aus: junge Welt, 6. Juni 2011


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