Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Baraks politische Flucht nach vorn

Arbeitspartei soll in der Regierung bleiben

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Aufruhr bei Israels Sozialdemokraten: Vorsitzender Ehud Barak hat sein Versprechen gebrochen, die Partei nach der Veröffentlichung des Winograd-Berichtes aus der Regierung zu führen. Jetzt droht eine offene Rebellion.

Es soll Geiselverhandlungen gegeben haben, hört man, die ziviler abliefen als das Fraktionstreffen der israelischen Arbeitspartei am Sonntag. Stundenlang, sagen Mitarbeiter der 19-köpfigen Parlamentsgruppe, hätten sich die Abgeordneten gegenseitig angepöbelt; nur mit Mühe habe man Handgreiflichkeiten gegen den Parteivorsitzenden, Verteidigungsminister Ehud Barak, verhindern können.

Denn der Partei droht die Spaltung. Schuld daran ist Barak, der im Sommer vergangenen Jahres in das Amt des Parteichefs gewählt worden war, um die Sozialdemokraten durch sein militärisches Know-how, seine Erfahrung als ehemaliger Regierungschef und vor allem sein Charisma zu stärken und dann vereint in die nächsten Wahlen zu führen. Die am letzten Dienstag vor dem Ablauf von 90 Tagen von heute an gezählt hätten stattfinden sollen, wenn es nach den Fundamentalisten gegangen wäre -- also jenen, die der reinen Lehre von Rechts und Links und Gemeinwohl und Verantwortungsbewusstsein anhängen.

So hatte es Barak versprochen, damals, als man ihn zum Parteichef wählte. »Sollte der Winograd- Bericht dem Premierminister eine direkte Schuld zuweisen, werde ich die Partei aus der Koalition führen«, waren seinerzeit seine Worte gewesen.

Am Sonntag hat er sein Versprechen gebrochen -- weil es besser für das Land sei, wenn die Arbeitspartei weiterhin in der Regierung bleibe, sagte er in einer Pressekonferenz vor dem Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung und löste damit einen Sturm der Entrüstung in der Partei und in der Öffentlichkeit aus, während andere sich hinter ihn stellten. Es gebe in der Tat Dinge, die im Moment wichtiger sind, erklärt ein Abgeordneter aus dem Barak-Lager -- die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern zum Beispiel.

Denn ein Auszug der Sozialdemokraten würde mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu Neuwahlen führen, für die die Partei allerdings nach wie vor nicht fit ist, und in denen deshalb vermutlich eine rechts-konservative Koalition an die Macht käme. Die Rechte im Parlament lehnt allerdings die für ein Statusabkommen mit den Palästinensern notwendigen Siedlungsräumungen und Zugeständnisse in der Jerusalem-Frage kategorisch ab, womit die Gespräche zwischen beiden Seiten wohl vorbei wären.

Beobachter werten Baraks Verweis auf die Verhandlungen allerdings als vorgeschoben, weil er selber ihnen aus sicherheitspolitischen Gründen eher kritisch gegenübersteht. Barak wolle vor allem sein Amt behalten, weil er nur so mittelfristig eine Aussicht darauf hätte, wieder in das Büro des Premierministers einziehen zu können. Deshalb wird in seinem Lager innerhalb der Fraktion nun stattdessen die Option gehandelt, sich mit Premierminister Ehud Olmert im Gegenzug auf einen vorgezogenen Wahltermin, vermutlich im März 2009, zu einigen, Bis dahin, so die Hoffnung, sei die Partei fit genug, um sich einigermaßen wacker schlagen zu können.

Doch die Chancen, dass dies tatsächlich so sein wird, stehen seit Sonntag noch ein bisschen schlechter als vorher, denn nicht nur, dass in der Fraktion das Kriegsrecht gilt, in der Öffentlichkeit wurde auch noch umgehend ein wenig schmeichelhafter Spitzname wieder belebt, der ihm verliehen wurde, nachdem er sich als Generalstabschef nach einem Hubschrauber-Absturz geweigert hatte, Verletzte in seinem Helikopter ausfliegen zu lassen: Barach -- der Flüchtende.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2008

Dokumentiert: Leitartikel der Haaretz-Redaktion

Die Bedeutung von Verantwortung

Ehud Barak hat sich entschieden, auf seinem Posten zu bleiben – obwohl er zustimmte, dass der Winograd-Bericht schwerwiegend für die Regierung ist, und trotz seiner Versicherung, zurückzutreten, wenn die Kommission auf die Versäumnisse ihres Oberhaupts verweisen würde. Die Erklärung dafür war vorhersehbar, sollte aber dennoch nicht einfach abgetan werden.

In den Tagen vor der Veröffentlichung des Berichts hatte der Verteidigungsminister wiederholt betont, er werde „das tun, was für den Staat gut ist“. Gestern bestätigte er, derart gehandelt zu haben, nach bestmöglicher Abwägung. Barak beschrieb seine Entscheidung als Opferung persönlicher und politischer Interessen für das Gemeinwohl. Er weiß sehr wohl, dass er dafür womöglich einen Preis wird zahlen müssen, da seine Glaubwürdigkeit gelitten hat. Die bis zum Erbrechen abgedroschene Phrase „Schwere Herausforderungen stehen Israel bevor“ passt zu jeder Zeit, und nicht allein zu dieser, und Barak ist nicht der erste, der sich ihrer bedient, um den Verbleib in der Regierung zu rechtfertigen.

Zu den von Barak aufgezählten Herausforderungen gehören die Situation in Gaza, das iranische Atomprogramm, Syrien und die Hisbollah sowie vor allem die dringende Notwendigkeit, angesichts all dessen das Niveau der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL) zu verbessern. Eine wichtige Herausforderung erscheint am Rande der Liste des Politikers aus dem Friedenslager, der vor eben einmal acht Jahren in Camp David einem Friedensabkommen mit den Palästinensern näher als jeder andere Staatsmann gekommen ist. Die Herausforderung des Friedens, die noch vor kurzem die diplomatische und politische Luft auf der Annapolis-Konferenz erfüllt und als primäres Argument für den Fortbestand der Regierung gedient hat, ist ans Ende der Tagesordnung des Vorsitzenden der Avoda [Arbeiterpartei] gedrängt worden. Vor einem Monat war Barak unter denen, die George Bush willkommen hießen, der nach Jerusalem gereist war, um die Verhandlungen über die Kernfragen voranzutreiben. Es ist schwer verständlich, dass diese Angelegenheit nicht an der Spitze der Liste jener Herausforderungen steht, über die Barak gestern sprach, um seine Entscheidung zu erklären.

Für diese Regierung – zumal in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung – gibt es keinen Grund weiterzuexistieren, sofern es nicht ihre Absicht ist, ein Abkommen mit den Palästinensern zu erzielen. Für jeden anderen Zweck kann sie mit einer Rechtsregierung ausgewechselt werden. Die Schlussfolgerungen der Winograd-Kommission verpflichten das Gespann Olmert-Barak nicht notwendigerweise dazu, die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte zu fördern oder Israel im nächsten Krieg zu führen, sei dieser klein oder groß, fern oder nah. Die Regierung Olmert-Barak ist nur dafür wichtig, einen Krieg zu verhindern und den Frieden voranzutreiben.

Sollten die Begriffe Verantwortung und Stabilität irgendeine Bedeutung haben – außer dem billigen Gebrauch, den politische Ratgeber von ihnen machen, um die Amtszeit einer gescheiterten Regierung zu verlängern -, dann liegt sie darin, zumindest ein zentrales Ziel zu erreichen, das nur diese Regierung erreichen oder zu erreichen versuchen kann.

Es gibt in Israel nicht wenige Sicherheitskommentatoren, aber scheinbar nur eine Koalitionszusammensetzung - in deren Mitte Kadima und Avoda stehen -, die derzeit dazu in der Lage ist, einen politischen Prozess voranzubringen, ein Räumungs- und Evakuierungsgesetz für jene Siedler zu erlassen, die bereits jetzt bereit sind, nach Israel zurückzukehren, die Außenposten zu räumen und das nächste Jahr für die Unterzeichnung eines Abkommens mit der Regierung Mahmoud Abbas’ zu nutzen. Eine solche Gelegenheit wird so bald nicht wieder kommen, und die Glocken der herannahenden Rechtskoalition läuten schon laut und klar.

Aus: Haaretz, 04.02.08; mitgeteilt durch die israelische Botschaft in Berlin, Newsletter vom 4. Februar 2008




Zurück zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage