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"Der Star ging zum Raben" oder "Gleich und gleich gesellt sich gern"

Warum Israels Arbeitspartei keine Opposition zu Scharon ist

Von Uri Avnery

Die engen Beziehungen zwischen Shimon Peres und Ariel Sharon sind nicht zufällig. Der Prophet Amos (3,3) sagte: „Können denn zwei mit einander wandern, sie seien denn einig untereinander?“ Beide kamen vom selben Platz: dem Hof Ben Gurions. Beide repräsentieren Variationen derselben Ideologie. Das alte hebräische Sprichwort sagt doch: „ Nicht umsonst geht der Star zum Raben - es sind nämlich zwei von der selben Sorte.

Eine alte und verbrauchte Hure, die vergeblich nach einem Mann Ausschau hält, der sie um ihre Gunst bittet, ist wirklich ein bemitleidenswerter Anblick. In genau dieser erbärmlichen Lage befindet sich jetzt die Arbeiterpartei (Labor) – nur ist es schwierig, für sie Mitleid zu empfinden.

Seit Monaten wartet die Partei vor der Tür der Sharonregierung und hofft, jeden Augenblick eingeladen zu werden. Ab und zu öffnet Sharon die Tür, wirft einen verächtlichen Blick auf sie und schlägt die Tür vor ihrer Nase zu. Auch diese Woche geschah es wieder - zum soundsovielten Male.

Gewöhnlich wird Shimon Peres für diese Situation die Schuld zugeschoben. Natürlich ganz zu recht. Peres sehnt sich nach seiner Stelle als Außenminister - so wie ein in der Wüste vor Durst Sterbender nach Wasser lechzt. Als Regierungsmitglied könnte er sich mit Königen und Präsidenten treffen, an internationalen Konferenzen teilnehmen, feierliche Erklärungen abgeben und all die Dinge tun, die seinem Leben Sinn geben. Für ihn ist das Leben in der Opposition überhaupt kein Leben.

Die Frage aber ist: Warum wurde dieser Mann in diese Position als Exekutiv-Vorsitzender der Partei gewählt? All jene, die ihn wählten, wussten, wohin er gehen wolle. Schließlich hat er schon als Sharons Außenminister gedient und die gute Nachricht verbreitet, dass Sharon nicht Sharon sei, dass der Leopard jeden seiner Flecken verändert habe und nun wie eines der Schafe auf seiner Farm sei.

Als Vorsitzender der größten parlamentarischen Fraktion außerhalb der Regierungskoalition ist Peres berechtigt, nach dem Gesetz als „Chef der Opposition“ angesprochen zu werden. Kein Titel passt weniger zu ihm. Während z.B. Menachem Begin in der Opposition auflebte und dort 29 glückliche Jahre verbrachte, welkt Peres dort wie eine Blume ohne Wasser dahin. Er weiß nicht, was er tun soll. Selbst wenn ihm ein Plan mit Oppositionsaktivitäten auf einer Platte serviert würde, würde er nicht wissen, was er damit tun solle.

Schon seit Beginn seiner Karriere in der Arbeiterjugendbewegung war er ein Mann der Regierung. Als Assistent von Ben Gurion, als Generaldirektor des Verteidigungs-Ministeriums, als Minister und als Ministerpräsident – er identifizierte sich immer mit der Regierung, arbeitete für die Regierung und repräsentierte die Regierung. Als Ben Gurion ihn 1965 zwang, die Arbeiterpartei zu verlassen, um an der Gründung der Oppositionspartei Rafi teilzunehmen, war er unglücklich und benützte den ersten Vorwand, um wieder in die Regierungspartei zu kommen. Als er eine Wahl verlor und in der Opposition hängen blieb, sah er sich nach der erstbesten Gelegenheit um, um sich einer „Nationalen Einheits“-Regierung anzuschließen.

Von diesem Standpunkt aus ist Peres das vollkommene Symbol seiner Partei. Von 1933 an, als sie in den Regierungsinstitutionen der zionistischen Organisation die Macht übernahm bis zum „Umsturz“ von 1977, der den Likud zur Macht brachte, erfreute sich die Arbeiterpartei 44 Jahre lang ununterbrochen der Macht. Der Likudsieg machte tatsächlich jeden sprachlos. Bis zu diesem Augenblick konnte sich niemand die Arbeiterpartei außerhalb der Regierung vorstellen.

Damals konnte ein Parlamentsmitglied mit den Genossen der Arbeiterpartei nur Mitleid haben. Sie trieben sich in den Korridoren der Knesset wie Geister herum. Wenn sie aufs Rednerpodium gingen, um dort über irgendein Thema zu reden, nahmen sie automatisch die Pose von Regierungssprechern an und mussten sich dann selbst mitten in der Rede daran erinnern, dass es ihre Aufgabe war, zu kritisieren.

Während des ganzen letzten Jahres konnte man kaum ein Anzeichen dafür finden, dass die Arbeiterpartei in der Opposition ist. Es stimmt zwar, dass sie regelmäßig Misstrauensanträge einreicht, aber das ist ein wöchentliches leeres Ritual, das von niemandem ernst genommen wird – weder innerhalb der Knesset noch außerhalb.

Es gibt nichts, was die Arbeiterpartei in der Regierung wirklich bekämpft. Sie identifiziert sich mit der thatcheristischen Wirtschaftspolitik des Finanzministers Binyamin Netanyahu, der die Armen trifft, (die jedenfalls für den Likud stimmen,) und der wirtschaftlichen Elite dient, (die zur Arbeiterpartei gehört). Sie kann nicht gegen die Siedlungen kämpfen, da Peres ja selbst die erste Siedlung (Kedumin) mitten in der Westbank gegründet hat. Der Trennungszaun, der die Palästinenser in Ghettos sperrt, wurde von der Arbeiterpartei initiiert, und als Sharon Ministerpräsident wurde, hat er den Verlauf der Mauer nur verändert. Das Mantra „Wir haben keinen Partner“ wurde von Laborführern erfunden, von Ehud Barak und Shlomo Ben-Ami. Die Idee, Siedlungsblöcke zu annektieren, war von Yossi Beilin, dem damaligen führenden Labormitglied, ausgedacht worden.

Die engen Beziehungen zwischen Shimon Peres und Ariel Sharon sind nicht zufällig. Der Prophet Amos (3,3) sagte: „Können denn zwei mit einander wandern, sie seien denn einig untereinander?“ Beide kamen vom selben Platz: dem Hof Ben Gurions. Beide repräsentieren Variationen derselben Ideologie. Das alte hebräische Sprichwort sagt doch: „ Nicht umsonst geht der Star zum Raben - es sind nämlich zwei von der selben Sorte.“ *

Der Name der „Arbeiterpartei“ als solcher ist eine falsche Bezeichnung – sie ist weder eine Partei noch hat sie irgendetwas mit Arbeit zu tun. Sie hat in vier der fünf Teile der israelischen Gesellschaft keinerlei Wurzeln: nicht bei den Religiösen, den Orientalen, den neuen russischen Einwanderern und nicht bei den arabischen Bürgern. Sie ist begrenzt auf die fünfte Gruppe – die Ashkenasim, die europäischen Juden, besonders die ältere Generation. Dies ist die wohletablierte, privilegierte, tatsächlich verwöhnte Elite, die es sich in der bestehenden Situation bequem macht und die sich über nichts aufregt und die keine Lust hat, sich mit Parteipolitik zu befassen (abgesehen von einer vereinzelten Ausnahme).

Die Partei liegt in Trümmern. Sie hat keine echten lokalen Zweigstellen, nur kleine Gruppen von interessierten Funktionären. Noch schlimmer: es gibt keine Anzeichen einer neuen Führung oder nach dem Kollaps der alten Konzepte gar neue Ideen. Man sieht nur eine Gruppe alter Politiker, von denen jeder nur danach trachtet, ein paar Minuten beim Fernsehen zu ergattern, wo er dann altmodische Phrasen aus der Vergangenheit drischt. Das Publikum lauscht und gähnt.

Diese Politiker sind es, die Peres gewählt haben, weil sie sich nicht auf einen anderen Kandidaten als Vorsitzenden einigen konnten. Dies ist kein Symphonieorchester, sondern nur ein Haufen von Straßenmusikanten, von denen jeder seine eigene Melodie spielt.

All dies wäre nicht so wichtig, wenn es nicht so ernste Folgen hätte. Das Fehlen einer wirklichen Opposition ist wie ein Vakuum in der politischen Landschaft und überlässt die ganze Arena Sharon und seinen Handlangern. Die kleine Meretz-Partei, jetzt „Yahad“ („Zusammen“) genannt, ist auch keine wirksame Opposition – nicht nur wegen ihres geringen Formates, sondern weil sie an vielen Leiden kränkelt wie die Laborpartei. Sie nimmt nicht an den täglichen Auseinandersetzungen vor Ort teil. Sie kämpft nicht gegen die monströse Mauer. Der Bestechungsskandal des Ministerpräsidenten, der für jede echte Opposition ein großer Tag hätte werden können, hat bei Yahad keine Reaktion ausgelöst. Labor blieb natürlich stumm.

Die kleinen Parteien, die die arabischen Bürger vertreten, sind viel aktiver. Aber der größte Teil der jüdischen Öffentlichkeit ignoriert sie, so wie sie die arabische Öffentlichkeit im Allgemeinen ignoriert. Das ist eine verheerende Situation. Sie ruft Verzweiflung bei denen hervor, die sich nach einer Änderung sehnen, aber keine lebensfähige Alternative sehen, die die Macht übernehmen könnte. Sie erklärt auch das merkwürdige Ergebnis von allgemeinen Meinungsumfragen: Die Mehrheit wäre bereit, für den Frieden die nötigen Opfer zu bringen - die Mehrheit wählt Sharon.

Ein Wechsel der Regierung ist ohne eine Änderung in der Opposition unmöglich. Und eine neue Opposition hat nur dann eine Chance, Begeisterung zu wecken, wenn ihre Agenda wirklich gegen die Regierungsagenda stünde. Dafür aber wären Mut, Glaube und ein kämpferischer Geist nötig. Bis solch eine Opposition zum Leben erwacht – innerhalb oder außerhalb von Labor – gibt es keine Chance für einen reellen politischen Wechsel.

* vgl. das deutsche Sprichwort: „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ (Ergänzung der Übersetzerin)

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert

Quelle: http://www.uri-avnery.de


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